Marcel Hänggi
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Wildwest ohne Eisenbahn?

26/2/2013

 
Über alternative Entwicklungspfade
Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil XI meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ.

Bild
Showdown über den Gleisen in «C'era una volta il West». In gewisser Weise zeichnet Sergio Leones Westernparodie ein realistischeres Bild als die akribischen Berechnungen des Wirtschaftshistorikers Fogel.
«Die Wirtschaftskapitäne, die die Eisenbahn durch unseren Kontinent geführt haben, leisteten Grossartiges für unser Volk», sagte US-Präsident Theodore Roosevelt 1901 vor dem Kongress und fügte bei, ohne Eisenbahn wären die USA nie so reich geworden.
1964 trat der Ökonom Robert Fogel an, Roosevelts Sicht zu widerlegen. Zwar habe die Eisenbahn tatsächlich viel zur ökonomischen Entwicklung der USA beigetragen. Aber ohne Eisenbahn wären das Geld und die Arbeit, die in sie investiert wurden, für anderes frei gewesen – etwa für den Ausbau der Binnenschifffahrt. Minutiös rechnet Fogel durch, welche Wirtschaftsleistung ein Amerika ohne Eisenbahn erbracht hätte. Und stellt fest, dass dieses hypothetische Amerika mit mehr Wasser-, aber ohne Schienentransport bis 1890 (als die Eisenbahn in ihrer grössten Blüte stand) lediglich fünf Prozent hinter dem tatsächlichen Amerika zurückgelegen hätte.

Fogels Methode, 1993 mit dem Wirtschaftsnobelpreis geehrt, ist fragwürdig – namentlich, weil sie Technik einzig durch die ökonomische Brille betrachtet. Aber sein grosses Verdienst ist, dass er bewusst macht, was sonst meist implizit geschieht. Jede Aussage von der Form «X war wichtig, weil…» enthält eine implizite Annahme über die Welt, wie sie ohne X wäre. Und in der Regel wird dabei angenommen, dass die Alternative zu X einfach Stillstand gewesen wäre. Wer etwa argumentiert, ohne die forcierte Modernisierung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern seit 1960 (die «grüne Revolution») hätte eine Milliarde Menschen weniger ernährt werden können, der suggeriert, die Landwirtschaft dieser Länder hätte sich ohne «grüne Revolution» gar nicht entwickelt. Das ist natürlich Unsinn.

Fogel denkt in die richtige Richtung – aber er bleibt, während er Alternativen durchrechnet, einem (ökonomistischen) Determinismus verhaftet. So hält er zwar den ökonomischen Vorteil der Eisenbahn gegenüber anderen Transporttechniken für geringfügig – aber dass die Eisenbahn die ökonomischste Transporttechnik gewesen sei, bezweifelt er nicht, wäre sie doch sonst, wie er lapidar schreibt, nicht gebaut worden. Nach dieser Logik hätte man im 20. Jahrhundert nicht parallel zu bestehenden Eisenbahnen Autobahnen gebaut, nie Atomkraftwerke entwickelt (selbst Hiroshima und Nagasaki hätte man konventionell billiger vernichten können) und ein grosser Teil der heutigen Biotechnologie existierte nicht. Gerade im Eisenbahnwesen des Wilden Westens waren marktfremde Faktoren wie der Glaube an die «fortschrittlichste» Technik, Korruption, Revolvergaunertum und mafiöse Strukturen zentral. Sergio Leones Spaghettiwestern erfassen das Wesen der Eisenbahn da besser als Fogels Berechnungen.

Fogel wählt einen interessanten Ansatz, aber man müsste sein Was-wäre-wenn-Spiel weiter führen. Das Kapital, das in die Eisenbahn floss, stand nicht einfach Gewehr-bei-Fuss, sondern die Eisenbahngesellschaften organisierten es aktiv: Mit der Eisenbahn wurde die Unternehmensform der Aktiengesellschaft erst bedeutend (und in der Schweiz für die Eisenbahn die Kreditanstalt gegründet). Dadurch entstand ein neuer Zwang, Gewinne zu maximieren. Ohne Eisenbahn hätte der Kapitalismus wohl andere Formen entwickelt, wäre der Gewinndruck womöglich geringer gewesen, wäre im 20. Jahrhundert vielleicht niemand auf die Idee gekommen, die Wirkung einer Technik einzig an ihrem Beitrag zur Wirtschaftsleistung zu messen, hätte Fogel keinen Nobelpreis bekommen.

Es hätte in der Geschichte immer auch anders kommen können.

Marcel Hänggi

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    Autor

    Marcel Hänggi
    ​

    Journalist und Buchautor
    dipl. Gymnasiallehrer​
    Dr. phil. h.c.
    ​
    Zürich


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