Marcel Hänggi
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«Begreifen, dass wir Teil des Problems sind»

17/12/2015

 
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Die Ziele des Klimaabkommens von Paris sind gut, findet Kevin Anderson vom Tyndall Center for Climate Change Research. Aber kaum jemand sei sich wirklich bewusst, wie schwierig es schon ist, die Ziele zu erreichen – und eine verharmlosende Wissenschaft trage ihren Teil zum Schlamassel bei. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 17. Dezember 2015


BildKevin Anderson
Es war im Spätsommer während meiner Recherchen zum Bericht des Weltklimarats IPCC, als ich zwei-, dreimal mit Kevin Anderson mailte. Ich wollte ihn interviewen, doch kam das Interview schliesslich nicht zustande – er war sehr beschäftigt und ich hatte schliesslich auch so genug Material. Dabei hatte er mich neugierig gemacht. Angesprochen auf das IPCC – dem er nicht angehört –, schrieb er mir, er sei ein grosser Fan dieses Gremiums. Um gleich zu relativieren: Das gelte vor allem für dessen naturwissenschaftlichen Aussagen und viel weniger für den Rest.

Kevin Anderson ist Professor für Energie und Klimawandel an der Universität Manchester und Vizedirektor des Tyndall Center for Climate Change Research. Er ist nicht nur einer der renommiertesten Klimaforscher; er ist auch einer, der sich deutlicher als andere öffentlich äussert. Am zweitletzten Tag der UN-Klimakonferenz in Paris geben er und vier Kollegen in einem berstend gefüllten Saal des Konferenzgeländes eine Pressekonferenz. Die fünf sind sich einig: Es ist gut, anerkennt die Politik die Notwendigkeit, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau zu begrenzen (das sind 0,5 Grad über dem heutigen Niveau), doch der Vertrag bleibt weit dahinter zurück, dies zu gewährleisten.
​

Ich treffe Kevin Anderson am Tag vor der Pressekonferenz zu einem Kaffee.
Kevin, was meinten Sie damals, als Sie Ihr Lob für das IPCC auf dessen naturwissenschaftliche Aussagen reduzierten? 

Kevin Anderson: Das IPCC leistet hervorragende Arbeit. Wir Klimaforscher haben ja das Problem, dass der Klimawandel schnellere Antworten erfordert, als es der wissenschaftliche Prozess normalerweise zulässt. Trotzdem sind die IPCC-Berichte sehr gut, und ich halte den IPCC-Prozess für den gewissenhaftesten [most scrutinized] wissenschaftlichen Prozess, den es je gab. All die massiven Angriffe der Klimaleugner haben ihm nichts anhaben können. Aber wenn es um die Frage geht, was angesichts des Klimawandels zu tun sei, bemühen sich die IPCC-Autoren sehr, den Rahmen dessen, was politisch und ökonomisch als normal gilt, nicht zu verlassen. Sie schrauben so lange an den Annahmen herum, bis ihre Modelle Resultate liefern, die politisch erträglich scheinen. 

Tun sie das bewusst, oder sind sie selber in ihrem Denken gefangen?

Das sind intelligente Leute, die wissen, was sie tun! Meine Interpretation ist die, dass sie sich innerhalb des Mainstream-Diskurses bewegen wollen, und dafür haben sie durchaus gute Gründe. Denn wenn man gewisse Grundannahmen über unsere Welt infrage stellt, wird man auf Ablehnung stossen. 

Und dann hört sowieso niemand auf sie.

Das fürchten sie. Aber als Wissenschafter sollten wir uns nicht darum kümmern, ob die Leute mögen, was unsere Forschung ergibt, sondern bloss darum, ob es valable Einwände dagegen gibt. Stattdessen schrauben wir an den Annahmen herum, die unseren Szenarien zugrunde liegen, bis wir ein Resultat erhalten, das zum herrschenden Paradigma passt. Das ist nicht wissenschaftlich! Die Politik müsste sich darauf verlassen können, von uns die bestmöglichen Informationen zu erhalten. Wie sie es dann ihren Wählern vermittelt, ist nicht unsere Sache. 

Es ist in den Klimawissenschaften seit längerem üblich, mit Kohlenstoff-Budgets zu rechnen: Wenn man die Erwärmung auf x Grad begrenzen will, hat man noch ein Budget von y Gigatonnen CO2, die in die Atmosphäre gelangen dürfen. Bei der Berechnung der Budgets gibt es aber zwei grosse Unsicherheitsfaktoren. Das eine sind selbstverstärkende Rückkoppelungseffekte; sie schmälern das Budget.

Beispielsweise ist in gefrorenen Böden viel Methan gespeichert – ein Treibhausgas. Tauen die Böden, könnte plötzlich sehr viel davon freigesetzt werden. Das andere sind «Negativemissionen» – hypothetische künftige Techniken, mit denen sich CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen und sicher entsorgen lässt. Sie vergrössern das Budget. 

Kevin Anderson sagt, es sei heute üblich geworden, in den Szenarien anzunehmen, dass Negativemissionen in naher Zukunft möglich sein werden. Unerwartete Rückkoppelungseffekte dagegen berücksichtigten die Szenarien nicht. Selbst die Rechnung, wonach die bisher zugesagten klimapolitischen Massnahmen der Staaten zu einer Erwärmung von 2,7 oder 3 Grad führten, basierten auf dieser Sichtweise. Gebe es aber, womit zu rechnen sei, dereinst keine funktionierenden Negativemissionstechniken, befänden wir uns auf einem Pfad zu einer Erwärmung um 4 oder mehr Grad.

So zu rechnen, sei «sehr gefährlich» und «sehr irreführend für die Politik».


Selbst wenn man von den optimistischen Szenarien ausgeht, ist die Klimapolitik  unzureichend – und alle wissen das. Ich habe nicht den Eindruck, dass ein Mangel an wissenschaftlicher Information das Hauptproblem sei.

Es stimmt, dass die Politiker – aber man sollte nicht generalisieren: dass viele Politiker radikale Massnahmen scheuen. Aber nur dank einer verharmlosenden Wissenschaft sind sie in der Lage zu behaupten, wir könnten das 2-Grad-Ziel einhalten, ohne radikale Massnahmen zu ergreifen. Statt zu sagen: Es gibt da ein paar Grundsatzfragen, die wir stellen müssen. Beispielsweise, wie die Verantwortung für den Klimawandel verteilt ist. Warum zehn Prozent der Weltbevölkerung für die Hälfte aller Emissionen verantwortlich sind. Wir fürchten uns, genau hinzuschauen, denn dann sähen wir: Die Emissionen kommen von Leuten wie uns. Wir müssen unser Leben sehr stark ändern, und nicht zwangsläufig in eine Richtung, die man als Politiker den Leuten gerne verspricht. Damit wir die 2 Grad noch schaffen, muss in naher Zukunft etwas sehr Grosses passieren, und damit meine ich nicht erst in fünf Jahren. 

Das Pariser Abkommen hat zum Ziel, die Erwärmung «deutlich» unter 2 Grad und wenn möglich unter 1,5 Grad zu halten. Geht das überhaupt noch?

Wohl nur mit Negativemissionen – und auch dann nur, wenn es keine unerwarteten Rückkoppelungseffekte gibt. Trotzdem finde ich das 1,5-Ziel politisch richtig. Es ist wichtig, dass die Leute, die besonders verletzlich sind, darauf insistieren, dass für sie schon eine Erwärmung um mehr als 1,5 Grad unerträglich wäre – als Gegengewicht zu den vielen, die sagen, wir sollten uns auf eine 3 oder 4 Grad wärmere Welt einstellen.  

An der Klimakonferenz ist viel von der Notwendigkeit die Rede, die fossilen Emissionen loszuwerden. Diese machen aber nur zwei Drittel aller Treibhausgasemissionen aus; es bleibt das restliche Drittel – CO2 aus Abholzung und Landnutzung und andere Gase wie Methan oder Lachgas. 

Richtig, und es ist sehr schwer, die loszuwerden, vor allem die landwirtschaftlichen. Es gäbe viele landwirtschaftliche Praktiken, die weniger Treibhausgase freisetzen, aber man wird die Emissionen nie ganz auf null bringen, wie es im Energiesektor möglich ist. Also müssen wir die fossilen Emissionen nur umso schneller reduzieren. – Aber ich sehe es nicht so, dass hier vor allem davon die Rede sei, wie man die fossilen Energien los werde: Es ist vor allem die Rede davon, wie man die erneuerbaren ausbaut. Das ist nicht das selbe! Für das Klima ist irrelevant, wie viel erneuerbare Energie wir produzieren oder wie effizient wir Energie nutzen; es zählt einzig, wie viel oder wenig Kohlenstoff wir verbrennen. Wir müssen die fossilen Emissionen bis 2050 aus dem Energiesystem verbannen, der reiche Teil der Welt deutlich früher – vielleicht bis 2035. Ich glaube nicht, dass sich viele Politiker dessen bewusst sind. Das ist weit von dem entfernt, was hier diskutiert wird. Es ist eine Herausforderung, die mit einem Krieg vergleichbar ist. Und wenn dann der ärmere Teil der Welt bis 2050 auch aussteigt, dann reicht das eben gerade aus, um die 2 Grad nicht zu überschreiten. 

Eine extreme Aussage.

Wenn ich das unter Fachkollegen sage, widerspricht mir niemand. Aber alle fürchten sich vor den Folgen unseres Wissens für die Politik und unsere Lebensstile. Die Klimakonferenz reflektiert das auf keine Weise, insofern bin ich ziemlich desillusioniert. 

Haben Sie mehr erwartet?

Es gab hier in Paris vor einem halben Jahr eine wissenschaftliche Konferenz über Negativemissionen. Da war die Möglichkeit, dass keine dieser Techniken funktionieren wird, ein grosses Thema. Deshalb hoffte ich, man würde auch hier etwas mehr Kritik hören. 

Eines der Forschungsthemen Andersons sind Emissionen aus der internationalen Luft- und Seefahrt. Diese beiden Sektoren emittieren zusammen so viel CO2 wie Deutschland und Grossbritannien, Tendenz schnell steigend. Das Uno-Rahmenabkommen zum Klimawandel aus dem Jahr 1992 klammert diese Emissionen aus, und das Pariser Abkommen ändert daran nichts – das sei, sagt Anderson, als würden zwei grosse Länder von allen Verpflichtungen ausgenommen.

Kevin Anderson, dessen Lehrstuhl zur School of Mechanical, Aerospace and Civil Engineering seiner Uni gehört, fliegt seit elf Jahren nicht mehr. Es ist der Grund, weshalb Anderson nicht im IPCC mitarbeitet, dessen Sitzungen rund um die Welt stattfinden.


Wie reagieren die Leute, wenn Sie Ihnen sagen, dass Sie nicht fliegen? 

Sie rutschen nervös auf dem Stuhl hin und her… Ein Kollege, den ich hier getroffen habe – ein Klimaforscher, vor dem ich viel Respekt habe – ist aus England nach Paris geflogen. Er sagte, er bewirke hier mehr Gutes, als er mit seinem Flug schade. Er betrachtete sich als Teil der Lösung. Aber wir müssen beginnen zu begreifen, dass wir Teil des Problems sind. Sonst verstehen wir nicht, worum es geht.

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    Autor

    Marcel Hänggi
    ​

    Journalist und Buchautor
    dipl. Gymnasiallehrer​
    Dr. phil. h.c.
    ​Mitarbeiter Schweizerische Energie-Stiftung
    ​
    Zürich


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