Marcel Hänggi
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Nationaler Autismus

2/26/2004

 
Geschichtswissenschaft und Krieg – Die Belagerung ist vorbei. Doch das intellektuelle Klima Sarajevos hat seit dem Friedensschluss nichts gewonnen. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 26. Februar 2004

BildIm Krieg gezielt schwer beschädigt: Nationalbibliothek Sarajevo
Für November 1992 war in Sarajevo eine Tagung über die Geschichte der Juden in Bosnien geplant. Anlass war ein trauriger Jahrestag: 500 Jahre zuvor vertrieb das Königreich Spanien seine Juden. Viele dieser sephardischen Juden flüchteten auf den Balkan, unter anderem nach Bosnien. Es ist eine grausame Ironie des Schicksals, dass zum Zeitpunkt der Tagung Sarajevo selbst Opfer eines Kriegs war, in dem Menschen aufgrund ihrer ethnisch-religiösen Identität vertrieben wurden, in dem Kriegsparteien versuchten, «feindliche» Kulturen zu zerstören wie seinerzeit die katholischen Könige das spanische Judentum.

Die Wissenschaft, vor allem die Geschichtswissenschaft, war in diesem Krieg nicht nur Opfer, sondern spielte auch eine aktive Rolle. Bekannt ist vor allem die destruktive Seite dieser Rolle: Die Geschichte lieferte Argumente für eine Ideologie des Hasses. «Der Versuch, Geschichte als die Geschichte von ‹Rassen› zu schreiben, ist der Fluch der Balkanländer», schreibt Noel Malcolm in seiner «Geschichte Bosniens» (1996). An der Propagierung des serbischen Nationalismus waren Intellektuelle und insbesondere die Serbische Akademie der Wissenschaften massgeblich beteiligt. Der nationale serbische Mythos speist sich aus dem Abwehrkampf gegen die Türken und den Islam – BosniakInnen (MuslimInnen) sind in dieser Logik islamisierte SerbInnen oder eben TürkInnen, die es zu vertreiben gilt. Die kroatische Sicht, wonach BosniakInnen «eigentlich» islamisierte KroatInnen seien, wurde unter anderem vom kroatischen Kriegspräsidenten (und Historiker) Franjo Tudjman vertreten. Und der bosniakische Mythos will in den bosnischen MuslimInnen die Nachfahren der Angehörigen der bosnischen Kirche des Mittelalters sehen, mithin die «legitimen UreinwohnerInnen» Bosniens – einer Kirche, die mit der bulgarischen Sekte der Bogumilen gleichgesetzt wird. Obwohl wissenschaftlich widerlegt, ist diese These im Bewusstsein der Öffentlichkeit stark verankert. Die mittelalterlichen Grabstelen im Sarajevoer Nationalmuseum (Zemaljski Musej) werden den BesucherInnen als «bogumilische» präsentiert.

Es gab aber nicht nur diese auf Partikularismus und Exklusion abzielende Rolle der Geschichtswissenschaft. Während der dreijährigen Belagerung fanden in Sarajevo historische Tagungen wie die genannte über das Judentum statt, an denen die Gemeinsamkeiten aller BosnierInnen betont wurden – eine Art geistigen Widerstands gegen die Belagerer. Die Geschichtswissenschaft reflektierte ihre eigene Rolle. «Die intellektuelle Atmosphäre während der Belagerung war grossartig», sagt der Mediävist Dubravko Lovrenovic.

Der Schaden des Kriegs war zuallererst ein materieller. Rund fünfzig Prozent der Archivmaterialien wurden laut Schätzungen zerstört oder geraubt. Davon betroffen ist insbesondere die Periode der türkischen Herrschaft (15. bis 19. Jahrhundert). Bereits in den ersten Kriegswochen wurde das Orientalische Institut in Brand geschossen – das einst führende Institut kann heute nur noch Kopien verwalten. Ebenso zerstört wurde die Nationalbibliothek. Auch sie wurde Opfer gezielter Angriffe der serbischen Belagerer auf das kulturelle Erbe der Stadt.

Der Krieg ist vorbei, und es ist eine weitere grausame Ironie der Geschichte , dass von der intellektuellen Atmosphäre zur Besatzungszeit wenig übrig geblieben ist. Heute, so sind sich führende Bosnien-Historiker einig, ist die Geschichtswissenschaft in drei nationale Versionen gespalten. Dzevad Juzbasic spricht von einem «ethnonationalistischen Autismus». «Wir nichtnationalistischen Historiker werden heute von unseren Kollegen angegriffen», sagt Lovrenovic. «Auch einige Professoren der Sarajevoer Universität stehen dem Mythos der Bogumilen-Abstammung sehr nahe.» Im Krieg habe die Hoffnung gelebt, das Zusammenleben würde nach Friedensschluss weitergehen. Sie hat sich nicht erfüllt.

HistorikerInnen, die vor dem Krieg der offiziellen sozialistischen Ideologie zugedient hätten, seien leicht zu DienerInnen der neuen Ideologien geworden, sagt Lovrenovic. Der Übergang zur nachkommunistischen Zeit habe in der bosnischen universitären Geschichtsschreibung noch nicht stattgefunden. Geschichte heisst in den Lehrplänen nach wie vor politische und Militärgeschichte – auch wenn jüngere Dozenten sich bemühen, modernere Ansätze wie Alltags- oder Wirtschafts- und Sozialgeschichte einzubringen.

Erinnert man sich etwa an die Diskussionen zum «700-Jahr»-Jubiläum der Schweiz 1991, sieht man deutlich, wie hartnäckig historische Mythen selbst in Friedenszeiten sind. Gegen die nationalistischen Sichtweisen haben die aufgeschlosseneren unter den bosnischen HistorikerInnen wenig Macht. Solange die politische Situation des Landes nicht ändert, sind sie chancenlos.

Literatur: Dzevad Juzbasic: «Die Geschichtsschreibung in Bosnien-Herzegowina im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts», in: Klio ohne Fesseln? Österreichische Osthefte Nr. 1-2/2000, Seiten 421-433.

Marcel Hänggi

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    Autor

    Marcel Hänggi, ​Zürich
    wissenschaftlicher Mitarbeiter Verein Klimaschutz Schweiz (Gletscher-Initiative)
    Journalist | Buchautor
    ​dipl. Gymnasiallehrer


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