Marcel Hänggi
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Rote Flaggen

10/31/2012

 
Automobil und Technikangst
Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil VII meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ.

BildEine vor dem Auto her gehende Person musste den Verkehr warnen. Ein vernünftiges Gesetz!
«Vor jedem nicht von Pferden gezogenen Fahrzeug auf öffentlichen Strassen muss ein Mann gehen, mit einer roten Flagge bei Tag und mit einer Laterne bei Nacht, um den Verkehr vor dem Fahrzeug zu warnen.»

Den Verkehr vor Motorfahrzeugen zu warnen: das erscheint heute, da nicht-motorisierter Verkehr in der Regel gar nicht mehr als «Verkehr» gilt, absurd. Doch genau dies schrieb Grossbritanniens so genannter Red Flag Act (Rote-Flagge-Gesetz) von 1865 vor. Für Autos limitierte dieses Gesetz die Geschwindigkeit auf vier Meilen (6,4 Kilometer) pro Stunde ausser- respektive zwei Meilen pro Stunde innerorts.

Der Red Flag Act taucht heute in Diskussionen immer wieder auf, wenn es darum geht, gesetzgeberische «Fortschrittsfeindlichkeit» anzuprangern (zum Beispiel hier): Über Autos in Schritttempo kann man sich trefflich lustig machen – und damit über unsere Altvorderen und ihre Technikangst. Kommt dazu, dass das Gesetz auf Drängen der Pferdekutscher zustande gekommen sein soll, die sich damit ihre neue Konkurrenz vom Leib halten wollten.

Bei genauerer Betrachtung sieht freilich alles ein bisschen anders aus. Erstens: Lange bevor die vermeintlich fortschrittlichere Technik des Dampfantriebs (Autos fuhren damals mit Dampfantrieb und hiessen im Gesetz «locomotives») durch ein Gesetz ausgebremst wurde, mit dem eine Lobby ihre Partikularinteressen zu verteidigen hoffte, hatte sie von genau solchen Gesetzen profitiert: Die Corn Laws verteuerten bis 1849 im Interesse der Agrarlobby das Getreide und damit das Pferdefutter. Sie verschafften der Eisenbahn in England somit einen Konkurrenzvorteil, den sie in Ländern, deren Getreidepreise dem freien Markt unterworfen waren, nicht hatte.

Zweitens wird die angebliche Technikangst unserer Vorväter (und -mütter, deren Meinung freilich kaum gefragt war) meist arg übertrieben. Der Red Flag Act wurde zwar erlassen – aber nicht durchgesetzt. Erst 1896, in dem Jahr, da das Gesetz aufgehoben wurde, büsste die britische Polizei erstmals einen Fahrer für zu schnelles Fahren. Ein anderes Beispiel für Technikangst, über das sich heutige «Fortschrittsfreunde» gerne lustig machen, ist die Warnung des Königlichen Bayrischen Obermedizinalkollegiums von 1835, Bahnfahren mit mehr als 30 Kilometern pro Stunde erzeuge bei Reisenden wie bei Zuschauern schwere Geisteserkrankungen (zum Beispiel hier). Allein: Das Original des Zitats lässt sich nicht auffinden; es ist eine oft kolportierte, wohlfeile Legende.

Drittens: Könnte es sein, dass ein Tempolimit von 2 Meilen pro Stunde innerorts vernünftiger wäre als die heutigen 30 oder 50 Stundenkilometer? Der innerörtliche Verkehr auf den damaligen Strassen war in erster Linie Fussverkehr – in Schritttempo. Weshalb sollte man Schnelleres zulassen? 1896, kurz nachdem der Red Flag Act ausser Kraft gesetzt wurde, verurteilte in Grossbritannien erstmals ein Gericht einen Automobilisten, weil er eine Passantin getötet hatte. Heute töten Autos weltweit 1,3 Millionen mal jährlich – 1,3 Millionen Argumente für eine rote Flagge. Hätte man das 1865 vorausgeahnt, man hätte Autos im öffentlichen Raum wohl ganz verboten.

Der Massstab, aufgrund dessen eine technische Realität als normal gilt, verändert sich mit der Technik selber. Was ist die «richtigere» Normalität: eine, in der Automobile den Restverkehr vor sich warnen müssen, oder eine, die 1,3 Millionen Tote als Tribut an die «Moderne» hinnimmt? Es gibt keine objektiven Kriterien, dies zu entscheiden. Was als Erfahrung im Umgang mit einer Technik erscheinen mag, ist oft blosse Abstumpfung.

Marcel Hänggi

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    Autor

    Marcel Hänggi, ​Zürich
    wissenschaftlicher Mitarbeiter Verein Klimaschutz Schweiz (Gletscher-Initiative)
    Journalist | Buchautor
    ​dipl. Gymnasiallehrer


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