Es geht um Geld.
Wie klimaschonend ist das Atomgeld? Liegt es in Wertpapieren von Unternehmen, die das Klima anheizen – oder von solchen, die zu Lösungen beitragen? Und wie sicher ist das Geld angelegt, wenn die Weltwirtschaft endlich beginnt, sich von der fossilen Energie und ihren Protagonisten abzuwenden?
Unvollständige Daten
Bei einer ersten Anfrage im Herbst 2018 wusste der Stenfo keine Antwort: Die Gelder, teilte er mit, seien «im Bereich der Aktien mehrheitlich passiv investiert.» Das heisst: Der Stenfo investiert nicht selber, sondern beauftragt die Vermögensverwalter UBS, CS, Swiss Life, Pictet und Zürcher Kantonalbank. Das Kernenergiegesetz schreibt einzig vor, dass kein Geld bei Unternehmen angelegt wird, an denen die Schweizer AKW-Betreiber beteiligt sind.
Die WOZ wollte es trotzdem wissen und verlangten Anfang 2019 vom Stenfo mit Berufung auf das Öffentlichkeitsprinzip, die fehlenden Angaben zu beschaffen. Nach langer Wartezeit bekamen wir zunächst einen dicken Stapel eng bedruckten Papiers. Die Verwaltungskommission hatte ausdrücklich beschlossen, die Daten nur in dieser Form zur Verfügung zu stellen. Man wollte eine Analyse der Daten offensichtlich nicht gerade erleichtern.
Schliesslich bekamen wir im September die Daten doch noch elektronisch. Eine vollständige Offenlegung ist es nicht: Nur 23 Prozent des Portfolios sind nach einzelnen Wertpapieren aufgeschlüsselt: 1640 Aktien und 240 Obligationen (alle Zahlen beziehen sich auf 2018). Für den Rest legt der Stenfo lediglich die Börsenindizes offen, an denen sich die Vermögensverwalter orientieren (so genannte Benchmarks).
Aufgrund der vorhandenen Informationen lässt sich sagen:
• In den Industrieländern hält der Stenfo Aktien aller grossen Erdölunternehmen wie Exxon, Shell, Chevron oder BP. Nur in acht Unternehmen hat der Stenfo mehr Geld in Form von Aktien angelegt als in Exxon, dem Unternehmen, das wie kein zweites die Leugner der Klimaerwärmung finanziert hat. Auch an den Kohlegiganten wie BHP, Rio Tinto oder der schweizerischen Glencore, die in Ländern wie Australien mit viel Geld jegliche Klimapolitik torpedieren, ist der Stenfo beteiligt (die umfassende Liste ist über die WOZ-Website abrufbar).
• Aktien von Unternehmen in so genannten Schwellenländern hat der Stenfo nicht offengelegt. Aufgrund der Benchmarks, an denen sich die Vermögensverwalter des Stenfo orientieren, kann man aber darauf schliessen, welche Unternehmen darin enthalten sind – es ist fast die komplette Liste der grössten börsenkotierten Fossilenergieunternehmen wie Gazprom, Petro China oder Petrobras.
• Laut einer Abschätzung, die das auf Klimarisiken spezialisierte Beratungsunternehmen Carbon Delta für die WOZ vorgenommen hat, investiert der Stenfo in eine wirtschaftliche Entwicklung, die bis 2100 zu einer Erwärmung um 3,3 Grad führt. Das Pariser Abkommen verlangt eine Begrenzung auf deutlich unter 2 und möglichst auf 1,5 Grad.
• Sollte die Welt auf einen 1,5-Grad-Kurs einschwenken, wie es das Pariser Abkommen vorschreibt, dürfte das Stenfo-Portfolio laut Oliver Marchand von Carbon Delta bis in fünfzehn Jahren netto 5 bis 8 Prozent seines Werts verlieren – das entspräche 375 bis 600 Millionen Franken beim Stand von 2018. Geringfügige Gewinne durch Unternehmen, die von einer stringenten Klimapolitik profitieren würden, sind in dieser Schätzung enthalten. (Zu den Details der Berechnungen von Carbon Delta siehe hier.)
Die 20-Billionen-Dollar-Gefahr
Eine vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) in Auftrag gegebene Analyse hat 2017 ergeben, dass die Pensionskassen in der Schweiz in einen 6-Grad-Kurs investieren. So gesehen, legt Stenfo sein Geld vergleichsweise «klimaschonend» an. Doch die Analyse des Bafu rechnete mit pessimistischeren Annahmen. Carbon Delta stützt sich auf wissenschaftliche Modelle, und so genannte Rückkoppelungseffekten im Klimasystem lassen sich schlecht modellieren. Die 3,3 Grad markieren deshalb den unteren Rand der Erwärmung, die die Stenfo-Anlagestrategie bewirkt. Und auch 3,3 Grad sind vom Pariser Klimaziel sehr weit entfernt.
Die Rückstellungen der Atomwirtschaft finanzieren die Klimakatastrophe mit.
Bezüglich des Risikos liesse sich einwenden, dass ein 1,5-Grad-Szenario sowieso unrealistisch sei und die Klimapolitik-bedingten Verluste mithin geringer ausfallen werden. Dazu sagt Oliver Marchand von Carbon Delta, dass sich diese Risiken sehr plötzlich realisieren könnten, und er verweist auf einige Ereignisse des vergangenen Jahres: Die kalifornische Pacific Gas and Electric steckt aufgrund von Schadenersatzklagen nach den verheerenden Waldbränden in Kalifornien im Konkursverfahren, der Börsengang des saudischen Erdölriesen Aramco war aus Sicht des Unternehmens eine Schlappe und auch die Versteigerung von Förderrechten an Tiefsee-Ölvorkommen vor der brasilianischen Küste blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Die «20-Billionen-Dollar-Gefahr, die den nächsten Finanzzusammenbruch auslösen könnte», nennt die auf den Ölmarkt spezialisierte Plattform OilPrice.com die Klimakrise, und sogar die zurückhaltende schweizerische Finanzmarktaufsicht Finma warnt in ihren jüngsten Risikobericht vor Klimarisiken.
Manchen Unternehmen im Portfolio attestiert Carbon Delta ein Ausfallrisiko von 100 Prozent: ArcelorMittal, Vistra Energy, Sembcorp Industries oder AGL Energy. «Risikomanagement», sagt Marchand von Carbon Delta, «heisst nicht, einfach auf den Durchschnitt zu schauen. Es bedeutet, mit dem schlimmsten plausiblen Szenario zu rechnen. Der Stenfo hat eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit, solche Risiken zu meiden.»
Alternativen wären vorhanden – und rentabel. So zeigte etwa der Index MSCI World ESG Leaders (ESG steht für «ecological, social and governance responsibility»), nach dem etwa die Pensionskassengelder der WOZ-MitarbeiterInnen angelegt sind, über die letzten zehn Jahre eine bessere Performance als herkömmliche Indizes.
«Stenfo nimmt Verantwortung wahr»
Nimmt der Stenfo seine gesellschaftliche Verantwortung wahr? Verantwortlich für die Anlagestrategie ist die vom Bundesrat eingesetzte Stenfo-Verwaltungskommission. Fünf der elf Mitglieder vertreten die AKW-Betreiber Axpo, Alpiq sowie die BKW, die soeben ihr Atomkraftwerk in Mühleberg abgeschaltet hat. Die restlichen Mitglieder sind unabhängig.
Auf die Fragen der WOZ antwortet die Stenfo-Verwaltungskommission schriftlich: «Stenfo nimmt seine Umwelt-, soziale und Governance-Verantwortung wahr.» Alle vom Stenfo beauftragten Vermögensverwalter seien Mitglied einer Organisation, die sich für nachhaltige Vermögensanlagen engagiere, und hätten die UN-Prinzipien für verantwortliches Investieren UNPRI unterzeichnet. 2018 habe man zudem «beschlossen, dass die Titel auf der Ausschussliste des Schweizer Vereins für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen (SVVK) ausgeschlossen werden sollen.»
Die UNPRI ist eine freiwillige und unverbindliche Absichtserklärung; die SVVK-Liste umfasst Hersteller völkerrechtlich geächteter Waffen und hat keine ökologischen Kriterien.
Auf die Frage, was der Stenfo unternehme, um seine klimabedingten Anlagerisiken zu minimieren, bittet die Verwaltungskommission um die Analysen, die dieser Recherche zugrunde liegen. Die WOZ kommt dieser Bitte gerne nach: Sollten die Analysen den Stenfo zu einem Umdenken bewegen, würde die Schweizer Atomkraft tatsächlich ein Stück klimaverträglicher.
Marcel Hänggi ist Mitinitiant der Gletscher-Initiative.
Mitarbeit: Sandro Leuenberger, Finanzexperte Klima-Allianz.
Nachtrag: Ein neues Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesamts für Umwelt kommt zum Schluss: «Schweizer Finanzmarktakteure sind unter geltendem Recht verpflichtet, Klimarisiken, d.h. Risiken aufgrund des Klimawandels oder dessen Eindämmung, zu berücksichtigen, wenn sie durch das Recht zu einem Einbezug aller wesentlichen Risiken angehalten werden.»