Andrea Burkhardt: Ich muss schon mit Rückschlägen leben können. Eine Konsensdemokratie arbeitet mit kleinen Schritten. Das ist Knochenarbeit.
Sie wissen, was nötig wäre, und Sie wissen, was politisch möglich ist. Dazwischen klafft ein breiter Graben.
Ja, die Wissenschaft sagt klar, in welche Richtung es gehen muss, um eine gefährliche Störung des Klimasystems abzuwenden. Es muss so schnell wie möglich geschehen, denn es ist ein langer Weg dorthin. Wir rechnen damit, dass pro Kopf noch 1 bis 1,5 Tonnen Treibhausgase ausgestossen werden dürfen, möglicherweise auch weniger [Der Pro-Kopf-Ausstoss der Schweiz beträgt derzeit 7 Tonnen im Inland respektive 12,5 Tonnen, wenn auch die Emissionen gerechnet werden, die der Schweizer Konsum im Ausland verursacht, mh.]. Die nötige Reduktion ist massiv, was grundsätzliche Fragen aufwirft. Man wird die heutigen Bedürfnisse, wenn man sie denn weiter befriedigen will, ganz anders befriedigen müssen. Das sind enorme Herausforderungen, die aber mit jedem Jahr des Zuwartens noch grösser werden. Wird die Schweiz das erste Zwischenziel schaffen und ihre Verpflichtung aus dem Kioto-Protokoll erfüllen? Ja. Die Schweiz hat sich verpflichtet, die Emissionen gegenüber 1990 um 8 Prozent zu senken. Wir haben soeben das Treibhausgasinventar des Jahres 2007 beim Klimasekretariat der Uno deponiert. Der Abwärtstrend ist klar erkennbar, und wir nehmen an, dass er sich fortsetzt. Allerdings nutzen wir, um das Kioto-Ziel zu erreichen, auch die im Protokoll vorgesehenen Flexibilitäten: Wir kaufen über den Klimarappen ausländische Zertifikate ein und lassen den Zuwachs des Waldes anrechnen. Im Klartext: Die Emissionen werden nicht um 8 Prozent reduziert? Wir gehen davon aus, dass etwa halb so viel tatsächlich reduziert wird. 2007 war der Winter sehr warm und die Erdölpreise zogen an. Nun drückt die Wirtschaftskrise die Nachfrage. All diese Faktoren kann man sich nicht als klimapolitische Erfolge ans Revers heften. Es gibt tatsächlich Faktoren, die unsere Bemühungen unterstützen. Die Wirtschaftsleistung schlägt sich eins zu eins in den Emissionszahlen nieder. Der Ölpreis ist wichtig, den versuchen wir ja mit der CO2-Abgabe – in bescheidenem Ausmass – selber zu beeinflussen. Solche Faktoren sind Unsicherheiten, mit denen wir arbeiten müssen. Wenn wir nun mit Unterstützung günstiger Umstände die Emissionen erst um 4 Prozent haben senken können – wie werden wir dann eine Reduktion um 20 oder 30 Prozent bis 2020 erreichen können, wenn die Wirtschaft wieder wächst? Ganz klar: Es braucht zusätzliche, schärfere Massnahmen. Wir müssen die heutigen Instrumente über die nächsten zehn Jahre ausbauen. In Diskussion ist im Moment beispielsweise ein Programm, das helfen soll, den Gebäudebestand zu erneuern – darum werden wir nicht herumkommen. Der konjunkturelle Rückgang hat auch wichtige Diskussionen ausgelöst, ob man die Krise im Sinne eines Umbaus der Wirtschaft nutzen kann – Stichwort «Green New Deal». Der Bundesrat schlägt ein Gesetz vor, das die Emissionen bis 2020 um 20, allenfalls 30 Prozent senken, davon 15 Prozent zwingend im Inland.* Das ist nicht auf Zielkurs, um bis Mitte des Jahrhunderts 1 bis 1,5 Tonnen pro Kopf zu erreichen. Der Bundesrats orientiert sich an der EU. Die Frage der Zielsetzung hat immer auch mit der Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft zu tun. Alle Staaten haben Angst, mehr zu tun als die anderen – da gibt es die verschiedensten Formen der Zurückhaltung … Eine Studie von McKinsey Schweiz besagt, dass eine Reduktion um 40 Prozent ohne Konkurrenznachteile zu erreichen wäre. Ich bin froh um diese Arbeit. Sie unterstützt das Bestreben, die Emissionen im Inland zu reduzieren. McKinsey hat aber nur das technische Potenzial beziffert. Nun ist es Aufgabe der Politik, die Hemmnisse aus dem Weg zu räumen, die dessen Realisierung im Wege stehen. Ich glaube, dass das möglich ist, aber das wird lange dauern. Der Bundesrat hat noch eine zweite Gesetzesvariante vorgeschlagen, die die Emissionen nicht reduzieren, sondern «kompensieren» will – mehrheitlich im Ausland. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dies ein Konkurrenzvorschlag aus dem Staatssekretariat für Wirtschaft ist. Wirft da ein Amt dem anderen Knebel zwischen die Beine? Inwieweit man Emissionsreduktionen im Ausland einkaufen soll, statt die Hausaufgaben im eigenen Land zu erledigen, das wird seit langem diskutiert – nicht nur in der Schweiz. Dass man das Instrument des internationalen Emissionshandels nun derart in den Vordergrund rücken will, ist also nichts so Neues. Man kann argumentieren, Klimaschutz im Ausland koste weniger und ermögliche deshalb mehr Reduktionen. Aber wenn man statt im In- im Ausland investiert, fliessen Mittel ab, die unsere Volkswirtschaft braucht, um ihre Infrastruktur zu erneuern. | Revision CO2-Gesetz und Klimainitiative Im März wurde die Vernehmlassung zum neuen CO2-Gesetz der Schweiz abgeschlossen. Es wird für die Jahre 2013 bis 2020 gelten. Das heute geltende Gesetz schreibt eine Reduktion der CO2-Emissionsn um 10 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 vor und läuft 2012 aus. Der Bundesrat stellte zwei Gesetzesvarianten zur Debatte. Die erste Variante – sie stammt aus dem Departement von Bundesrat Moritz Leuenberger respektive aus seinem Bundesamt für Umwelt – will den Treibhausgas-Ausstoss der Schweiz bis ins Jahr 2020 um 20 Prozent senken oder, falls die EU mitzieht, um 30 Prozent. 15 Prozentpunkte davon sollen zwingend im Inland reduziert werden. Zu diesem Zweck wird eine CO2-Lenkungsabgabe erhoben. Die zweite Variante aus dem Departement von Bundesrätin Doris Leuthard respektive aus dem Staatssekretariat für Wirtschaft will die Emissionen nicht reduzieren, sondern mittels Emissionshandel «kompensieren». Bis 2020 sollen 50 Prozent, langfristig 100 Prozent der Emissionen«kompensiert» werden. Ein Inlandziel wird nicht vorgeschrieben. Anfang Mai hat der Bundesrat entschieden, Variante I weiter zu verfolgen, nachdem Variante II in der Vernehmlassung nur wenig Unterstützung gefunden hatte. Allerdings soll die CO2-Lenkungsabgabe wie bisher nur auf Brennstoffe erhoben werden; für Treibstoffe wird die Strategie der Variante II – «kompensieren» statt reduzieren – verfolgt. Ende August verabschiedete der Bundesrat die Botschaft ans Parlament. Als Reduktionsziel für 2020 sieht er, je nach Verhandlungserbenis der Klimakonferenz in Kopenhagen, minus 20 oder minus 30 Prozent gegenüber 1990 vor. Davon sollen freilich nur die Hälfte tatsächliche Reduktionen der Treibhausgasemissionen im Inland sein; der Rest soll im Ausland «kompensiert werden». Schliesslich verlangt die Klimainitiative, die Emissionen im Inland bis 2020 um 30 Prozent zu senken. «Nicht das innovativste Gremium»Andrea Burkhardt äussert sich im Interview mit der WOZ vorsichtig, wenn sie auch einen gewissen Ärger über die bremsende Linie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) respektive des Volkswirtschaftsdepartements von Bundesrätin Doris Leuthard durchblicken lässt. Deutlicher - für eine Spitzenbeamtin ungewöhnlich deutlich - wurde Andrea Burkhardt an einer Tagung der Schweizerischen Energiestiftung Ende August. Der Bundesrat hatte kurz zuvor seine Botschaft ans Parlament verabschiedet, das Burkhardt an der Tagung loyal präsentierte. Auf die Frage, ob das nicht ein bisschen wenig sei, sagte sie aber: «Der Bundesrat ist in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung vielleicht schon nicht das innovativste Gremium». Bundesrat Moritz Leuenberger könne sich seine KollegInnen eben nicht aussuchen ... |
Der CDM hat Mängel, über deren Behebung verhandelt wird. Man sollte nicht gleich das ganze Instrument ablehnen, weil es noch nicht perfekt ist. Wenn man den CDM seriös handhaben will, wird es aber teuer und bringt nicht mehr die grossen Kostenvorteile, die man sich davon erhofft hat. Und so lange die Entwicklungsländer sich an keine Emissions-Obergrenzen halten müssen, sind die CDM-Reduktionen hypothetischer Natur. Die Schweiz möchte deshalb, dass auch für die Entwicklungsländer Obergrenzen festgelegt werden. Bei der Verteilung der maximal erlaubten Emissionen dürfen Marktmechanismen mitspielen, insofern ist der Emissionshandel ein taugliches Instrument – wenn sauber abgerechnet wird.
Klimapolitik ist Energiepolitik, Verkehrspolitik, Raumplanung und so weiter. Dafür sind je eigene Bundesämter zuständig. Diese haben aber ihre eigenen Prioritäten: So wird etwa die Landwirtschaftspolitik derzeit stärker auf den internationalen Markt ausgerichtet. Klimaschonende Landwirtschaft wäre das genaue Gegenteil. Kommt die Klimapolitik unter die Räder, sobald es konkret wird?
Diese Gefahr besteht. Aber es kommt auch vor, dass eine Massnahme, die nicht klimapolitisch motiviert ist, uns hilft. Die Umstellung von Mindestpreisgarantien zu Direktzahlungen hat die Emissionen gesenkt, weil der Viehbestand abgenommen hat. Unsere Stärke in der Zusammenarbeit mit den anderen Ämtern besteht darin, dass wir rechtlich verbindliche Zielvorgaben haben. So weiss jeder: Nimmt man in einem Bereich mehr Emissionen in kauf, muss man woanders umso mehr reduzieren.
Findet Klimapolitik nicht einfach dort statt, wo es wenig Widerstand gibt? Man verwendet viel politische Energie darauf, den Benzinverbrauch der Autos ein bisschen zu senken – und baut gleichzeitig neue Strassen. Das ist dumme Politik!
Man versucht, die vorhandenen Mobilitätsbedürfnisse möglichst klimafreundlich zu befriedigen.
Mobilitätsbedürfnisse werden gemacht. Sie sprachen vorhin von einem «Green New Deal». Der grösste Brocken des bundesrätlichen Konjunkturprogramms fliesst in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Das ist das Gegenteil von «green»!
Sicher läuft der Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen den klimapolitischen Zielen tendenziell entgegen. Die Frage ist: Welche Anreizstrukturen führen zu der Zunahme des Mobilitätsbedürfnisses? Das hat mit Raumplanung zu tun, mit Steuerwettbewerb, da gibt es viele Faktoren, die man auf Bundesebene nicht so leicht beeinflussen kann. Deshalb versucht man eben, die Bedürfnisse so klimaschonend wie möglich zu befriedigen und hofft auf bessere Technologien.
Der Klimawandel findet statt. Worauf müssen wir uns gefasst machen?
Diese Frage haben wir bisher etwas stiefmütterlich behandelt. Die Arbeiten an einer Strategie zur Anpassung an den Klimawandel stehen erst am Anfang. Unter anderem wird es den Wintertourismus treffen; Niederschlagsmuster werden sich ändern, was für die Landwirtschaft problematisch ist; der Wald könnte in seiner Schutzfunktion beeinträchtigt werden und so weiter. Da werden wir in Zukunft Antworten liefern müssen. Und wenn andere Staaten unter dem Klimawandel leiden, trifft das auch unsere Exportwirtschaft.
Was das Leiden der anderen angeht, könnte man auch ethisch argumentieren: Die Industrieländer stehen gegenüber den Ländern, die wenig zum Klimawandel beigetragen haben, in der Schuld. Anerkennt die Schweiz diese Schuld?
Ja, indem sie das Kioto-Protokoll unterzeichnet hat, das heute nur die Industrieländer in die Pflicht nimmt. Jetzt ist es aber Zeit, finden wir, dass zumindest die grossen Schwellenländer auch Verpflichtungen eingehen müssen. In welchem Umfang und nach welchem Schlüssel die Schweiz sich an der Finanzierung von Anpassungsleistungen in ärmeren Ländern beteiligen wird, das wird sich in den Verhandlungen zeigen.
Marcel Hänggi