Marcel Hänggi
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Wir Umweltverwalter

4/14/2016

 
Die Schweizer halten sich für ein besonders ökologisches Völklein. Aber stimmt das? Ein Blick zurück. – «Die Zeit» (Schweiz) vom 14. April 2016

Bild
© Thomas Kuhlenbeck für DIE ZEIT/Agentur Fricke
Wir sind Weltmeister im Aludeckeli- und Altglassammeln. Wir reagierten auf das Waldsterben in den 1980er Jahren mit den strengsten Auto-Abgasvorschriften in ganz Europa. Noch bevor 2005 das Kyoto-Protokoll für den Klimaschutz in Kraft trat, hatten wir unser eigenes CO₂-Gesetz. Und als die Vereinten Nationen ihre Mitglieder im Vorfeld des Pariser Klimagipfels im vergangenen Dezember aufforderten, ihre klimapolitischen Absichten darzulegen, taten wir das als weltweit erstes Land. Mit dem Anspruch – wie das Bundesamt für Umwelt (Bafu) sagte –, "andere Länder zu beeinflussen und einen Standard zu setzen". Ja, wir Schweizer haben bis heute das Gefühl, wir seien ein ausgesprochen umweltbewusstes Völklein. Wir täuschen uns.
Die Schweizer Klimaziele sind nur schwaches Mittelmaß – und kein anderes Land interessierte sich dafür. Vorbei sind die Zeiten, als die Schweiz gehört wurde, weil sie umweltpolitisch etwas zu sagen hatte. Heute bringen rund um den Globus Studentinnen ihre Universitäten, Bürger ihre Städte oder Versicherte ihre Pensionskassen dazu, ihr Geld aus der Erdöl- und Kohlewirtschaft zurückzuziehen. Aber auf dem Finanzplatz Schweiz hat man diese wachsende Bewegung noch kaum zur Kenntnis genommen. Im nationalen Wahlkampf im Herbst 2015 spielte die Umwelt keine Rolle. Vom sogenannten Fukushima-Effekt bleibt nur der Schatten einer "Energiewende". Die CO₂-Abgabe auch auf den Verkehr anzuwenden, versucht man gar nicht erst; allzu sehr fürchtet man das Geschrei der Autolobby. Und an der Urne findet ein neuer Straßentunnel eine komfortable Mehrheit, obschon das Projekt den Alpenschutzartikel verletzt, der seit 22 Jahren in der Verfassung steht.

Hat die Schweiz in den letzten zwei Jahrzehnten den großen umweltpolitischen Backlash erlebt?

Die Frage treibt auch Ueli Haefeli um. Er ist Co-Autor einer Geschichte der Schweizer Umweltpolitik, die 2017 im Auftrag des Bafu erscheinen soll. Eine klare Antwort hat der Historiker und Mitarbeiter des Beratungsbüros Interface nicht. Zwar sei es in den letzten Jahren zu keinen gesetzgeberischen Würfen mehr gekommen. Aber bezüglich Umsetzung sei die Schweiz immer noch gut, Luft- und Wasserqualität seien viel besser als vor zwanzig, dreißig Jahren, und der Fukushima-Effekt habe die Energiedebatte sehr wohl verändert. Vielleicht müsse man statt von einem Backlash eher von einer Normalisierung sprechen: "Die Schweiz war nie per se umweltbewusster als andere Länder. Die achtziger Jahre waren diesbezüglich eine Ausnahmesituation. Unterdessen haben die anderen Länder aufgeholt."

Ohne Lagerfeuer-Romantik gäbe es keine Schweizer Umweltbewegung
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Der Begriff "Umwelt" und das "gesellschaftliche Leitbild Umweltschutz", wie Haefeli es nennt, sind ein knappes halbes Jahrhundert alt. Der Umwelthistoriker Joachim Radkau spricht von der "Ära der Ökologie", die weltweit in den frühen 1970er Jahren begann. In den USA gelang es 1971 einer neuartigen Koalition von Umweltbewegten und Wissenschaftlern, das Projekt eines staatlich finanzierten Überschallflugzeugs zu kippen – was dessen Promotoren völlig überrumpelte. 1972 fand in Stockholm der erste UN-Umweltgipfel statt, und derClub of Rome schreckte mit seinem Bericht Die Grenzen des Wachstums die Weltöffentlichkeit. Wie zur Illustration dieser Grenzen trieb ein Jahr darauf die Opec die Erdölpreise in bisher unbekannte Höhen. Die politisch von rechts kommende Naturschutzbewegung wandelte sich zur Umweltbewegung, die sich mit anderen sozialen Bewegungen der Zeit verband und bürgerliche Vorstellungen von Gesellschaft und Fortschritt hinterfragte. In der Schweiz kristallisierte sich die Umweltbewegung um die Atomkraft-Frage.

Parallel dazu begann die Institutionalisierung der Umweltpolitik: Die USA schafften 1971 ihre Umweltbehörde EPA, die UN 1972 ihr Umweltprogramm Unep. Das Eidgenössische Amt für Umweltschutz, das heutige Bafu, wurde 1971 gegründet, und im selben Jahr stimmte eine Rekordmehrheit von 93 Prozent aller Schweizer und – erstmals – aller Schweizerinnen für einen Umweltartikel in der Verfassung.
Zu den Pionieren gehörte damals das Aargauer Ehepaar Mauch. Die Chemikerin und Politikerin Ursula Mauch spricht von einer "Aufbruchstimmung". Auslöser sei für sie der Bericht an den Club of Rome gewesen. Sie lebte damals in Boston, wo ihr Mann Samuel Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology war. "Da gab es auf dem ganzen Campus einen Monat lang nur ein einziges Thema: die Grenzen des Wachstums. Wir fragten uns, weshalb wir nicht selber darauf gekommen waren."

"Heute ist die Sicht auf die Umwelt vor allem technokratisch"

Zurück in der Schweiz, gründeten die Mauchs zusammen mit Elmar Ledergerber – dem späteren Stadtpräsidenten von Zürich – eines der ersten Umweltbüros: Infras. Ursula Mauch setzte sich als Aargauer Groß- und später als Nationalrätin für Umweltanliegen ein. Zuerst für die lokale, linksfreisinnige Gruppe 67, dann für die SP. Der Ingenieur Samuel Mauch war einer der Autoren des 
NAWU-Reports (1978), einer Art Schweizer Pendant des Berichts an den Club of Rome.

Auch für Aernschd Born war der Club-Bericht ein Weckruf; nebst der Hippiebewegung und den Beatles. Der Liedermacher war in den Siebzigern die musikalische Stimme der Anti-AKW-Bewegung. Er fasste politische Analysen in Lieder, besang aber auch die Lagerfeuer der Bewegung. "Das war für’s Gemüt", sagt Born. "Viele belächeln das heute. Aber ohne die Lagerfeuer, ohne das Gemeinschaftserlebnis wäre Kaiseraugst nicht verhindert worden und gäbe es heute keine Energiewende-Debatte und keine effiziente Fotovoltaik."

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Es herrschte also Aufbruchstimmung – doch in der offiziellen Politik ging zunächst kaum etwas. Mehrere Volksinitiativen, die mehr Umweltschutz forderten, scheiterten an der Urne. Und die Versuche, den 1971 angenommenen Umweltartikel in einem Gesetz zu konkretisieren, ging Mal für Mal schief. Der Widerstand der Wirtschaftsverbände war zu stark. Es sollte bis 1983 dauern, bis das Gesetz schließlich kam – dann aber ging es schnell: Es war die Ausnahmezeit, von der Historiker Haefeli spricht.

Der wichtigste Geburtshelfer des Umweltschutzgesetzes war das Waldsterben. Anders als heute oft behauptet, war dieses kein bloßer Medienhype. Aber richtig ist, dass einige Akteure die Berichte über kranke Wälder geschickt in Szene setzten. Der Spiegel lancierte das Thema Ende 1981. In der Schweiz begann das Waldsterben laut Ueli Haefeli am 1. September 1983. An dem Tag kurz vor der Nationalratsdebatte über das Umweltschutzgesetz rief der bürgerliche CVP-Bundesrat Alphons Egli zu einer Pressekonferenz. Seine Mitarbeiter hatten die serbelnden Wälder als politische Chance erkannt – und ihre Rechnung ging auf. Das Fernsehen übertrug die Parlamentsdebatte direkt, das Gesetz wurde gegen den Widerstand der Wirtschaftsverbände verabschiedet. Samt bissigen Instrumenten wie der Umweltverträglichkeitsprüfung und dem Verbandsbeschwerderecht. Darauf folgte sehr schnell die Luftreinhalteverordnung, und die Schweiz gab sich die strengsten Auto-Abgasvorschriften in ganz Europa.

Katastrophen hielten das Interesse an Umweltthemen wach: der Super-GAU von Tschernobyl im April 1986 und nur ein halbes Jahr später die Katastrophe im eigenen Land, der Großbrand von Schweizerhalle, der den Rhein vergiftete – und ein Umdenken in der Industrie bewirkte. In der Mitte der Achtziger wurde das Ozonloch zur Gewissheit und ab den späten Achtzigern allmählich der Klimawandel.

Die Wissenschaft folgte der Politik. Seit 1987 kann man an der ETH Zürich Umweltwissenschaften studieren. 1992 gründete Hans Christoph Binswanger an der Universität St. Gallen das Institut für Wirtschaft und Ökologie. Wie Samuel Mauch war auch er ein Autor des NAWU-Reports.Binswanger politisierte als Wachstumskritiker in der FDP: eine heute undenkbare Kombination. Die Wissenschaften verhalfen einer Bewegung, die vielen als weltfremd vorkam, zu Seriosität. Die Hochschulen bildeten die Fachleute aus, die den Umweltschutz umsetzen. Auch im Nationalrat und in zahlreichen Exekutiven sitzen heute Umweltwissenschaftler – einer der bekanntesten ist die Tochter des Ehepaars Mauch, die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch.

Früher wollten die Umweltschützer die Welt verändern – und heute?

Ein Kind jener Aufbruchstimmung sind auch die Grünen. 1979 zog der Waadtländer Daniel Brélaz als erster Grüner in den Nationalrat ein, und im Waldsterbejahr 1983 schlossen sich die regionalen Umweltparteien zur Grünen Partei der Schweiz zusammen. Deren heutiger Vizepräsident Jo Lang blickt auch als Historiker auf die Geschichte der Umweltbewegung zurück.

Für Lang hat sich vor allem die Qualität der Umweltdebatte verändert. Er spricht von einer "Entpolitisierung der Ökologie", auch in seiner eigenen Partei. "Man hat das Argument entdeckt, dass Umweltschutz die beste Wirtschaftsförderung ist. Damit kann man Mehrheiten schaffen." In der parlamentarischen Debatte sei das ja auch wichtig, aber darob sei das Projekt einer "politischen Ökologie" untergegangen. "Heute ist die Sicht auf die Umwelt vor allem technokratisch", sagt Lang. "Wir versäumen es, über ihre gesellschaftspolitischen Aspekte zu diskutieren."

Wie kam es zu diesem Wandel? Sehr vieles ist nach 1990 anders geworden, weltweit wie in der Schweiz. 1992 herrschte am Erdgipfel der UN in Rio de Janeiro noch einmal globale Aufbruchstimmung; die Staaten verabschiedeten an ihrem Zusammentreffen das Artenschutz- und das Klimawandel-Rahmenabkommen sowie den Aktionsplan "Agenda 21". Doch die Hoffnung auf eine neue Weltordnung nach dem Ende des Kalten Kriegs erwies sich bald als schöner Traum. Der Aufstieg des Neoliberalismus, Wirtschaftskrisen in Serie und eine gut geölte Klimaleugner-Kampagne setzten der Umweltbewegung weltweit zu. Ein neuer, vom Silicon Valley ausgehender Techno-Optimismus verspricht technische Lösungen für alle Probleme, und den Begriff der Nachhaltigkeit hat die Werbeindustrie gekapert. In der Schweiz begann die SVP seit der EWR-Abstimmung von 1992 die politische Agenda zu bestimmen. Die Umwelt gehört definitiv nicht (mehr) zu den Anliegen dieser konservativen Partei, in der auch die Autopartei aufgegangen war – sie war in den achtziger Jahren die erklärte Anti-Umweltschutzpartei. Ihr Gründer Michael Dreher wollte "Linke und Grüne an die Wand nageln und mit dem Flammenwerfer drüber".

Doch bei all diesen bremsenden Faktoren hatte die Schweiz nun ihr Umweltschutzgesetz, die Hochschulen bildeten fleißig Umweltfachleute aus, die Umweltverbände nutzten ihr Beschwerderecht. "Wir haben immer gehofft, dass sich die Umweltpolitik etabliert", sagt Ursula Mauch. "Das haben wir erreicht, aber damit hat die Bewegung auch viel Schwung eingebüßt." Und Jo Lang sagt, Verwaltung und Umweltbüros hätten die Leute der Bewegung "aufgesogen". Dass es heute kaum mehr soziale Bewegungen gebe – und in der Schweiz noch etwas weniger als anderswo –, ist für ihn der entscheidende Faktor für die Schwäche der Umweltpolitik. Die Aktivisten wurden ein Opfer ihres eigenen Erfolgs.

Tatsächlich? Aernschd Born, der Liedermacher, relativiert: "Die jüngeren Umweltbewegten haben andere Formen des Engagements. Sie werden weniger wahrgenommen, aber es gibt sie." In einem zentralen Punkt gibt er Jo Lang aber recht: "Wenn man versucht, in die richtige Richtung zu gehen, sich aber in einem Zug befindet, der in die falsche Richtung fährt, dann ist man am Ende doch da, wo man nicht hinwollte. Früher haben wir darüber diskutiert, wie man die Gleise neu verlegen könnte: Wir wollten die Welt verändern. Daran mangelt es heute."

Es ist nicht so, dass Umweltanliegen heute nicht mehr mehrheitsfähig wären. Das revidierte Raumplanungsgesetz wurde 2013 ebenso angenommen wie im Jahr zuvor die Zweitwohnungsinitiative – obschon sich das Parlament mit deren Umsetzung schwertut. Und der Kanton Zürich wäre eigentlich dazu verpflichtet, sein Kulturland rigoros zu schützen; wenn er sich denn an den Volkswillen halten würde. Verschiedene Städte setzen sich ehrgeizige Ziele: Sie wollen die 2.000-Watt-Gesellschaft verwirklichen oder den Motorverkehr einschränken. Was aber eine Stadt wie St. Gallen nicht daran hindert, gleichzeitig für einen neuen Autobahnanschluss zu stimmen.

Wir Schweizer sind gute Umweltverwalter, sehen uns gern als Vorbilder und sind manchmal ganz gern auch Umweltträumer, und wo Umweltschutz kostet, haben wir das Geld dafür. Sobald es aber um Verhaltensweisen oder gar um Machtstrukturen geht, lassen wir lieber alles beim Alten.
​
Für die anstehenden großen Umweltprobleme vom Kulturlandverlust über das Artensterben bis zum Klimawandel wird das nicht genügen.

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    Autor

    Marcel Hänggi, ​Zürich
    wissenschaftlicher Mitarbeiter Verein Klimaschutz Schweiz (Gletscher-Initiative)
    Journalist | Buchautor
    ​dipl. Gymnasiallehrer


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