Der «Spiegel» klotzte und kleckerte nicht, der «Economist» brachte ein ganzes Dossier. «The Largest Experiment Ever (And It’s European!)» titelte «Newsweek» auf der Frontseite. And it’s swiss, jubelten wir und durften endlich auch einmal, wie sonst die Kollegen vom Sport, live von einem «historischen» Ereignis berichten! Und wie beim Sport ging in der Livehektik die kritische Distanz mitunter verloren.
Was ist denn, nüchtern betrachtet, vom LHC zu erwarten? Der «empirische Nachweis» des letzten Bauteils der Standardtheorie (oder auch nicht). Hinweise auf dunkle Materie (vielleicht). Indizien für mehr als drei Raumdimensionen (allenfalls). Das ist ja alles sehr spannend, aber «Antworten auf uralte Rätsel» sind das nicht gerade. Und ist, wie der «Tages-Anzeiger» weiter meinte, der LHC tatsächlich das «optimale Werkzeug», um letzte Fragen – «Woher kommen wir? Was ist unsere Stellung im Universum?» – zu beantworten? Wie eine Entgegnung darauf las sich ein hübscher Feuilleton-Kommentar gleichentags in der NZZ: «Im Ursprung, vor dem grossen Knall, war alles eins. Auch Physik und Metaphysik waren, so muss man sich vorstellen, ungeschieden», schrieb ujw. leise spöttisch und merkte an, dass angesichts des simulierten Urknalls «Physik und Metaphysik, exakte Wissenschaft und Spekulation wieder ununterscheidbar zu werden beginnen».
Die Wissenschaftssoziologin Karin Knorr-Cetina (Gast an unserem SNF-Seminar 2006) meint, das Sympathische am Cern liege in der epistemologischen Bescheidenheit seiner Wissenschaftler. In diesen Wochen freilich hat zumindest die Presseabteilung des Cern eher ihr arrogantes Gesicht gezeigt. Nun geht es an dieser Stelle nicht um eine Kritik am Cern. Das offizielle Cern wischte Ängste rund um den LHC mit ein paar gar schnoddrigen Argumenten zur Seite, aber das ist nun mal, was Pressestellen so tun.
Es wäre aber unsere Aufgabe, Informationen von Pressestellen nicht eins zu eins zu übernehmen – und deren Strategie gleich noch dazu. Das Cern hat das einigermassen willkürlich gewählte Ereignis der ersten Teilchenstrahlen, die den LHC umrunden, als Megaparty inszeniert, aber im Vorfeld haben ihm ungebetene Gäste die Partyvorbereitungen gestört. Das Cern hätte das Thema am liebsten ausgeschwiegen.
Natürlich ging das nicht, denn was ist ein journalistisches Thema, wenn es der Weltuntergang (egal, wie spinnert seine Propheten sind) nicht ist? Einige Medien zelebrierten die Apokalypse lustvoll (und, wie der «Blick» mit seiner Strassenumfrage am 10. September, ausgesprochen witzig und nicht ohne Augenzwinkern). Anderen Texten aber merkte man förmlich den Widerwillen an, sich nun auch noch damit befassen zu müssen. Als seien die Schreibenden Teil der Cern-PR-Strategie. Dabei müsste weder einem Wissenschaftler noch einem Wissenschaftsjournalisten ein Stein aus der Krone fallen, wenn er die Ängste ernsthaft diskutierte: Selbst Zeitungen wie die «New York Times» und Physikgrössen wie Martin Rees waren sich nicht zu schade dafür.
Aber natürlich sollte man nicht nur über allfällige Weltuntergänge schreiben. Wenn ein Institut Milliarden öffentlicher Gelder verbrennt, müsste das eine Debatte über Sinn und Zweck seines Tuns wert sein. Das Cern mogelte sich darüber hinweg mit dem Argument, der LHC koste eigentlich gar nichts, da der Nebennutzen in Form von technischen Anwendungen die Kosten übersteige. Auch ich habe dieses Argument schon kolportiert – nur: Es ist falsch. Denn hier wird buchhalterisch argumentiert, ohne die Regeln buchhalterischer Kosten-Nutzen-Rechnungen einzuhalten. Nach diesen Regeln wären nämlich auch die Opportunitätskosten zu rechnen (wie viel Nutzen hätte mit dem selben Aufwand erreicht werden können, hätte man das, was jetzt als Nebeneffekt abfällt, direkt entwickelt?). Tut man das nicht, kann man mit diesem Argument fast alles als «gratis» darstellen – gerade auch den Krieg, diesen Vater aller Dinge. Das Internet verdanken wir ja nicht dem Cern, wie oft geschrieben wurde – hier wurde lediglich seine zivile Anwendung entwickelt (und es ist das grösste Verdienst von Tim Berners-Lee, dieses nicht patentiert zu haben) –, sondern dem Militär.
Vielleicht, schrieb Rolf Landua in seinem etwas dünn geratenen Cern-Büchlein, finde am Cern die «nächste Stufe der Bewusstseinsentwicklung» statt – ein «quasi-neuronaler Verbund aus Tausenden miteinander kommunizierender Physiker». Der Wissenschaftsphilosoph Reiner Hedrich, den ich dazu interviewte, kommentierte lakonisch: «Die Physiker am Cern sind im Moment alle etwas aufgeregt, da fliessen die Hormone …» Wie beim Sport, wenn gedopt wird. Wenn man als Journalist mit Gesprächspartnern zu tun hat, die auf Dope sind, sollte man etwas vorsichtig sein.
Marcel Hänggi