Dass Auto- und Töffbauer Vorschriften gering schätzen und Prüfresultate wenig taugen: Alle wussten es. Das für die Typenzulassung zuständige Bundesamt für Strassen (Astra) dokumentierte die Manipulationen an Motorrädern 2013 in einem Bericht, der Nationalrat debattierte 2014 darüber. Doch weder der Nationalrat noch das Astra handelten.
Es war die Zürcher Kantonspolizei, die zuerst beim Astra anklopfte: Sie stellte 2012 bei Lärmmessungen massive Überschreitungen der Grenzwerte fest. Das Astra nahm die betroffenen Motorräder in den Prüfstand – und siehe da: Keines war lauter als erlaubt (wobei Töffs wesentlich lauter sein dürfen als Autos).
Sobald das Astra bei der Prüfung aber vom minutiös festgelegten, international standardisierten Prüfprotokoll abwich, röhrten die Maschinen so richtig los. Eine Harley-Davidson zum Beispiel war 24-mal (!) so laut wie erlaubt. Doch neben Software, die eine Prüfsituation erkennt, wenden die Töffhersteller noch andere Tricks an, wie der Bericht feststellt: Manche Auspuffsysteme enthalten «dB-Killer», die den Lärm dämpfen; sie lassen sich ebenso leicht ausbauen, wie sie sich, wenn eine Kontrolle ansteht, wieder einbauen lassen. Auspuffklappen (für Motorräder wie für «Sportwagen») lassen sich per Knopfdruck öffnen und schliessen, um von «legal» auf «illegal» zu wechseln – und wieder zurück («Klappe auf – Sound laut», lautet der Slogan eines Schweizer Händlers).
Das Astra sparte im Bericht nicht mit deutlichen Worten: Einzelne Motorradhersteller hätten «ihre Hemmungen vollständig abgelegt»; es gebe «exorbitante Geräuschemissionen». Und doch kam das Amt zum Schluss, es könne nichts dagegen tun: Es bestehe halt eine Gesetzeslücke. Im VW-Skandal erkennt dasselbe Amt nun plötzlich mehr Handlungsspielraum und setzt die Zulassung der betroffenen Autos aus.
«Purer Fanatismus»
Auch der Nationalrat war der Meinung, die systematischen Grenzwertumgehungen der Branche seien ein minderes Übel. Strengere Lärmvorschriften der Europäischen Union, die 2016 in Kraft treten und von der Schweiz übernommen werden, verbieten explizit Umgehungsvorrichtungen, die Prüfsituationen erkennen. Die Auspuffklappen bleiben jedoch erlaubt: Die Autolobby hat in Brüssel ebenso wie in Berlin beste Freunde.
Und die Vorschriften werden nur für Neuzulassungen gelten. Damit die bereits zugelassenen Motorräder nicht weiter die Täler verlärmen, wollte die Umweltkommission des Nationalrats die strengeren Normen von 2016 für rückwirkend erklären. Der Rat lehnte den Vorstoss seiner Kommission im Mai 2014 als «unverhältnismässig» ab – respektive als «puren Fanatismus», wie es der motorradfahrende SVP-Nationalrat Walter Wobmann gegenüber dem «Tages-Anzeiger» ausdrückte.
Wortführer der anderen Seite war der CSP-Nationalrat Karl Vogler aus dem besonders töfflärmbelasteten Kanton Obwalden. Angesichts der vielen, die unter dem Lärm litten, sei es «skandalös, wenn jetzt formalistisch argumentiert wird, wo doch alle wissen, wie unglaublich da manipuliert wird», sagt Vogler gegenüber der WOZ. Er sei seit dem VW-Skandal oft auf die Töfflärmgeschichte angesprochen worden – und könne sich vorstellen, dass der Nationalrat heute anders entscheiden würde. «Ich bleibe sicher am Thema dran.»
Die Antwort des Astra auf die Frage, weshalb es im Fall des Töfflärms keinen Handlungsspielraum erkannt habe, im analog gelagerten Fall des VW-Skandals hingegen schon, ist nicht rechtzeitig vor Redaktionsschluss eingetroffen. Ich werde sie publizieren, sobald eingetroffen.