Es war eine der folgenreichsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte: Mit der Ammoniaksynthese konnten die unerschöpflichen Stickstoffreserven der Luft nutzbar gemacht werden. Nie zuvor hatte der Mensch so massiv in einen natürlichen Stoffkreislauf eingegriffen. Synthetisches Ammoniak veränderte den Krieg, die Industrie, den Charakter der Landwirtschaft und die Umwelt. |
Am 14. September 1909 meldeten Fritz Haber und Carl Bosch beim deutschen Reichspatentamt ein Verfahren an, mit dem sich in industriellem Massstab der Gestank ungepflegter Pissoirs reproduzieren liess. Es sollte sich als eine der folgenreichsten Erfindungen der Menschheit herausstellen. Fritz Haber war es gelungen, Ammoniak (NH3) künstlich herzustellen – ein ätzendes, giftiges und stark übel riechendes Gas, das in der Natur beim Abbau von Harnstoff entsteht. Zusammen mit Carl Bosch entwickelte er die Ammoniaksynthese zu einem Industrieverfahren weiter, ohne das der erste Weltkrieg anders verlaufen und die Bevölkerung im 20. Jahrhundert nicht in dem bekannten Ausmaß explodiert wäre. Die Welt im frühen 21. Jahrhundert sähe der Welt des frühen 20. Jahrhunderts sehr viel ähnlicher, gäbe es kein synthetisches Ammoniak.
Hans-Werner Sinn, der «Papst des Neoliberalismus», kritisiert die Klimapolitik - und trifft den Nagel auf den Kopf. Man sollte ihn ohne falsche Ängste lesen. – Rezension von «Das grüne Paradoxon» in der «WOZ Die Wochenzeitung» vom 5. März 2009 Ende dieses Jahres soll in Kopenhagen das neue Abkommen gegen den Klimawandel verabschiedet werden. Dass das erste solche Abkommen, das Kioto-Protokoll, es nicht schaffen wird, die Emissionen zu senken, ist jetzt schon klar. Das liegt sicher nicht daran, dass nichts geschähe. Es geschieht das Falsche: Statt den Klimawandel zu stoppen, scheinen viele Massnahmen lediglich dazu geeignet, aus der vorgeblichen Bekämpfung des Klimawandels Profit zu schlagen. Das August-Folio «Was wäre, wenn ...» widmet sich der kontrafaktischen Geschichtsschreibung. Oft hätte nur wenig gefehlt, und eine historische Entwicklung wäre ganz anders verlaufen. Auf die Frage einer Journalistin, weshalb die Autoindustrie nicht «umweltfreundlichere» Autos baue, sagte der Chef des Verbands der Deutschen Automobilindustrie im letzten Herbst: «Müsliautos interessieren keinen.» Nein, mit Herzblut sind die Autobauer noch nicht dabei, wenn es darum geht, vom Verbrennungsmotor wegzukommen. Aber immerhin: Sie arbeiten daran. Elektroautos sind am Kommen. Die technische Knacknuss dabei ist der Energietransport. Heutige Batterien können, gemessen an ihrem Gewicht, nur ein Hundertstel soviel Energie speichern wie ein Benzintank. Die Energiedichte von Erdöl ist unschlagbar. Diese ist aber wichtig, wenn man starke, schnelle und schwere Autos bauen will, die mit einmal Tanken viele hundert Kilometer weit fahren können. Dabei hätte es anders kommen können. Um 1900 standen drei Antriebsarten miteinander in Konkurrenz: Dampfmaschine, Elektro- und Verbrennungsmotor. Elektroautos dominierten um 1900, und langsam waren sie auch nicht: Das erste Auto, das 100 Stundenkilometer erreichte, war 1899 ein elektrisches. Dass Treibstoffe aus Biomasse Unsinn sind, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Nun taucht eine Pflanze auf, die nur Vorteile haben soll: Jatropha. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 21. Februar 2008 Jung und selbstbewusst lacht Elsa Pellet vom ganzseitigen Foto. Das «Pro Natura Magazin» hat die Studentin der ETH Lausanne porträtiert als eine, die sich gegen den Klimawandel engagiert: Sie hat ein Büchlein über die Ölfruchtpflanze Jatropha curcas geschrieben, die «beste der Energiepflanzen».* In einer Art Vorspann zum Büchlein tritt ein Skeptiker auf: «Na, übertreib mal nicht, wir kennen all die Mediencoups, mit denen wieder ein neues Wundermittel versprochen wird ...» Worauf die Autorin antwortet: «Und doch ist es wahr.» Interview mit Rolf Peter Sieferle, Professor für Geschichte an der Universität St. Gallen. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 22. November 2007 Vorbemerkung: Rolf Peter Sieferle, der 2016 starb, hat sich in seinen jüngsten öffentlichen Aussagen und Publikationen wie «Finis Germania» (postum 2017; laut «Tages-Anzeiger» eine «besonders perfide antisemitische Schrift») als rechtsradikaler Autor geoutet. Ich wusste, als ich Sieferle 2007 interviewte, nichts von seiner Gesinnung, und ich merkte auch nichts davon bei der Lektüre seiner umwelthistorischen Schriften oder beim Interview. Entwerten spätere unsägliche Äusserungen eines Autors das, was er früher sagte? Auf jeden Fall ist Sieferle ein Beispiel für den Umstand, der mich erschreckt, dass ein ökologisches Denken, das ich für richtig und wichtig halte, zu kulturpessimistischen bis menschenverachtenden Ansichten führen kann. Von seinem Schreibtisch der Universität St. Gallen aus sieht Rolf Peter Sieferle einen Bauernhof mit Futtersilo. Um so bodenständige Dinge wie Futter – allgemeiner: um Energie- und Materialflüsse – dreht sich die Arbeit des Historikers. Sieferle gehört zu den Begründern des Konzepts des «gesellschaftlichen Stoffwechsels». Grob lassen sich gemäss diesem Konzept in der Geschichte drei grosse Energiesysteme ausmachen: Jäger- und Sammlergesellschaften schöpften Energie aus den solaren Energieflüssen, indem sie der Natur essbare Pflanzen, Fleisch und Brennholz entnahmen. Die Agrargesellschaften griffen gezielt in diese Energieflüsse ein, bauten Pflanzen an, züchteten Tiere, stauten Flüsse. Als es im 18. Jahrhundert erstmals gelang, Steinkohle im grösseren Stil abzubauen, und die Dampfmaschine erfunden wurde, begann das fossile Energieregime. Heute deuten die hohen Ölpreise darauf hin, dass dieses Zeitalter bald vorbei sein könnte; der Klimawandel zeigt, dass es vorbei sein müsste. Doch wie könnte eine postfossile Gesellschaft aussehen?
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AutorMarcel Hänggi, Zürich Themen
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