Es war eine der folgenreichsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte: Mit der Ammoniaksynthese konnten die unerschöpflichen Stickstoffreserven der Luft nutzbar gemacht werden. Nie zuvor hatte der Mensch so massiv in einen natürlichen Stoffkreislauf eingegriffen. Synthetisches Ammoniak veränderte den Krieg, die Industrie, den Charakter der Landwirtschaft und die Umwelt. |
Am 14. September 1909 meldeten Fritz Haber und Carl Bosch beim deutschen Reichspatentamt ein Verfahren an, mit dem sich in industriellem Massstab der Gestank ungepflegter Pissoirs reproduzieren liess. Es sollte sich als eine der folgenreichsten Erfindungen der Menschheit herausstellen. Fritz Haber war es gelungen, Ammoniak (NH3) künstlich herzustellen – ein ätzendes, giftiges und stark übel riechendes Gas, das in der Natur beim Abbau von Harnstoff entsteht. Zusammen mit Carl Bosch entwickelte er die Ammoniaksynthese zu einem Industrieverfahren weiter, ohne das der erste Weltkrieg anders verlaufen und die Bevölkerung im 20. Jahrhundert nicht in dem bekannten Ausmaß explodiert wäre. Die Welt im frühen 21. Jahrhundert sähe der Welt des frühen 20. Jahrhunderts sehr viel ähnlicher, gäbe es kein synthetisches Ammoniak.
Medientagebuch zum Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 16. Februar 2006 Merkwürdig, wie viel anlässlich des Karikaturenstreits darüber
debattiert wird, ob man Mohammed karikieren dürfe. Als ginge es darum – und nicht um den Kontext dieser Karikaturen: «Jyllands-Posten» veröffentlichte diese mit dem klaren Ziel, eine Menschengruppe zu provozieren, gegen die die Zeitung seit Jahren anschreibt. Und als die Provokation nicht zündete, suchte die Redaktion hartnäckig, bis sie in einem fundamentalistischen Kopenhagener Imam endlich jemanden fand, der die gewünschte Reaktion zeigte und eine Hasskampagne gegen Dänemark lostrat (siehe WOZ Nr. 6/06). Selten war in einem Konflikt so offensichtlich, wie die AufwieglerInnen beider Seiten sich dankbar in die Hände arbeiten. Sarajevo hat zwei Universitäten, aber keine tauglichen wirtschaftlichen und politischen Strukturen: Wie funktionieren Wissenschaft und universitäre Bildung nach dem Krieg? – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 26. Februar 2004 Das Land funktioniert nicht, nicht wirtschaftlich und nicht politisch. Die über weite Strecken mafiose Wirtschaft lässt die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung unbeschäftigt. Nicht nur der Krieg hat die bosnische Ökonomie zerstört, sondern auch der wirtschaftliche Ausverkauf nach einer zu schnellen Privatisierung. Das Dayton-Abkommen von 1995 beendete den Krieg, schuf aber ein Staatsgebilde aus zwei «Entitäten» (der Föderation von Bosnien-Herzegowina und der Serbischen Republik), die neben- statt miteinander existieren. Die Kriegsgewinner teilen sich die Macht, und nach wie vor würden viele katholische BosnierInnen lieber zu Kroatien, viele orthodoxe lieber zu Serbien gehören. Geschichtswissenschaft und Krieg – Die Belagerung ist vorbei. Doch das intellektuelle Klima Sarajevos hat seit dem Friedensschluss nichts gewonnen. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 26. Februar 2004 Für November 1992 war in Sarajevo eine Tagung über die Geschichte der Juden in Bosnien geplant. Anlass war ein trauriger Jahrestag: 500 Jahre zuvor vertrieb das Königreich Spanien seine Juden. Viele dieser sephardischen Juden flüchteten auf den Balkan, unter anderem nach Bosnien. Es ist eine grausame Ironie des Schicksals, dass zum Zeitpunkt der Tagung Sarajevo selbst Opfer eines Kriegs war, in dem Menschen aufgrund ihrer ethnisch-religiösen Identität vertrieben wurden, in dem Kriegsparteien versuchten, «feindliche» Kulturen zu zerstören wie seinerzeit die katholischen Könige das spanische Judentum. Der US-Angriff auf den Irak konnte auf allen TV-Kanälen mitverfolgt werden. Marcel Hänggi tat genau dies. – WOZ Die Wochenzeitung vom 1. Mai 2003 Irgendwann in der Nacht habe ich einen Moment Zeit, meine E-Mails abzufragen. «Ich bin froh, dass ich nicht wie du Kriegsbilder ansehen muss», schreibt jemand. Kriegsbilder? Sehe ich Kriegsbilder? Aber ja: Ich leite ein Team, das für den Südwest-Rundfunk SWR rund um die Uhr Krieg schaut und Protokoll darüber führt, was auf den Bildschirmen zu sehen ist: bei CNN, al-Dschasira, Abu Dhabi TV, am Anfang auch bei ABC. Obwohl die Branche sich heute sauber gibt, haben viele Händler keine Skrupel, Diamanten aus Kriegsgebieten zu kaufen. Das beweisen verdeckte Recherchen der «Weltwoche». – «Die Weltwoche» vom 11. Januar 2001 Die Steine sollen die Liebe symbolisieren. Doch in drei afrikanischen Ländern – Angola, Sierra Leone und Kongo – haben sie verheerende Bürgerkriege ausgelöst. Dies soll sich ändern: Uno-Resolutionen verbieten den Handel mit Diamanten aus Händen der Rebellen in Angola (seit 1998) und Sierra Leone (seit 2000), eine Ausdehnung der Sanktionen wird demnächst den Uno-Sicherheitsrat beschäftigen. Die Branche beteiligt sich am Kampf gegen «Blutdiamanten»: Wer weiterhin mit Steinen aus Rebellenhand handelt, soll von den Berufsorganisationen aus dem Geschäft ausgeschlossen werden.
Lassen sich also bald Diamanten kaufen ohne das Risiko, dass man damit Kriege finanziert? Kaum, wie verdeckte Recherchen der «Weltwoche» zeigen. Wir boten Diamanthändlern in Genf – Hauptumschlagplatz für afrikanische Händler – Steine zweifelhafter Herkunft an. Das Fazit ist erschreckend: Acht von elf Händlern hätten die Steine gekauft. Okucani liegt in Westslawonien, Kroatien. Hat vor dem Krieg 1900 EinwohnerInnen (1600 serbische und 300 kroatische). Gehört 1991 bis 1995 zur international nicht anerkannten «Serbischen Republik Krajina» (RSK) und stand vom Januar 1992 bis Mai 1995 unter Uno-Schutz (United Nations Protected Area West). Kämpfe gibt es in Okucani keine. Die katholische Kirche, die Holzfabrik (der grösste Arbeitgeber vor dem Krieg), zahlreiche Wohnhäuser werden gesprengt.
Mit der «begrenzten Polizeiaktion» Bljesak (Blitz) erobert die kroatische Armee das serbisch kontrollierte Gebiet in Westslawonien am 1. und 2. Mai 1995 zurück. Unabhängige Beobachter gibt es keine. Unmittelbar nach Bljesak hat Okucani 55 Einwohnerinnen und Einwohner. Ein Jahr später wohnen in Okucani wieder über tausend Menschen. Neunzig Prozent davon sind Flüchtlinge aus Bosnien und Ostslawonien, die sich in den leeren Häusern angesiedelt haben. Was geschah während Bljesak? Ein Jahr danach erzählen neun Männer und Frauen in Okucani. |
AutorMarcel Hänggi, Zürich Themen
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