Mit der «begrenzten Polizeiaktion» Bljesak (Blitz) erobert die kroatische Armee das serbisch kontrollierte Gebiet in Westslawonien am 1. und 2. Mai 1995 zurück. Unabhängige Beobachter gibt es keine. Unmittelbar nach Bljesak hat Okucani 55 Einwohnerinnen und Einwohner.
Ein Jahr später wohnen in Okucani wieder über tausend Menschen. Neunzig Prozent davon sind Flüchtlinge aus Bosnien und Ostslawonien, die sich in den leeren Häusern angesiedelt haben.
Was geschah während Bljesak? Ein Jahr danach erzählen neun Männer und Frauen in Okucani.
«Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie toll das Leben hier war. Ich bin viel in der Welt herumgekommen, aber sowas gab’s nirgends. Siehst du hier, diese Abfallhalde in dem Bach, früher gab’s sowas gar nicht. Wir haben gebadet in dem Bach. Die Strassencafés waren voll, hier war das Kino, die Disco. Jetzt ist kulturell überhaupt nichts mehr los. Jetzt kenne ich kaum mehr jemand. Ich kam nach Bljesak hierher, wegen der Eltern. Ich war während des Kriegs in Deutschland und in Portugal. Am 1. Mai rief mich eine Verwandte aus Amerika an und sagte, hast du gehört, was passiert ist. Da begann eine schlimme Zeit. Ich telefonierte überall rum, um herauszufinden, wo meine Eltern sind. Sie flüchteten nach Bljesak nach Bosnien und dann nach in Serbien. Ich fuhr dann zu ihnen nach Serbien und unternahm alles, dass sie wieder zurückkehren konnten, via UNHCR. Im September erhielten sie die Erlaubnis vom kroatischen Flüchtlingsministerium. Meine Eltern sind das jüngste Ehepaar, das via UNHCR zurückgekehrt ist nach Bljesak, und die einzigen, wo beide Partner Serben sind. Vielleicht ging das leichter, weil beide krank sind. Einen Monat nach Bljesak ging ich nach Okucani. Ich war ja die einzige jüngere Serbin im Dorf. Hinter meinem Rücken haben gewisse Männer «Tschetnik» gerufen, weil ich Serbin bin. Das Haus war schlimm. Es war sehr viel gestohlen worden, alle technischen Geräte. Ich putzte vierzehn Tage lang. Die haben auf den Teppich geschissen. Vieles musste ich wegwerfen, weil es so stank. Das ist Krieg, das ist auf allen drei Seiten so, auch bei den Muslimen und Serben. Dazu stehe ich. Ich versuche immer, alle drei Seiten zu sehen. Mein Freund ist Muslim. Ich fühle mich überhaupt nicht als Serbin, ich bin Kroatin, das ist mein Land. Meine Religion ist meine Privatsache. Ich würde gern im Dorf einen Fitnessclub eröffnen, es müsste wieder ein Kino geben, Konzerte, damit das Leben hier wieder erwacht. Die Leute sprechen ja nur noch vom Krieg und von nichts anderem. Man betrachtet sich nicht mehr als Menschen, sondern nur noch als Kroaten, Serben, ... Jetzt geht alles gut, mit den Dokumenten usw. Die Dokumente sind teurer geworden, jetzt fragen sie dich nicht mehr nach der Nationalität, wenn du nur zahlst. Ich hatte zuerst schon Angst zu kommen, aber meine Kusine in Zagreb sagte, dass es jetzt nicht mehr gefährlich sei. Mein Grossvater ist seit Bljesak verschollen. Ich will auf der Polizei nachsehen, ob er auf der Liste der Getöteten ist, ich habe einen Bekannten bei der Polizei. Du brauchst überall Bekannte. Die Polizei fragte meinen Vater, wieso er geflüchtet sei. Er sagte, sein Vater sei nicht geflüchtet, und der sei seither verschwunden.»
Ljiljana Caboci, stellvertretende Bürgermeisterin
«Ich stamme aus Nova Gradiska. Ich wurde nach Bljesak als stellvertretende Bürgermeisterin nach Okucani geholt, im August. Okucani war im Krieg nicht zerstört worden; was zerstört wurde, gehörte den Kroaten. Es gibt ein neues Gesetz für den Wiederaufbau, jeder Mensch kriegt ein neues Haus, egal, was für eine Nationalität, es sind alles Bürger von Kroatien. Ich kann Ihnen auch Beispiele nennen, etwa in Covac oder Vrbovljani, wo Häuser wiederaufgebaut wurden, die gehören Serben. Die alten Leute kriegen Unterstützung vom Staat und vom kroatischen Roten Kreuz, vom Sozialamt, die sind alle hier registriert. Wer pensioniert ist, kriegt seine Pension. Meine Eltern sind auch so ein Beispiel, mein Vater kriegt Pension und Sozialhilfe. Als ich nach Okucani kam, im August, ja da war natürlich alles leer. Meine Eltern waren in Nova Gradiska, als der Krieg begann, bei den Bombardierungen 1991 flüchteten sie. Ich blieb, trotz den Bombardierungen. Nova Gradiska war nie okkupiert. Ich musste arbeiten. Es war sehr schwer. Frauen und Kinder waren geflüchtet. Man schlief und arbeitete im Keller. Bljesak, das bedeutete für mich das Gefühl jedes kroatischen Bürgers, dass unser Land wieder Kroatien gehört. Dass man jetzt mit dem wirtschaftlichen Wiederaufbau beginnen kann. Das ist ja das wichtigste, die Wirtschaft und die Landwirtschaft. Die Militärpolizei befasst sich mit der Säuberung der verminten Gebiete. Die Stimmung im Dorf – nun, die Serben, die früher hier waren, betrachten das als ihr Land. Das ist ihr Land, es gibt keine Probleme. Die jungen Serben sind gegangen. Wer die kroatische Regierung akzeptiert und kein Kriegsverbrecher ist, der kann zurückkommen. Jeder muss selber wissen, ob er zurückkommen kann. Das ist auch psychologisch. Jeder soll es selbst wissen. Nach dem Bljesak gab es keine Toten. Absolut nein. Natürlich, am Tag selbst, in den Kämpfen, da wurden Leute getötet, das war Krieg. Aber es gab keine Exzesse. Es war alles unter Kontrolle. Es gibt Gerüchte, Panzer der serbischen Armee hätten flüchtende Serben und ihre Autos überrollt, um ihre eigene Haut zu retten. Leute sahen das vom Wald aus. Das ist schlimm. Jetzt ist es mehr als ein Jahr her. Wir hoffen, dass auch die Gebiete im Osten bald wieder unter kroatische Kontrolle kommen, ohne Krieg. Dass die Leute, welche die kroatische Regierung akzeptieren, wieder zurückkommen und wieder normal arbeiten können, dass die Wirschaft und die Kultur wieder funktioniert. Dass sich Kroatien in die Europäische Gemeinschaft eingliedert und in Frieden lebt. Dass es nie wieder Krieg gibt.»
A., ca. fünfzig, lebte im ganzen Krieg und bis heute in Okucani
«Das ändert ja doch nichts an der Situation, wenn ich erzähle. Was soll ich erzählen. Es gibt tausende, die haben es schwerer. Das ist nicht interessant, was ich zu sagen habe.»
B., ca. fünfzig, lebte im ganzen Krieg und bis heute in Okucani
«Wenn ich sagen würde, was war, das wäre schlecht. Was geschehen ist, ist geschehen. Wenn ich aussagen würde, möchte ich die Wahrheit sagen, und das wäre sehr schlecht.»
C., ca. fünfzig, hat ihren Mann im Bljesak verloren, lebte im Krieg und bis heute in einem kleinen Dorf bei Okucani
«Wenn ich alles sagen würde, da könnten Sie ganze Romane schreiben, die wären tausende von Seiten dick. Die Leute in den Dörfern haben unglaublich viel Schlimmes erlebt. In Okucani ist das nicht so schlimm, aber in den abgelegenen Dörfern gibt es soviele Provokationen, da sind die Leute isoliert. Ich sage Ihnen jetzt, was alles passiert ist, aber schreiben Sie das nicht auf. Ich würde Probleme kriegen. Man darf nicht laut sagen. Wenn man sagt, was passiert ist, wird man abgeführt.»
D., ca. sechzig, lebte im ganzen Krieg und bis heute in Okucani
«Ich habe nichts zu sagen. Fragen Sie Leute wie C., die haben wirklich etwas erlebt. Das ist nicht interessant, was ich zu sagen habe. Ich bin eine gewöhnliche Frau.»
Ivanka, 36
«Welches Okucani wollen Sie porträtieren? Das vor dem Krieg, das in der Krajina-Zeit, oder das nach Bljesak? Das sind drei verschiedene Okucani. Dies ist das schönste und das hässlichste Dorf der Welt. Sowas gibt es auf der Welt nur einmal. Die Zeit vor dem Krieg, da lebte ich normal, wie alle jungen Leute. Alles war schön. Wir lieben dieses Dorf, mein Mann und ich. Auch jetzt, aber auf andere Art, weil es die Menschen nicht mehr gibt, die früher hier lebten. Der Krieg, das war – du hörtst zuerst die Schiessereien, du fühlst Chaos in dir. In diesen ersten Momenten des Kriegs sagte ich mir, dass kein Mensch dieser Welt das Recht hat, mich von aus meiner Heimat rauszuschmeissen. Es gab Leute, die versuchten, uns zu vertreiben. Als der Krieg anfing, kamen Serben, die sagten, alle Kroaten müssen hier raus. Ein Freund, der Kroate war, wurde umgebracht, da sagte mein Mann, geht weg, du und Irene – das ist unsere Tochter –, weil ich auch Kroatin bin. Mein Mann ist Serbe. Wir gingen also nach Bosanska Krupa in Bosnien. Das war 1991. Irene wurde dort eingeschult, sie war sieben. Aber nach anderthalb Monaten, da begann auch in Bosnien die Krise, und wir kehrten zurück. Sehen Sie das Bild hier von Irene, wie glücklich sie war, zuhause zu sein, obwohl die Granaten fielen. In der Schule sagten sie ihr, du hast blaue Augen, du bist katholisch, du bist «Arierin». Das waren so Provokationen. Ich erlebte natürlich auch Provokationen, aber ich bin eine Kämpferin. Ich wehrte mich. Jetzt, in der kroatischen Schule, gibt es wieder ähnliches. Irene wurde ein «politisch-national provokatives Kind» genannt, wissen Sie wieso? Weil sie in der Bibliothek das Buch «Der Kurier von Psunj» suchte. Das ist ein Buch aus der kommunistischen Zeit, über die Partisanen. Psunj ist ein Berg bei Okucani, vor dem Krieg gingen wir da picknicken. Sehen Sie dieses Bild. Da braten wir ein Hähnchen auf Psunj. Als Bljesak kam, habe ich mich von meinem Leben verabschiedet. Wir blieben, wir waren fast die einzigen. Von drei Seiten kamen die Soldaten. Die fragen nicht, ob du Kroatin oder Serbin bist. Das ist so im Krieg, auf allen Seiten: Erst schiessen, dann fragen. Mein Bruder rettete mir das Leben. Er war Soldat der kroatischen Armee. Er kam sofort zu unserem Haus, durch all die Schiessereien und fallenden Granaten. Ich glaube, es wurden viele Leute umgebracht an Bljesak, aber ich weiss das nicht, weil sie uns nach Nova Gradiska brachten. Ich kam zurück am 10. Mai, mein Mann am 13. Alle technischen Geräte waren gestohlen, wie in allen Häusern. In der Krajina-Zeit, da waren wir okkupiert, weil da kamen fremde Leute, von Knin und Bosnien, die sagten, was gilt. Mit Bljesak kamen wieder Fremde. Das sind nicht mehr meine Leute, die ich kannte in Okucani. Sehen Sie hier, das ist ein Bild von einem Freund. Er fiel an Bljesak.»
Ana, 76
«Mein Mann ist schon schlafen gegangen. Er könnte Ihnen mehr erzählen. Ich bin ja nur vier Jahre zur Schule gegangen, ich weiss nichts. Mein Mann würde von seinen Bienen erzählen, die sind seine Leidenschaft. Ich lebe seit 1971 in Okucani. Im Krieg flüchteten wir, am 24. August 91. Mein Mann wurde provoziert, weil wir Kroaten sind. Wir wollten nur kurz nach Novska fahren, bis alles besser würde. Aber da war plötzlich alles blockiert, da konnte man nicht zurück. Wir wären sofort wieder zurück, aber da waren Barrikaden, die Eisenbahn wurde gesprengt. Wir gingen dann nach Zagreb, weil es in Novska auch schon begann. Wir hatten keine Hoffnung mehr, zurückkehren zu können. Wir begannen, in Zagreb eine Existenz aufzubauen, kauften uns ein kleines, altes Haus, dort, wo unser Sohn lebt. Genau, als wir es gekauft hatten, da kam Bljesak. Bljesak war eine Befreiung, aber ja! Wir kamen noch im Mai zurück, sobald es nach Bljesak möglich war. Da war alles leer im Dorf, keine Menschen waren da. An unserem Haus war gar nichts zerstört. Es wurden einige Sachen gestohlen, aber wenn man mit anderen Leuten vergleicht, was denen gestohlen wurde, so ist das nichts. Die Bienenhäuser wurden zerstört, wir lebten früher vom Honigmachen. Früher war alles leichter. Ich war jünger. Die Kinder sind weg, wir sind alt und allein und können nicht mehr arbeiten. Aber was wollen wir. Es gibt viel zu tun. Die Stimmung im Dorf, heute – wir lebten früher zusammen, und so auch jetzt. Wir kannten uns alle. Aber jetzt sind neue Leute gekommen, die anders sind. Wir hatten ein gutes Auskommen mit den Nachbarn, mit den Neuen ist das anders. Wir kennen uns nicht. Das ist, als ob du in einem neuen Land bist. Das sind wie Ausländer. Die Alten, die da waren, sind nicht mehr da. Früher war das egal, ob man Serbe oder Kroate ist, man half einander. Heute sind die weg. Manche sind in Banja Luka, in Serbien, in Kroatien, überall. Sehr viele wollen zurückkommen. Ich habe vier Kinder. Ich wünsche mir, dass sie zurückkommen. Die Enkel kommen und helfen, einer wohnt zum Beispiel in Novska, einer in der Nähe von Pakrac. Nein nein, Sie haben nicht gestört. Ich lege mich nur so früh zu Bett, weil ich nichts zu tun habe. Ich hätte ja doch nicht schlafen können.»
Ivan, circa 60, Flüchtling aus Derventa (Bosnien-Herzegowina)
«Ich kam am 1. Juli 1995 nach Okucani. Ich stamme aus Derventa, das ist heute serbisch besetzt. Wir haben uns dagegen gewehrt, ich war in der bosnisch-kroatischen Armee. Die Jugoslawische Armee kam, wir wehrten uns und schafften es auch eine Weile, frei zu bleiben. Ende Juni 92 kam der Befehl, wir sollten uns nicht mehr wehren. Ich weiss nicht, von wem der Befehl kam. Ich bin ein einfacher Mann, über mein Schicksal wird an höheren Stellen entschieden. Wir versuchten zu überleben, woher die Waffen kamen und woher die Befehle, weiss ich nicht. Viele wurden umgebracht. Die Serben kamen zum Beispiel in ein Dorf, dort schlachteten sie 19 Menschen ab. Wir hatten fast keine Waffen, doch wir hatten die Kraft, uns zu wehren. Die Luftwaffe bekämpfte uns. Wir haben 43 Panzer zerstört; wir haben gekämpft! Über 8500 Kroaten fielen in den Kämpfen. Dann kamen wir als Flüchtlinge nach Kroatien, die Zivilen am 5. Juli 92, die Soldaten später, im November, als Bosanski Brod fiel. Es gab Gruppen, die blieben, die wollten sich noch wehren, zum Beispiel in Orasje. Ich ging nach Slavonski Brod, in Kroatien, dort blieb ich dann ein Jahr, in einem kleinen Häuschen. Dann war ich ein bisschen da, ein bisschen dort, wo ich Verwandte hatte. Wir suchten, wo es leere Häuser gab. In Okucani gab es welche. Das nennt sich «vorläufige Unterkunft», die wurden uns zugewiesen, bis die Besitzer zurückkommen. Irgendwo muss ich doch hin. Wo ich herkomme, da ist alles zerstört. Wenn der Besitzer des Hauses zurückkommt, ich weiss nicht, was das Gesetz da sagt, aber ich kann doch nicht raus, ich habe doch nichts anderes. Die Leute, die hier lebten, die gingen von allein, niemand hat die vertrieben. Die kriegten Befehl von den eigenen Leuten, dass sie wegmussten. Die wussten, dass sie wegmussten, die haben soviel verbrochen. Als ich nach Okucani kam, war Friede, alles war frei, aber es war alles leer. Die Leute, die hier gelebt hatten, die gingen mit Traktoren, Lastwagen, aber wir hatten gar nichts, konnten nichts mitnehmen, wir wurden rausgeworfen. Die konnten doch alles mitnehmen. Das Haus war ziemlich schmutzig, fast nichts war da, ein Ofen, ein Bett, ein Schrank, eine kleine Vitrine, das war alles. Wir kriegten humanitäre Hilfe, so renovierten wir das. Ich kriege wenig Geld vom Staat, Unterstützung von Verwandten, man lebt halt von wenig, wenn man wenig hat, ich bin zufrieden. Im Dorf spreche ich mit allen, ich habe da keine Probleme. Es gibt keinen nationalen Hass. Ich hoffe natürlich, dass ich wieder einmal nach Hause kann, aber das gehört jetzt den Serben. Ich wollte doch auch nicht hierherkommen. Solange wir ein Dach über dem Kopf haben, bin ich zufrieden. Ich bin der kroatischen Regierung dankbar für das, was wir gekriegt haben.»
Fra Bozo Bozidar Blazevic, katholischer Pfarrer
«Ich kam nach Bljesak aus Split nach Okucani. Vor dem Krieg hatte ich eine Gemeinde in Vitez in Bosnien. Während dem Krieg war ich drei Jahre Direktor der Caritas in Split. Deshalb habe ich viel Erfahrung in humanitärer Arbeit. Ich wollte nach Canberra in Australien, aber dann wählte ich Okucani. Ich brachte meine jahrelange Erfahrung hierhin. Durch meine Erfahrungen sammelte ich Donatoren. Vielleicht wird uns auch Ihr Interview zu Spenden verhelfen. Eine neue Gemeinde aufzubauen, das braucht viel Erfahrung und viel Geld. Die Leute in der Gemeinde sind rund 3000 Flüchtlinge und 300 Zurückgekehrte. Ich kam am 20. Juni, 7 Wochen nach Bljesak. Okucani war leer und sehr schmutzig, es gab sehr viele Insekten, Flöhe. Es war schlimm, doch ich hatte eine grosse Hoffnung. Dieses Haus gehörte im Krieg einem serbischen Vojvoden [Fürst]. Es war total zerstört, wir renovierten es. Die katholische Kirche ist zerstört worden, dort war im Krieg der Marktplatz, man hat Sand dorthin geschüttet. Der katholische Pfarrer wurde 1992 nach Banja Luka verschleppt, dort starb er aus Gram, weil er die Kirche selber mit viel Liebe renoviert hatte. Sie war sein Lebenswerk. Heute halten wir die Messe im alten Kino. Jetzt ist die Gemeinde voll, das Dorf ist sauber. Das Problem ist die Armut. Täglich, und jede Nacht, kommen Leute, die haben Kriegstraumata. Heute funktioniert das Dorf wunderbar, aber die Flüchtlinge erleben Provokationen von den Serben, denen die Häuser gehören, in denen sie leben; diese Serben wollen die rausschmeissen. Die Serben und Kroaten sind distanziert zueinander, aber es gibt keine Konflikte. Es hat auch Muslime, Roma, Ungarn, Tschechen, Italiener, Deutsche... Der orthodoxe Pfarrer war sehr hoch in der Armee. Er flüchtete nach Bljesak. Jetzt gibt es keinen orthodoxen Pfarrer. Die orthodoxe Kirche steht. Es gibt Orthodoxe, die kommen zu uns. Die Caritas hat zum Beispiel sieben Tonnen Nahrungsmittel für die Serben gegeben. [Zeigt einen schriftlichen Beleg]. Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass immer Friede sei und Normalität zwischen den Leuten. Und dass alle zurückkehren können, wo sie herkamen. Dass jeder Pfarrer sich um seine Leute kümmert, und um seine Angelegenheiten. Wir, die katholische Gemeinde, müssen uns heute auch um die geistlichen Belange der Orthodoxen kümmern, zum Beispiel Beerdigungen. Nicht, dass wir uns denen aufdrängen würden, die Leute kommen selber zu uns und fragen uns an, ich kann Ihnen das zeigen. [Zeigt schriftliche Anfragen]. Viele Journalisten schreiben es dann anders. Wir tun das Gute, und dann wird es ganz anders interpretiert.»
E., Berufssoldat der U.S.-Army im IFOR-Camp nahe Okucani
«Wenn du meinen Namen veröffentlichst, bringe ich dich um. In Irak wollte mich ein Journalist fotografieren. Ich sagte, Nein. Da zeigte er seinen Presse-Ausweis. Ich schmetterte ihm die Kamera zu Boden. Er sagte, du hast meine Kamera zerstört. Ich sagte, oh, das tut mir leid, beschweren Sie sich bei der Army. So ist das bei uns. Du bist mein Freund. Ich spreche für mich, nicht für die Army. Ich habe vier Kinder zuhause. Die älteste Tochter ist schon so gross und hat schon richtige… [Deutet Brüste an, grinst.] Die ist jetzt vierzehn oder fünfzehn. Ich habe die Kinder lange nicht mehr gesehen. Unser Präsident Bill Clinton wollte es so, er sagte: Im Sommer gibt’s Urlaub. Soldaten haben kein Recht, sich zu beklagen. Sie haben eine Uniform, genug zu Essen, eine Waffe. Aber ich war auf der ganzen Welt. Ich kann mich beklagen! Was die UN-Truppen machten, das war Verschwendung von Steuergeldern. Sieh dir das Camp der Nepalesen an. Die haben das Öl ausgeschüttet. Das ist ein Verbrechen. Da gab es Schwarzmarkt, Prostitution mit Knaben. Deshalb dient die US-Army nie unter UN-Kommando. Somalia hat bewiesen, dass das nicht geht, und Jugoslawien. Das war auch im Irak so, da war ein Flüchtlingslager. An einem Tag habe ich siebzehn Kinder begraben. Dann kam so ein Funktionär vom Uno-Kinderhilfswerk, schaute sich um, der verliess nicht einmal seinen Mercedes-Benz, und dann sagte er über Funk: Alles okay. Bei der IFOR gibt’s das nicht. Die Nato, die hat eine effektive Führung. Wenn etwas vorkommt, das Land wird sofort nach Hause geschickt. Die Ungarn hier machen erstklassige Arbeit. Die wollen in die Nato. Die tun das für die Nato, nicht für Bosnien, aber die Menschen in Bosnien profitieren von der guten Arbeit. Ihr Europäer, ihr müsst euch überlegen, wie lange ihr Bosnien noch füttern wollt. Die europäischen Länder, die Hilfsorganisationen, die füttern die Leute durch, dann können die sich zurücklehnen, die lehnen sich zurück und bauen weiterhin Scheisse. Man muss ihnen eine Grenze setzen. Man muss ihnen helfen, aber bis da und nicht weiter. Deshalb haben wir gesagt, wir geben euch ein verdammtes Jahr, da habt ihr Zeit, mit eurer Scheisse aufzuräumen, und es ist eure verdammte Entscheidung, ob ihr das wollt. Eine Armee kann keinen Frieden machen, wir sichern nur die Bedingungen. Den Frieden müssen die verdammt selber wollen. Bosnien... – nach Bosnien musst du fahren, dort passieren die wirklich interessanten Sachen. Dort ist Krieg. Da gibt es Orte, da getrauen selbst wir uns nicht, anzuhalten, in Bugojno und Gorazde, da sind die Mudjaheddin aus Iran. Die kommen direkt in den Himmel, wenn sie einen Ungläubigen töten, besonders Amerikaner. Dort ist Krieg. Was hier passiert, ist nichts.»
Bogdanka, 55, Serbin, lebte im ganzen Krieg und bis heute in Okucani
«Ich lebe seit 55 Jahren in Okucani. Der Krieg, das war nicht einfach. Als er ausbrach, 1991, war ich in Zagreb im Spital mit meinem verunfallten Sohn. Ich lebte bei meiner Tochter in Zagreb. Im Juni 1992 kam ich wieder nach Okucani. Der Sohn war gestorben, die Tochter ging nach Serbien. Nach Bljesak flüchtete ich zur Tochter nach Serbien, das war am zweiten Tag der Offensive. Da war die kroatische Armee schon hier. Wir fuhren mit einem Lastwagen nach Bosanska Gradiska, ab Pustara gaben uns die Uno-Truppen Geleit. Wir wurden nicht beschossen, aber auf den Strassen, da lagen überall Tote rum. Zurück kam ich im Juli 1995, via Ungarn. Meine Schwester erwartete mich an der ungarischen Grenze, ich hatte meinen Geburtsschein und alle Papiere, dass mir das Haus gehört, aber das gab Probleme, weil in meinen Papieren stand, dass ich Serbin bin, das dauerte zwei Tage, bis die mich rein liessen. Das Haus war geplündert worden, alle Häuser waren geplündert. Die plünderten noch, als ich schon wieder da war, selbst wenn ich im Haus war. Von 1991 bis 1995, da gab es keine solchen Belästigungen wie heute. Wir hatten gar nicht das Gefühl, unter Okkupation zu leben, wir fühlten uns frei. Heute habe ich mit den Behörden keine Probleme, aber es gibt Belästigungen. Immer noch, aber nicht mehr so schlimm wie unmittelbar nach Bljesak. Im Krieg grüssten wir uns, auch die Kroaten, wir teilten die humanitäre Hilfe auch mit ihnen. Aber die meisten Kroaten waren 1991 weggegangen, die kriegten den Befehl zu gehen. Heute werden wir nicht mehr akzeptiert, wir können schwer zusammen leben. Mein Mann lebt immer noch in Serbien, mit der Tochter, er getraut sich nicht zurückzukommen. Es gibt so viele Geschichten und Erlebnisse. Wenn man sich daran erinnert, kriegt man Gänsehaut. Meine ehemaligen Nachbarn sind überall verstreut, in Serbien, Bosnien. Ich dachte, die Leute, die aus der Vojvodina geflüchtet sind, also die seien besser als die bosnischen Flüchtlinge. Aber kürzlich ist eine Serbin mit dem UNHCR zurückgekommen, und die wurde von den Flüchtlingen aus der Vojvodina beschimpft. Ich wünsche, dass die Menschen in Frieden leben. Die Zukunft wird es weisen. Aber wenn jeder, der zurückkommt, ins Gefängnis muss, wie soll das gehen. Achtzig Prozent wollen zurück, aber die haben Angst.»
Ivan, 29, Soldat der kroatischen Armee 1991 bis 1995
«Ich kam im August 1995 mit meiner Frau und meinem Kind nach Okucani. Ich nahm dieses Haus, ein serbisches Haus, ich hatte keinen Platz zu wohnen. Wenn der Besitzer zurückkommt, gehe ich, kein Problem. Ich kenne ihn nicht persönlich. Er war ein Leutnant in der serbischen Krajina-Armee. Er ist ein antikroatisches Element, aber das ist nicht meine Sache. Ich glaube an dieses Land, aber nun ist der Krieg vorbei. Die meisten Kroaten wissen, dass sie mit den Serben zusammenleben müssen. Kroaten sind gute Menschen. Viele Serben sind nicht schuldig, ich habe nichts gegen sie. Vielleicht zehn Prozent sind schuldig, nicht mehr. Jetzt müssen wir zusammenleben. Wer schuldig ist, weiss es; das ist nicht meine Angelegenheit. Ich wollte nicht in Okucani leben, doch ich habe nichts anderes. Es ist besser, wenn die Leute, die nichts haben, in die leeren serbischen Häuser ziehen. Ich war 91 bis 95 in der Armee, jetzt bin ich kriegsinvalid, fünfzig Prozent invalid, ich beziehe Pension. Ich war Leutnant. Krieg ist Scheisse. Vier Jahre war ich im Krieg, und ich habe nichts Positives erlebt. Nur Scheisse. Ich wollte diesen Krieg nicht. Niemand in Kroatien wollte diesen Krieg. Ich frage: Warum dieser Krieg? Das kroatische Volk wollte diesen Krieg nicht. Aber Serben – nicht alle, zehn Prozent – die wollten Krieg. Jugoslawien war ein serbisches Land. Die nahmen alles kroatische Geld für Belgrad. Es war Kommunismus, aber Kroaten wollen westliche Kultur. In Bljesak kapitulierten die Serben. Am Radio sagte man ihnen, bleibt, euch wird nichts geschehen, wenn ihr die Waffen abgebt. Aber als wir kamen, waren keine Zivilisten da. Die waren nach Bosnien gegangen. Ich verstehe nicht wieso. Wer nicht schuldig ist, kann bleiben. Es stimmt nicht, dass die kroatische Armee Zivilisten tötete. Ich weiss das, ich war hier. Ich war in zehn Dörfern, keine Zivilisten wurden getötet. Kroatische Soldaten haben keinen Grund, alte Leute, Frauen, Kinder zu töten. Die Kroatische Armee ist eine zivilisierte Armee. Die Kroaten sind ein zivilisiertes Volk, wir wollen westliche Zivilisation. Serbische Kultur ist östliche Kultur. Östliche Kultur ist primitiv. 1988, als ich in der Jugoslawischen Armee war, sagte mir ein Offizier, ich sei Ustasa, weil ich mich als Kroate bezeichnete. Ich fragte, wie kann ich Ustasa sein, ich bin 25 Jahre nach dem Ustasa-Regime geboren? Die Kroaten sind seit 900 Jahren hier, das ist Kroatien. Wir kämpften nur für das, was uns gehört. Wir kämpften mit Handwaffen gegen Panzer.
Marcel Hänggi