Urs Näf: Durchaus. Man kann feststellen, dass die Schweizer Wirtschaft die Klimaproblematik ernst nimmt, aber es gibt keine Panik. Man will das Problem als Herausforderung anpacken.
Gibt es auch in Branchen keine Panik, die vom Klimawandel sehr stark betroffen sein werden – etwa im Wintertourismus?
Wie genau der Tourismus betroffen sein wird, ist schwierig abzuschätzen. Auch für Unternehmen in diesem Bereich ist der Klimawandel zunächst eine Herausforderung. Da gibt es verschiedene Handlungsoptionen, es gibt technische Lösungen, man kann sein Angebot anpassen und so weiter. Für ein Unternehmen im Bereich der Umwelttechnologie ist der Klimawandel sicher eine Chance; ein Erdölimporteur dagegen kann nur verlieren. Wie bringen Sie diese Interessen unter einen Hut? Ich sehe keine verbandsinternen Spannungen. Die Erdölimporteure haben sich schon seit Jahren darauf eingestellt, dass ihr Markt nicht wächst. Klar ist, dass unsere Wirtschaft und Gesellschaft immer stark von Energie abhängig sein wird. Und diese wird nur immer teurer, also wird es darum gehen, sie effizienter zu nutzen. | Urs NäfBeim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse leitet Urs Näf (50) den Bereich Infrastruktur, Energie und Umwelt. An den internationalen Klimakonferenzen von 2005 bis 2007 vertrat er in der Schweizer Verhandlungsdelegation die Interessen der Wirtschaft. Zuvor arbeitete Urs Näf im Bundesamt für Energie. |
Alle Unternehmen brauchen Energie, und es ist entscheidend, dass sie diese zu wettbewerbsfähigen Konditionen bekommen. Es geht also nicht um die Sicht der Erdölanbieter, sondern um die der Nachfrager.
Wie müsste die Klimapolitik der Schweiz Ihrer Meinung nach aussehen?
Der Bundesrat hat zwei Varianten vorgeschlagen: Die erste setzte vor allem auf die CO2-Abgabe, um die Emissionen im Inland zu reduzieren, die zweite wollte die Emissionen vor allem im Ausland kompensieren. Wir haben einen Kompromiss vorgeschlagen, der von beiden Varianten die positiven Elemente aufnimmt. Das ist im Wesentlichen auch die Linie, die der Bundesrat nun weiterverfolgt. Es braucht ein klimapolitisches «Modell Schweiz», denn die Schweiz hat besondere wirtschaftliche Voraussetzungen: Wir haben keine Schwerindustrie, keine Kohlekraftwerke, keine grossen Raffinerien. Unsere Wirtschaft ist viel stärker auf KMU und auf Dienstleistungen fokussiert als die Wirtschaften vergleichbarer Länder. Wir haben mit der bisherigen Politik der freiwilligen Massnahmen gute Erfahrungen gemacht und sehen nicht ein, weshalb man diesen Pfad schon wieder verlassen sollte.
Welche Massnahmen meinen Sie?
Die Energieagentur der Wirtschaft (EnAW), die Stiftung Klimarappen und die Branchenvereinbarung der Zementindustrie haben Beiträge geleistet, ohne die die Schweiz grösste Mühe hätte, ihre Reduktionsverpflichtungen einzuhalten. Es geht uns darum, dass die Schweiz sich ein Ziel setzt, das sie erreichen kann. Sonst stehen wir da wie Kanada, das sich verpflichtet hat, die Emissionen um fünf Prozent zu senken, während sie tatsächlich um 25 Prozent gestiegen sind. Realistisch bedeutet für uns, die Emissionen gegenüber 1990 bis ins Jahr 2020 um zwanzig Prozent zu senken.
Gerade die spezielle Wirtschaftsstruktur der Schweiz könnte man doch als Anlass nehmen, zu sagen: Sehen wir das als Chance und leisten uns eine Vorreiterrolle!
Wir haben diese Rolle ja schon. Ich sehe keinen Grund, da noch mit der Peitsche gesetzlicher Massnahmen nachzuhelfen. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich sehr gute Emissionswerte, selbst wenn man die fast CO2-freie Stromproduktion noch nicht mitrechnet. Wir haben relativ scharfe Luftreinhaltevorschriften, das hat bereits enormen Druck auf Unternehmen ausgelöst. Es wurde sehr viel investiert, da ist die Schweiz weit voraus. Wir haben heute sehr viele Unternehmen im Bereich der Umwelttechnologie, und zwar ohne dass der Staat Druck machen muss, einfach weil dieser Bereich rentabel ist. Aber es ist gefährlich, das von oben herab forcieren zu wollen. Man kann schon deklarieren, so und so viele «grüne» Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Die Frage ist einfach, ob das dann auch nachhaltige Arbeitsplätze sind. In Ostdeutschland wird ein einziger Arbeitsplatz im Solarenergiebereich mit 150 000 Euro subventioniert; Hartz IV schafft mit demselben Geld fünf Arbeitsplätze.
Sie erwähnen die tiefen Emissionswerte der Schweiz. Aber die Schweiz importiert überdurchschnittlich viele Industriegüter. Wenn man die Emissionen betrachtet, die der Schweizer Konsum weltweit verursacht, stehen wir schlechter da als der OECD-Durchschnitt.
Solche Berechnungen sind methodisch sehr problematisch, und es widerspricht jeglichem volkswirtschaftlichen Standard, so zu rechnen. Wenn wir ein Produkt aus China importieren, so ist das eine Wertschöpfung für die chinesische Wirtschaft, also muss das nicht der Schweiz angerechnet werden. Diese Berechnungen weisen sehr viele Mängel auf und haben daher keine Aussagekraft.
Sie fordern, dass man Emissionen auch im Ausland «kompensieren» darf. Damit fliesst Geld ins Ausland ab, das die Schweizer Wirtschaft als Investitionen doch gut brauchen könnte!
Das ist ein Missverständnis. Wenn die Schweiz in Schwellen- und Entwicklungsländern hilft, Emissionen zu reduzieren, dann ist das in der Regel auch mit Schweizer Technologie möglich. Das wollen wir sehr unterstützen. Die Schweiz hat in diesem Bereich ein riesiges Knowhow, denken Sie an die Abfallverwertung, an Prozessoptimierung; in unglaublich vielen Bereichen können wir Lösungen anbieten. Das Geld, das in ausländische Klimaschutzprojekte fliesst, ist also nicht einfach weg.
Die Schweiz, sagen Sie, solle weiterhin auf freiwillige Massnahmen setzen. Das bestehende Gesetz sieht solche vor und droht mit der Erhöhung der CO2-Abgabe, wenn sie nicht zum Ziel führen. Kann man von «Freiwilligkeit» sprechen, wenn eine gesetzliche Sanktion droht?
Wir haben diese Massnahmen ja nicht erst erfunden, als die Erhöhung der CO2-Abgabe bevorstand. Das lag in der Eigenverantwortung der Unternehmen. Die Eigenverantwortung eines Unternehmens liegt darin, zu schauen, was können wir tun? Und dabei erkennt man oft, dass man viel mehr tun kann, als das Gesetz fordert. Und das geschieht auch! Die Energieagentur Wirtschaft ist in ihrer Zielerreichung wesentlich weiter, als sie müsste.
Eine der «freiwilligen» Massnahmen ist der Klimarappen. Aus Konsumentensicht ist das aber eine Zwangsabgabe – eine Steuer, und noch dazu eine private.
Wir haben den Klimarappen immer als freiwillige Massnahme der Wirtschaft gesehen, und auch der Bundesrat und die Parlamentsmehrheit haben diese Sicht geteilt. Er ist eine freiwillige Massnahme, die wesentlich zur Erreichung des schweizerischen Reduktionsziels beiträgt.
Sie nannten als ein realistisches Reduktionsziel minus zwanzig Prozent. Der Bundesrat möchte die Emissionen um dreissig Prozent reduzieren, falls die EU mitmacht. Bieten Sie Hand dazu?
Nein. Wir wollen zwanzig Prozent unter Beibehaltung des bewährten Instrumentenmix. Sehen Sie: Wir werden die Emissionen bis 2012 um acht Prozent gesenkt haben, davon vier im Inland. Danach wollen wir die Emissionen in nur acht Jahren um weitere zwölf Prozent senken. Das ist sehr ambitioniert. Aber minus dreissig Prozent bis 2020, das ist unmöglich.
Nach Einschätzung der Klimawissenschaften ist es unmöglich, katastrophale Folgen der Klimaveränderung abzuwehren, wenn die Emissionen bis 2020 nur um zwanzig Prozent sinken. Wir müssen also zwischen zwei «Unmöglichkeiten» wählen. Sollte man da nicht eher eine ökonomische Parforceleistung anstreben, anstatt die Naturkatastrophe in Kauf zu nehmen?
Schauen wir doch, wo die Schweiz etwas tun kann. Wir haben ein sehr tiefes Emissionsniveau pro Kopf. Ist es wirklich sinnvoll, dort, wo die Hausaufgaben gemacht sind, die Schraube noch einmal anzuziehen? Wenn wir nach den USA blicken oder nach Osteuropa, dann ist klar, wo Handlungsbedarf besteht. In Polen gibt es einen sehr grossen Industriekomplex, der allein so viel CO2 produziert wie die ganze Schweiz.
Es ginge ja nicht um einen Alleingang der Schweiz, sondern darum, bei einem höheren Reduktionsziel der EU mitzumachen – da ist Polen dabei.
Polen wehrt sich mit Händen und Füssen gegen höhere Ziele. In Osteuropa ist eine Gewerkschaftsbewegung entstanden, die sich gegen zu hohe klimapolitische Ziele wehrt, weil sie sagt, das würde alle Arbeiter über fünfzig die Stelle kosten. Das muss man ernst nehmen, man kann nicht an den Menschen vorbei handeln! Der entscheidende Punkt ist für mich, was an der Klimakonferenz in Bali 2007 beschlossen wurde: Jedes Land soll nach seinen Fähigkeiten das tun, was am meisten bringt. Für die Schweiz heisst das, dass wir Technologie exportieren, Klimaschutzmassnahmen im Ausland finanzieren, für solche Projekte Finanzierungsdienstleitungen erbringen und so weiter. Aber dreissig Prozent, das schaffen wir nicht nur wirtschaftlich nicht, das geht auch gesellschaftlich nicht. Wir können nicht in so kurzer Zeit unseren Gebäudepark und den ganzen Verkehr so stark umbauen.
Eine Studie von McKinsey hält sogar vierzig Prozent für möglich.
Ich zweifle nicht an dieser Studie, aber sie legt das Potenzial dar, ohne die Hemmnisse zu berücksichtigen. Dazu gehören Fragen wie die Finanzierbarkeit. Oder ein anderes Beispiel: Die wirksamste Einzelmassnahme wäre ein neues AKW. Doch das können Sie nicht einfach so aufstellen, da sind dann wieder dieselben Kreise dagegen, die jetzt mehr Klimaschutz fordern.
Sie schlagen vor, ins Gesetz zu schreiben, dass bis 2020 zehn Prozent aller Privatautos emissionsarme Modelle sein müssen. Das ist doch eine recht dirigistische Massnahme – von zweifelhaftem Wert: Wenn nämlich immer mehr gefahren wird, dann bringen zehn Prozent emissionsarme Fahrzeuge keine Reduktion.
Es geht nicht nur um die Autos, sondern auch um die Infrastruktur. Wenn Sie mit einem Elektroauto denselben Komfort haben wollen wie mit einem Benzinauto, braucht es auch die Infrastruktur, damit Sie die Batterie Ihres Autos überall aufladen können. Darauf zielt unser Vorschlag ab. Es braucht langfristige Investitionen. Es sind wahnsinnig gute Ideen vorhanden, aber ohne Infrastruktur setzen sie sich nie durch. Wir wollen Anreize schaffen, damit Partnerschaften entstehen zwischen Autohändlern, Infrastrukturanbietern, Städten und so weiter. Dann erreichen wir womöglich längerfristig einen wesentlich höheren Anteil solcher Fahrzeuge als zehn Prozent.
Interview: Marcel Hänggi