Aber ja: Ich leite ein Team, das für den Südwest-Rundfunk SWR rund um die Uhr Krieg schaut und Protokoll darüber führt, was auf den Bildschirmen zu sehen ist: bei CNN, al-Dschasira, Abu Dhabi TV, am Anfang auch bei ABC.
Dann kippt die Stimmung. Hiess es zuerst: kein Widerstand in Um Kasr, so später: Widerstand gebrochen, nun: heftige Kämpfe. ABC erklärt selbstkritisch, die jubelnden Iraker seien ein nicht repräsentativer Ausschnitt aus einer längeren Sequenz gewesen. Aufnahmen amerikanischer Kriegsgefangener (Fachsprache: POWs) und toter GIs geraten in Umlauf (im irakischen Fernsehen sind sie mit Volksmusik hinterlegt, während die Kamera genüsslich über die Körper der Gefangenen und der Toten fährt). Al-Dschasira zeigt wieder und wieder den unerträglichen Anblick der Leiche eines Kindes, dessen Schädel geplatzt ist. SWR zeigt das Kippen der Stimmung in seinen Beiträgen fürs Erste deutsche Fernsehen ARD.
Die «Frankfurter Allgemeine» wird die SWR-Berichterstattung am Tag danach als «reine Häme» disqualifizieren. Ich teile diese Bewertung nicht, aber: War da nicht eine gewisse Erleichterung bei unseren Journalisten? Erleichterung nicht darüber, dass es Widerstand und Opfer gibt, aber darüber, dass sie sichtbar werden? Wir haben 1991 in Erinnerung, als der «chirurgische Krieg» erfunden wurde – kein Ruhmesblatt für die Medien. Nun scheint der Journalismus stärker als die Propaganda: So denke auch ich an diesem Sonntag, dreieinhalb Tage nach Kriegsbeginn.
Aber zum Denken ist wenig Platz, vorerst, im Raum mit fünfzehn Bildschirmen. Menschenjagd in Bagdad: Ein Mob sucht mit Messern und Gewehren nach einem GI, der in den Tigris gestürzt sein soll; live. Immer wieder dürfen – bei CNN und ABC – «eingebettete» Journalisten nicht sagen, wo genau sie sich befinden; auf CNN schreit einer in einem Apache-Kampfhubschrauber ins Mikrofon: «It smells like sweat, excitement, and fear.»
Die arabischen Sender zeigen mehr Opfer, mehr Antikriegsdemonstrationen, betonen die Zweifel am schnellen Vorrücken der Koalition. Aber auch CNN zeigt die hässlichen Seiten des Kriegs, übt Kritik. Die Sender berichten aus unterschiedlichen Perspektiven, sie gewichten anders. Doch sie arbeiten mit demselben Bildmaterial und erzählen letztlich dieselbe Geschichte. Die Zwänge des Mediums sind stärker als weltanschauliche Unterschiede. Die Studios sehen gleich aus, die Moderatoren und Korrespondenten sehen gleich aus, und am frappantesten ist die Ähnlichkeit bei den Jingles, diesen kleinen, aus besonders symbolträchtigen Bildern zusammengeschnittenen Pausenfüllern. Sie leben, hie wie da, von der Faszination des Kriegs. Hie wie da sind die Jingles von martialischem Pathos, unterlegt mit Posaunen und Trommeln (bei Abu Dhabi TV und al-Dschasira mit demselben Bolero-Rhythmus: tám-tatata-tám-tatata-tám-tam-tám). Die wichtigste Botschaft aller Nachrichtensender lautet nicht: Der Krieg ist schlecht, oder: Der Krieg muss sein, sondern: Der Krieg ist spannend, und wir zeigen ihn: «Stay with us, after the break!»
Planetarische Unterschiede
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat erklärt, es verstosse gegen die Genfer Konvention, wenn die Iraker amerikanische Kriegsgefangene zeigen. Wenige Tage später werden irakische POWs gezwungen, sich vor laufender Kamera nackt auszuziehen. Warum machen es die Amerikaner ihren Kritikern so leicht? Reine Plumpheit, eine PR-Panne – oder Strategie?
Eine mögliche Antwort liefern die Vordenker der im Pentagon herrschenden Ideologie: Wenn ich, als Europäer «einer von der Venus» (Robert Kagan), denke, die Amerikaner wollten sich als stringent argumentierende, konsequent handelnde Macht darstellen, vergesse ich: Die Amerikaner sind «vom Mars», und Marsianer wollen nicht geliebt, nicht einmal verstanden – sie wollen gefürchtet werden. Wenn ein Amerikaner einen Iraker zwingt, sich vor der Kamera auszuziehen, wenn Journalisten beschossen werden, dann heisst die Botschaft: Wir setzen uns über sämtliche Normen hinweg – auch über die, auf die wir uns selber eben noch berufen haben.
Hier geht es nicht mehr um einen «chirurgischen» Krieg. «By God we've kicked that Vietnam syndrome forever», hatte Vater Bush 1991 gesagt. Der «saubere» Wüstenfeldzug war die perfekte Antithese zum «dreckigen» Dschungelkrieg: Kriegführen als Therapie. Doch nun heisst das Trauma nicht mehr Vietnam, sondern 9-11. Am 11. September wurde die stärkste Militärmacht der Welt von Männern mit Teppichmessern gedemütigt. Gegen dieses Trauma richten «chirurgische» Operationen wenig aus. Da muss die Botschaft heissen: Wir sind stark; da braucht es deutlichere Signale. Da braucht es Authentizität, und die «eingebetteten» Journalisten (eine Idee Rumsfelds) liefern sie. Wenn die arabischen Sender wieder und wieder betonen, wie brutal der Krieg, wie zynisch die amerikanische Politik sei: Sie tragen die richtige Botschaft zum richtigen Publikum. Die Vorstösse ins symbolische Herz der Macht, Saddams Paläste, die Live-Berichte über vergoldete WC-Schüsseln noch vor dem Fall Bagdads: Sie sind ein Ritual des Triumphs.
Den Tag der Eroberung Bagdads hat Rumsfeld mit dem Fall der Diktaturen in Osteuropa gleichgesetzt. Zwar waren die 89er-Revolutionen gewaltfrei und selbst gemacht. Doch die GIs, die vor dem Hotel der Journalisten eine Saddam-Statue stürzen, liefern die passende Illustration zur schiefen Analogie. Die Symbolkraft dieser Bilder ist so stark, dass auch die arabischen Sender nicht um sie herumkommen; Abu Dhabi baut den Denkmalsturz gleich in mehrere Jingles ein. Dass weiterhin «heftige Kämpfe» mit «sehr vielen irakischen Opfern» gemeldet werden, fällt nicht ins Gewicht: Man sieht nichts davon.
Ich ahne schon den Hohn, der diejenigen treffen wird, die vor einem langen Krieg warnten (obwohl diese Kassandren wohl kaum so falsch gelegen wären, wäre die irakische Armee so gefährlich gewesen, wie man zur Rechtfertigung des Feldzugs behauptete). Bestätigt sich nun doch die Erzählung der ersten Tage – der Krieg als Spaziergang? Trotz dem vielen Leid und den katastrophalen Folgen in vieler Hinsicht – in den Massstäben des Kriegs gemessen war es ein Spaziergang. Der britische Militärpublizist John Keegan sagt auf CNN: «Das war kein Krieg, sondern ein Zusammenbruch.»
Die letzten Tage
Auffallend viele Kinder zerreissen Saddam-Bilder, schlagen auf Saddam-Statuen ein. Lernen nicht Kinder besonders schnell, was Kameraleute von ihnen erwarten? Al-Dschasira erinnert an ein arabisches Sprichwort: Wenn die Kuh fällt, wird sie geschlachtet. Könnte der Jubel blosser Opportunismus sein, nicht repräsentativ für die Bagdader Bevölkerung? Ich zögere, so zu denken, verdächtige mich, nicht wahrhaben zu wollen, was nicht in mein Weltbild passt. Die «Zeit» wirft, einen Tag nach dem Fall Bagdads, all denen «Kaltherzigkeit, Herablassung und Rechthaberei» vor, die in den Szenen etwas anderes als den Ausdruck reiner Freude des irakischen Volkes sehen wollen. Wie schnell doch auch eine Wochenzeitung veraltet: Als ich die «Zeit» lese, sind die Demonstrationen gegen die Amerikaner längst viel grösser, als es die Freudenkundgebungen waren.
Die letzten Tage sind traurige Tage. Jetzt sehe ich in einer CNN-Reportage das Bild, das mich in den hundert Fernsehstunden am stärksten berührt: Ein Junge hält die Infusionsflasche für seine verletzte Schwester hoch, weil der Ständer für die Flasche von Plünderern gestohlen wurde. Rumsfeld beklagt sich derweil, dass die Medien über Plünderungen berichten, wo doch ein Land befreit worden sei. Für die Zerstörung des mesopotamischen Kulturerbes hat er nur Spott übrig: «Gibt es denn so viele Vasen im ganzen Land?»
Habe ich nun Krieg gesehen? An meinem letzten Beobachtungstag gibt Bush eine Antwort. «Wir definieren Krieg nach unseren Begriffen neu. (...) Unser Militär ist stark. Der Charakter unseres Militärs widerspiegelt den Charakter unseres Landes.»