Papin macht Leibniz nun einen Vorschlag: Er hat eine Dampfmaschine erfunden und will damit einen Springbrunnen betreiben. Der soll höher als 27 Meter speien – denn so hoch speit jener von Versailles, für dessen Wasserspiele Ludwig XIV in Marly-le-roi die größte Wasserkraftanlage der Welt anlegen ließ. Nachdem Papins Herr nicht bereit war, für so etwas wie eine Dampfmaschine viel Geld in die Hand zu nehmen, hoffte Papin, bei Leibniz auf Interesse zu stoßen. Eine Antwort Leibnizens ist nicht überliefert, aber auch in Herrenhausen wurde keine Dampfmaschine zum Betrieb eines Springbrunnens gebaut. Und ob Papin – hätte er einen Geldgeber gefunden – überhaupt in der Lage gewesen wäre, seine in der Theorie funktionstüchtige Maschine auch tatsächlich zu bauen, ist zu bezweifeln.
Die erste funktionstüchtige Dampfmaschine baute vier Jahre später ein anderer: der englische Schmied Thomas Newcomen. Sie diente dem profaneren Zweck, Schächte in einem Kohlebergwerk zu entwässern. Der berühmteste Dampfmaschinenerfinder, der nochmals ein halbes Jahrhundert später Dampfmaschinen entwickelte, die industrietauglich waren – James Watt –, war zwar Angestellter einer Universität (jener von Edinburgh), aber er war kein wissenschaftlicher Mitarbeiter, sondern – wie Newcomen – Handwerker.
Spiel und Handwerk
Zwei Dinge will ich mit dieser Geschichte illustrieren:
Erstens: Die Dampfmaschine gilt als eine der wichtigsten Techniken der Geschichte. Ihre Erfindung verdankt sie aber nicht dem Versuch, ein Problem zu lösen, das man auch im historischen Rückblick als ein wichtiges bezeichnen würde. Sondern dem Wettstreit einiger europäischer Adelsbuben, wer am höchsten spritzen könne. Die Motivation, die Maschine zu bauen, war zunächst nicht Nutzen, sondern Spiel.
Zweitens: Die Dampfmaschine wird oft als Triumph der Wissenschaft beschrieben, aber während die Wissenschaft schon im 17. Jahrhundert Ideen für Dampfmaschinen entwickelte, waren es im 18. Jahrhundert nicht Wissenschafter, sondern Handwerker, die die Maschine tatsächlich bauten. Ihre Theorie, die Thermodynamik, wurde mithilfe der Dampfmaschine entwickelt – nicht umgekehrt. Doch die Wissenschaft gab dem Handwerk Anregungen (und Aufträge).
Wissenschaftliches Forschen und handwerkliches Ausprobieren standen in einem dialektischen Verhältnis; pestalozzianisch gesagt: Kopf und Hand ergänzten sich – respektive, wenn man das Spielerische dazurechnet: Kopf, Hand und Herz.
Bricolage
An der heutigen Vernissage geht es aber nicht um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft, und ich soll über «technische Literalität» sprechen.
Ich könnte mich einer Forderung anschließen, die in den letzten Jahren oft ertönt: Die so genannten Mint-Fächer – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – sollten gestärkt werden. Denn, so wird die Forderung begründet: Es gibt zu wenige Ingenieure. Beginnen wir also schon in der Primarschule mit einem guten Technikunterricht, damit möglichst viele Mädchen und Buben später mal Ingenieurinnen und Ingenieure werden wollen.
Ich halte wenig von dieser Argumentation: Man fände für jedes Fach gute Gründe, weshalb gerade dieses Fach gestärkt werden solle.
Wenn ich einen didaktisch hochwertigen Technikunterricht an den Schulen begrüße – und ihn für meine eigenen Töchter begrüßt hätte –, und wenn ich in meinem jüngsten Buch einen solchen forderte, so hat das andere Gründe. Ich könnte sagen: Es geht mir um Bricolage.
Ich weiß: Jetzt sage ich etwas Heikles. Bricoler heißt basteln, und als Basteln wollen gute Techniklehrer*innen ihr Fach ja gerade nicht verstanden haben. Aber wenn ich Bricolage im Sinne des Ethnologen Claude Lévi-Strauss verstehe, so bedeutet es: die Fähigkeit, mit dem Vorhandenen eine Lösung zu finden, statt darauf zu warten, dass einem jemand die maßgeschneiderte Lösung liefert. Bricolage ist die Fähigkeit zu improvisieren; Bricolage entsteht, wenn die Lust am Spiel auf Fertigkeit trifft. In diesem Sinne waren frühen Dampfmaschinenbauer Bricoleurs.
Und ich behaupte: Jeder gute Ingenieur muss auch ein guter Spieler sein: einer, der sich die Welt auch anders vorstellen könnte, als sie ist. Aber eben nicht nur jeder Ingenieur.
Technische Literalität
Das Fach Technik & Design soll ja nicht nur der Minderheit etwas bringen, die dereinst einen technischen Beruf ergreift. Die große Mehrheit wird nie Technikerin oder Techniker – aber alle werden mit Technik umgehen müssen.
«Technische Literalität»: Darunter verstehe ich die Fähigkeit, gut mit Technik umzugehen. Dazu gehört die Fähigkeit, sich Technik – oder einfacher gesagt: Dinge – anzueignen, sie zu reparieren, wenn sie kaputt sind, sie so abzuändern, dass sie auf die eigenen Bedürfnisse passen. Der Philosoph Ivan Illich hat menschenfreundliche (in seiner Terminologie: konviviale) Technik so definiert, dass sie genau das zulässt: dass man sie sich aneignen kann; dass man sie auch gegen ihren ursprünglich vorgesehenen Zweck einsetzen kann. Dass sie Bricolage zulässt, statt ihren Nutzern ihren Willen aufzuzwingen.
Bricoler erfordert nebst handwerklichen genuin soziale Fertigkeiten: Man muss sich in die Logik eines Dings eindenken können, das heißt: Man muss zu re-konstruieren versuchen, was sich der Konstrukteur eines Dings dachte, um sich diese Gedanken anzueignen – und sie zu variieren. Sie sind Bestandteil eines guten Technikunterrichts.
Das Wort «Literalität» kommt ursprünglich aus dem Bereich der Sprache; es bezeichnet die Fähigkeit, mit (geschriebener) Sprache zu handeln. Im literacy-Konzept der Sprachdidaktik ist zentral, dass Schreiben und Lesen – also Produzieren und Rezipieren von Sprache – Hand in Hand zu erlernen sind.
Das lässt sich, meine ich, gut auf den Technikunterricht übertragen: Herstellen und Benutzen gehen Hand in Hand. Es geht nicht einfach darum zu lernen, wie man etwas herstellt, sondern indem man etwas herstellt, lernt man gleichzeitig, mit den Dingen umzugehen und sie zu reflektieren. Und ebenso wichtig: Indem man gemeinsam etwas herstellt, lernt man, zusammenzuleben. Zusammenarbeit ist vielleicht der stärkste Kitt, der Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, Vorlieben und Meinungen verbindet.
Und wenn ein so verstandener Technikunterricht dann auch noch im einen oder anderen Mädchen oder Buben einen Berufswunsch weckt – dann werden daraus vielleicht auch die besseren Ingenieurinnen und Ingenieure.