Weniger eindeutig beantwortet der IPCC die Frage, ob die 1,5 Grad überhaupt noch einzuhalten seien. Die Treibhausgasemissionen müssten bis 2030 um 58 Prozent gegenüber 1990 fallen und bis 2050 netto null erreichen.(Zum Vergleich: Das schweizerische Parlament diskutiert gerade ein Ziel von 50 Prozent, wobei nur ein Teil davon tatsächlich reduziert, der Rest durch «Kompensationen» im Ausland erkauft werden soll.) Netto null bis zur Jahrhundertmitte sei grundsätzlich möglich, heisst es im Bericht. Und wenn man die nötigen Massnahmen richtig anpacke, würden sie sogar dazu beitragen, die globale Armut zu reduzieren und eine «nachhaltige Entwicklung» zu ermöglichen. Nötig wäre dafür allerdings ein «schneller, weitreichender und präzedenzloser Wandel in allen Bereichen der Gesellschaft». Wer immer schon spottete, das Klimaabkommen von Paris habe beschlossen, was sowieso unerreichbar sei, wird sich bestätigt sehen.
Aber auch die skrupulöse Arbeit des IPCC ist nicht einfach «wahr». Im jüngsten Bericht ist der Stand des wissenschaftlichen Wissens gut zusammengefasst, aber zumindest die ökonomisch-sozialwissenschaftliche Forschung zum Klimawandel leidet aufgrund ihrer Methodik unter Beschränkungen. Das hat zur Folge, dass der aktuelle IPCC-Bericht gleichzeitig zu pessimistisch und zu optimistisch ist.
Zu optimistisch ist der Bericht, weil alle wissenschaftlichen Szenarien damit rechnen, dass riesige Mengen CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. In gewissem Umfang ist das möglich und hätte, wenn es durch Aufforstung, durch die Wiederverwässerung trockengelegter Feuchtgebiete oder durch eine humusaufbauende Landwirtschaft geschähe, viele Vorteile über die Klimawirkung hinaus. Aber die meisten Szenarien rechnen auch mit Techniken, die noch unerprobt sind oder enorm viel Platz beanspruchen und mithin die Nahrungsproduktion erheblich konkurrenzieren würden.
Die Szenarien sind aber auch zu pessimistisch, indem sie annehmen, dass es solche Techniken überhaupt braucht. Die Klimaökonomie rechnet Erfahrungswerte in Computermodellen in die Zukunft fort. Mit Unvorhergesehenem können Modelle nicht umgehen. Aber sowohl gesellschaftliche wie technische Entwicklungen verlaufen in Brüchen. Historische Entwicklung ist unberechenbar.
Aber unberechenbar heisst nicht unlenkbar. Die Politik kann beispielsweise verbieten, was als schädlich erkannt ist. ÖkonomInnen kennen in der Regel nur «Anreize», keine Verbote.
Technisch spricht nichts dagegen, dass das 1,5-Grad-Ziel erreichbar ist – und darüber, was dagegen spricht, sagt der IPCC nichts aus: die politischen Machtverhältnisse, die Beharrungskräfte der Fossilwirtschaft.
In einem Satz: Es geht, aber es wird heftiger politischer Kämpfe bedürfen. Oder wie es die «New York Times» formulierte: «Den Klimawandel zu stoppen ist hoffnungslos. Packen wir's an.»