Ist das überhaupt noch zu erreichen? Manche meinen nein. Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur, hat die 2-Grad-Grenze als ein «nettes Utopia» bezeichnet (das so nett notabene nicht wäre – schon bei 2 Grad Erwärmung wären viele Folgen verheerend).
Die dafür nötigen Maßnahmen bewirken dem IPCC zufolge bis 2100 eine «Reduktion des Konsumwachstums» um 0,04 bis 0,14 Prozentpunkte pro Jahr; in der Rechnung nicht enthalten sind die vermiedenen Klimaschäden durch eine andernfalls höhere Erwärmung. «Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten», lautete das Fazit des damaligen Ko-Vorsitzenden der WG3, des deutschen Ökonomen Ottmar Edenhofer, als er den Bericht vorstellte.
Eine optimistische Botschaft – allein: Laut IPCC braucht es dafür ein baldiges, striktes weltweites Abkommen zur Senkung der Emissionen (was in Paris zur Debatte steht, wird nicht ausreichen); es braucht mehr Atomkraft und CO2 muss in großem Stil aus der Atmosphäre entfernt und sicher gelagert werden – was bis heute nicht möglich ist. So heißt es im IPCC-Bericht selbst: «Die Annahmen, die nötig sind, um eine wahrscheinliche Chance zu erhalten, die Erwärmung auf zwei Grad zu beschränken, sind unter Bedingungen der realen Welt sehr schwer zu erreichen.»
ETH-Professor Anthony Patt: «Es war frustrierend»
Weil wir aber in einer realen Welt leben: Müssen wir uns in unser Schicksal ergeben? Was taugt der IPCC-Bericht, wenn es um Lösungen geht, tatsächlich?
In seinem Zürcher Büro treffe ich Anthony Patt, Professor für Klimaschutz an der ETH Zürich, der als so genannter Hauptautor am jüngsten IPCC-Bericht beteiligt war. Meine erste Frage beantwortet er, bevor ich sie habe stellen können: «Ich war als Nicht-Ökonom ein Außenseiter in der WG3.» Nicht-ökonomische Betrachtungsweisen hätten nur eine geringe Rolle gespielt, und unter den Ökonomen hätten die Neoklassiker dominiert. «Die Autorenkollektive fast aller Kapitel wurden von neoklassischen Ökonomen geleitet. Es war frustrierend.»
Als neoklassisch bezeichnet man das Theoriegebäude der wirtschaftswissenschaftlichen Orthodoxie. Ihm zufolge führt der Markt zu Ressourcenallokationen, die aus gesamtgesellschaftlicher Sicht optimal sind. Nun ist das etwa mit Blick auf den Klimawandel ganz offensichtlich nicht der Fall. Für die Neoklassik liegt hier ein «Marktversagen» vor, zu dem es kommt, weil Umweltwirkungen als «externe Effekte» nicht vom Markt erfasst sind. Die Lösung von Umweltproblemen besteht mithin nicht darin, dem Markt ein Korrektiv entgegenzustellen, sondern darin, sein Wirken auch auf die «externen Effekte» auszudehnen – etwa, indem man das Recht, die Umwelt zu beanspruchen, zum Handelsgut macht.
«Akzeptierte Methode»
Das IPCC hätte sich von weltanschaulichen Prämissen fern zu halten: Es soll, seinem Auftrag gemäß, «politisch relevante Informationen bieten, ohne eine bestimmte Politik vorzuschreiben». Doch schon die Kernaussage des dritten Teilberichts beinhaltet eine klare weltanschaulich bedingte – neoklassische – Präferenz: Das IPCC drückt die Kosten politischer Maßnahmen dadurch aus, um wie viel sie das Wachstum des Konsums gegenüber einer hypothetischen Welt, in der es keine Klimapolitik, aber auch keinen Klimawandel gibt, reduzieren. Um etwa die Erwärmung auf unter 2 Grad zu beschränken, würde das Wirtschaftswachstum um 0.04 bis 0.14 Prozentpunkte sinken. Ottmar Edenhofer rechtfertigt die Wahl dieses Indikators auf Anfrage als eine in der Wissenschaft akzeptierte Methode. Das IPCC bewerte ja nicht, ob die Konsumverluste zu hoch oder zu niedrig seien. Aber genau das tut es, wenn es «Reduktion des Konsumwachstums» mit «Kosten» gleichsetzt.
Nehmen wir an, ein Staat beschließe, aus Klimaschutzgründen auf den Bau einer geplanten Straße zu verzichten. Es gäbe weniger Verkehr und mithin weniger CO2-Emissionen, aber auch weniger Unfälle, entlang der nicht gebauten Straße eine bessere Lebensqualität – und man sparte sich die Baukosten. Drückt man die Kosten einer politischen Maßnahme aber als «Reduktion des Konsumwachstums» aus, dann muss eine solche günstige Maßnahme als teuer erscheinen. Den Klimawandel in erster Linie als Kostenfrage zu sehen, bedeutet, andere Sichtweisen – soziologische, geopolitische, ethische, aber auch ökonomische, die statt nach Wohlstandsmaximierung nach Wohlstandsverteilung fragen – zu marginalisieren.
Edenhofer lässt den Vorwurf der Einseitigkeit nicht gelten: «Ein hoch diverses Autorenteam gibt die gesamte Bandbreite wissenschaftlich fundierter Sichtweisen wieder, auch da, wo es Widersprüche gibt.»
Sogar die Schönheit der Natur wird einmal erwähnt
Tatsächlich enthält der jüngste IPCC-Bericht je ein Kapitel über Ethik sowie über nachhaltige Entwicklung und Gerechtigkeit – in den ersten vier Berichten gab es das nicht. Man kann dort unter anderem nachlesen, weshalb gewisse Methoden zur Bewertung verschiedener Klimapolitiken nicht viel taugen – Methoden, auf die sich die anderen Kapitel des Berichts stützen.
Und tatsächlich findet man auf den 1400 Seiten des Teilberichts viele Aussagen, die der Sichtweise der Wachstumsmaximierung widersprechen. Dass weniger Konsum, namentlich eine Verringerung des Fleischverzehrs und eine Förderung des Fuß- und Fahrradverkehrs zulasten der Autos, hülfen: Es steht drin. Sogar die Schönheit der Natur wird einmal erwähnt.
Doch all das findet meist in kurzen Abschnitten statt, und die Analysekategorie der Macht fehlt ganz – der ökonomischen und politischen Macht von Energiekonzernen und mit ihr verbandelter Regierungen, Wandel zu blockieren. Die nicht-ökonomischen Sozialwissenschaften sind in der Arbeitsgruppe 3 des IPCC schwach, die Geisteswissenschaften marginal vertreten. Das gilt für die Autorschaft als Ganze, es gilt aber besonders für die zwanzig bis dreißig AutorInnen, die laut einer jüngst in «Nature Climate Change» publizierten Studie die Fäden ziehen. Das Autorenteam ist nicht so «hoch divers», wie Edenhofer sagt.
«Umbau der Weltwirtschaft»
Die Neoklassik dominiert die Wirtschaftswissenschaften, aber es gibt andere Schulen. Clive Spash von der Wirtschaftsuniversität Wien ist einer der fundiertesten Kenner der Klimaökonomie und rechnet sich der ökologischen Ökonomik zu. Spash findet den IPCC-Bericht «sehr problematisch». Zwar glaubt er, dass das 2-Grad-Ziel noch zu erreichen sei, und man brauche dafür nicht einmal unerprobte Techniken. Hingegen brauche es tief greifende Veränderungen des Produktionssystems. Doch «der IPCC-Bericht handelt davon, wie das bestehende System über den Klimawandel hinweg gerettet werden kann», sagt Spash.
Das wichtigste Arbeitsinstrument der neoklassischen Umweltökonomie ist das Computermodell, mit dem sich verschiedene Szenarien durchrechnen und Kosten-Nutzen-Analysen erstellen lassen. Der Kritik dieses Ansatzes hat Spash ein ganzes Buch gewidmet. Die Zukunft im Computer zu modellieren, ist für ihn prinzipiell falsch: «Es ist Irrsinn zu glauben, man könne heute wissen, was in hundert Jahren ‹kosteneffektiv› sein wird – schon mit einem Zeithorizont von zwanzig Jahren ist das unmöglich.»
Was müsste also geschehen? «Es gibt keine einfache Lösung», sagt Spash. «Wir müssen den Umbau der Weltwirtschaft auf die Agenda setzen.»
Alle Kühe müssen weg
Ist Spash der kritische Pessimist, so kritisiert Anthony Patt den Bericht, an dem er mitgearbeitet hat, gewissermaßen von optimistischer Seite; konzilianter im Ton, aber kaum weniger hart in der Sache. Auch Patt hält es für verfehlt, die Maximierung des Wirtschaftswachstums anzustreben; anders als die ökologischen Ökonomik hält er ein gewisses Maß an Wirtschaftswachstum aber für nötig und möglich.
Die ganze Analyse des IPCC laufe darauf hinaus, sagt Patt, den Klimawandel als eine «Tragik der Allmende» zu verstehen. Wie auf einer Gemeinschaftsweide – einer Allmende –, auf der zu viele Kühe weiden, werde das Gemeingut Atmosphäre von zu vielen Treibhausgasemissionen belastet. Niemand will seine Nutzung der Weide zu reduzieren, solange nicht alle mitmachen. Reduzieren aber alle Viehbesitzer gemeinsam die Zahl ihrer Kühe, profitieren am Ende auch alle, weil der Ertrag der Weide steigt. Die Antwort der orthodoxen Ökonomie auf eine solche Situation besteht darin, die Allmende zu privatisieren respektive käufliche Nutzungsrechte auszugeben.
Gegen diese Sichtweise bringt Patt einen grundsätzlichen und einen pragmatischen Einwand vor. Der grundsätzliche: Es geht nicht darum, die Emissionen lediglich zu reduzieren; sie müssen ganz aufhören. Die Atmosphäre kennt kein optimales Nutzungsniveau, bei dem ihr «Ertrag» als CO2-Abfalleimer maximiert wäre. Alle Kühe müssen weg. Der pragmatische Einwand: Die internationale Klimapolitik versucht seit zwanzig Jahren, den Klimawandel als globales Gemeingut zu verwalten, etwa im Kyoto-Protokoll oder im EU-Emissionshandelssystem. Gelungen ist es bis dato nicht.
Technikwende statt Tragik der Allmende
Doch das macht Patt nicht zum Pessimisten: «Ich glaube auch, dass es ‹nicht die Welt kostet, den Planeten zu retten›, und es braucht keine Atomkraft oder unerprobte Techniken und nicht einmal ein bindendes globales Abkommen. Was es braucht, ist eine Technikwende.» Patt glaubt, eine globale Wende hin zu erneuerbaren Energien stehe bevor – und solche Wenden vollzögen sich mitunter sehr schnell: «Bis vor wenigen Monaten gingen fast alle Fachleute davon aus, dass das Stromnetz gewaltig ausgebaut werden müsse, wenn immer mehr Wind- und Sonnenenergie ans Netz geht, weil nur so die Produktionsschwankungen zwischen den Standorten ausgeglichen werden könnten. Doch im Juni dieses Jahres drehte der Wind plötzlich. Was war geschehen? Eine neue, viel billigere Batterie ist auf den Markt gekommen.»
Das heißt für Patt aber nicht (wie für viele andere), dass wir die Arme verschränken und auf die Fortschritte der Technik warten können. Denn häufig setzten sich bei solchen Transformationen Techniken durch, die auf dem Markt zu Beginn keine Chance hätten. Der Grund dafür sind Pfadabhängigkeiten: Eine dominante Technik prägt ihr Umfeld; Infrastrukturen, Institutionen und auch Mentalitäten bilden sich mit ihr aus. Jede neue Technik passt nun zunächst einmal schlechter in dieses Umfeld als die eingespielte, selbst wenn sie «objektiv» gesehen klar überlegen wäre. Der IPCC-Bericht diskutiert dieses Phänomen an mehreren Stellen.
Nur mit gezielter Förderung können neue Techniken Pfadabhängigkeiten überwinden. Für Patt sind es Staaten wie Deutschland mit seiner «Energiewende» oder auch Kalifornien, die den Weg weisen. Bloße Emissionszahlen interessieren ihn wenig: «Wenn ein Land seine Emissionen allein dadurch senkt, dass es die Energieeffizienz steigert, sorgt es nur dafür, länger auf dem falschen Pfad bleiben zu können.»
Klimawandel als Demokratieproblem
Um mit Technikwenden umzugehen, sind die Modelle der Umweltökonomen aber das falsche Instrument – sagt Patt, aber sogar im IPCC-Bericht selber steht: «Neoklassische Modelle haben eine begrenzte Aussagekraft, um Übergänge zwischen Entwicklungspfaden zu erklären.»
Dem pflichtet auch Matthew Paterson bei. Der Politologe der Universität Ottawa hat sowohl als Hauptautor in der WG3 des IPCC mitgearbeitet, wie er auch über das IPCC forscht – der oben erwähnte Artikel in «Nature Climate Change» stammt unter anderem von ihm. «Neoklassische Modelle», sagt er am Telefon, «betrachten den technischen Wandel als etwas, das mit einer konstanten Rate einfach geschieht.» Modelle müssen, wenn sie mehr sein wollen als Kaffeesatzleserei, auf Erfahrungswerten aufbauen – wie sollten solche Modelle Gesellschaften vorhersehen können, die anders funktionieren? «Die Vorstellung einer anderen Welt, in der die Leute anders zusammenleben, anders konsumieren, sich mit dem Fahrrad bewegen: Das ist mit Modellrechnungen überhaupt nicht kompatibel», sagt Paterson. Aber eine Gesellschaft, die die Umwelt nutzt, ohne sie zu zerstören, wird sehr anders sein müssen.
Patersons Hauptkritik ist aber noch grundsätzlicher als die von Spash und Patt: «Das IPCC bemüht sich sehr, seine Resultate als Konsens der Wissenschaften darzustellen. Aber Wissenschaft ist kein Konsensprojekt. Viele Diskussionen um das IPCC verlaufen nach dem Muster: ‹Das IPCC sagt, was geschehen müsste, aber die Politik macht nicht mit – was läuft also falsch?› Diese Idee, dass die Wissenschaft die Wahrheit verkündet und die Politik danach handeln sollte, ist realitätsfremd.» Wichtig, so Paterson, wäre es zu fragen, welche Zwänge die Menschen daran hindern, zu tun, was sie für richtig halten. Dazu werde in Disziplinen wie Soziologie oder Humangeografie viel geforscht, und diese Forschung sei politisch höchst relevant. Aber im IPCC fehlten ihre Einsichten weitgehend.
«Eine Frage der Demokratie»
Meine letzte Gesprächspartnerin ist Amy Dahan-Dalmedico vom Centre Alexandre-Koyré in Paris. In ihrem Buch «Les modèles du futur» schreibt die Wissenschaftshistorikerin: «Der Kern des zeitgenössischen ökonomischen Denkens reduziert Umweltschäden auf Externalitäten, die man internalisieren könnte, indem man ihnen einen Preis gibt.» Ein derart auf ein ökonomisches Problem reduziertes Denken, sagt Dahan im Gespräch, schließe die Möglichkeit, sich wahre Alternativen vorzustellen, von vornherein aus. Die Folgerung, die sie daraus zieht, richtet sich nicht nur an das IPCC, sondern an das ganze «klimapolitische Regime» – an die Wissenschaften, die Uno, die Regierungen, Umweltorganisationen: «Der Klimawandel muss neu aufgefasst werden – als eine Frage der Demokratie.»
IPCC: Climate Change 2014 – Mitigation of Climate Change, Cambridge UK 2014; als PDF unter http://mitigation2014.org/report
Esteve Corbera, Laura Calvet-Mir, Hannah Hughes und Matthew Paterson: «Patterns of authorship in the IPCC Working Group III report», in: Nature Climate Change, 7. September 2015
Amy Dahan-Dalmedico (Hg.): Les modèles du futur. Changement climatique et scénarios scientifiques et politiques, Paris 2007
Anthony Patt: Transforming Energy. Solving Climate Change with Technology Policy, Cambridge Mass. 2015
Clive Spash: Greenhouse Economics. Value and Ethics, London/New York 2002