Es ist leicht, Beispiele zu finden, die Andreas Recht geben – ich denke an die Legion der Klimawandel-Zweifler. Und für Ausfälle à la «Weltwoche» («Vor diesen Professoren wird gewarnt» im Herbst 2012 oder jüngst: «Propaganda Academica») würde ich gröbere Wörter brauchen als «klugscheisserisch» – hier übt sich die «Weltwoche» in dem, was unser amerikanischer Kollege Chris Mooney für sein Land «The Republican War on Science» (Cambridge MA: Basic Books, 2005) nennt.
Aber setze ich mich zwangsläufig mit Wissenschaftsfeinden ins selbe Boot, wenn ich Wissenschaft kritisch begleite und ihre Qualität bewerte?
Ich zitiere im Kurs jeweils auch eine Aussage des Neurobiologen Gerhard Roth. Er sagt in einem Interview, Glückshormone sollten Menschen «offenbar antreiben, immer neue Dinge auszuprobieren, immer neue Arten von Belohnungen zu erhalten.» Hier fehlt der zeitliche Abstand, aber kehren wir die Blickrichtung um: Wäre eine solche Aussage zu Haeckels Zeit denkbar gewesen? Nein – denn die Idee, die Evolution habe den Menschen so eingerichtet, dass jeder einzelne stets danach trachte, Neues auszuprobieren – innovativ zu sein –, ist eine Idee unserer Zeit und zwar weniger menschenverachtend, aber genauso ideologisch wie Haeckels Rassismus.
Solange ich mit der Zahlentheoretikerin nur über Zahlen und mit dem Klimamodellierer nur über Modelle spreche, kann ich als Journalist nur nicken, und meine Rolle wird auf die des Kommunikators beschränkt bleiben. Doch in wissenschaftliche Aussagen fliessen (fast) immer auch ausserwissenschaftliche Faktoren ein. Und die sind meiner Kritik sehr wohl zugänglich. Ja, weil ich nicht im Fachdiskurs drin stecke, kann ich solche Faktoren oft sogar leichter erkennen als der Wissenschafter. Dazu muss ich nur die richtigen Fragen stellen: Von welchen (oft unausgesprochenen und unbewussten) weltanschaulichen Annahmen geht eine Forschung aus, was für Interessen (zum Beispiel monetäre) spielen nebst dem Erkenntnisinteresse bei Fragestellung und Interpretation mit, welcher Sprachbilder bedient sich ein Wissenschafter, wenn er seine Thesen verteidigt?
Zugegeben: Das geht nicht immer gleich gut. Bei der Zahlentheoretikerin werde ich mich wohl tatsächlich auf die Rolle des Kolporteurs bescheiden müssen. Leicht zu kritisieren ist dagegen die Ökonomie, die zwar gerne mathematisch argumentiert, bei der aber bereits die Grundannahmen ideologiegetränkt sind. Doch selbst an eine so schwierige Disziplin wie die Hochenergiephysik kann der Laie kritische Fragen stellen. Wie das geht, hat der Rechtswissenschafter Eric Johnson in einem höchst amüsant zu lesenden Paper (http://arxiv.org/abs/0912.5480) gezeigt. Physikblogs haben Johnson vorgeworfen, über etwas zu schreiben, wovon er nichts verstehe, aber der Vorwurf geht ins Leere, weil genau das Johnsons Fragestellung war: Er stellte sich vor, er müsste als Richter über eine Klage gegen das Cern entscheiden, die sich auf die Befürchtung stützt, das Cern produziere den Weltuntergang. Kein Richter (und kein Journalist) der Welt ist in der Lage, die Fachargumente nachzuvollziehen, und kein Experte ist unbefangen.Johnson zwigt Wege auf, wie ein Richter (und also auch eine Journalistin) zu einem Urteil kommen kann, wenn er/sie die Art und Weise, wie argumentiert wird, aufmerksam verfolgt.
Und damit zurück zu den Klimaskeptikern: Ist beispielsweise eine Kritik am Umgang des Cern mit seinen Kritikern nicht das selbe wie das, was die «Klimaskeptiker» tun, die doch auch nur die Tugend der Skepsis hochhalten? Nein, ist es nicht. Denn zwar argumentieren letztere tatsächlich oft genau so, wie ich mir gute Wissenschaftskritik an sich vorstelle: Sie verweisen auf ausserwissenschaftliche Interessen und Zwänge der Klimaforscher/innen, zeigen Widersprüche in deren Argumentation auf und so weiter. Sie tun das allerdings vor der Folie eines Wissenschaftsverständnisses, das Wissenschaft als etwas Reines, Objektives, Widerspruchsfreies betrachtet – um dann «Skandal!» zu schreien, wenn sie ihr naives Bild nicht bestätigt finden. Genauso war der «Weltwoche»-Artikel «Propaganda Academica» gebaut: Die Universitäten, schrieb Kollega Reichmuth, verstünden sich «als Hort der unbestechlichen Objektivität» (tun sie das wirklich?) – um dann alles aufzuzählen, was seiner Meinung nach nicht «objektiv» (weil nicht seiner Ideologie entsprechend) war.
Ist man sich dagegen mit kritischem Blick bewusst, dass jede Wissenschaft ihre Begrenzungen und Aporien, ja ihre Fehler hat, wird man nicht gleich alles infrage stellen, nur weil man die eine oder andere Unstimmigkeit entdeckt. Dann kann man Wissenschaft kritisieren, ohne wissenschaftsfeindlich zu sein. Das ist dann weder klugscheisserisch noch billig, und meine Erfahrung sagt, dass man gerade dann von Wissenschaftern ernst genommen – und, ja: auch geschätzt wird.