
Naomi Oreskes: Ich spreche natürlich über den Klimawandel! Der private Sektor allein kann das Problem des Klimawandels nicht lösen, aber er kann und muss Verantwortung übernehmen. Gerade in der Ära Trump ist die Rolle der Wirtschaft besonders wichtig.
Interessieren sich die WEF-TeilnehmerInnen für den Klimawandel?
Nicht alle – aber ich bin optimistisch, dass ich viele Leute aus der Geschäftswelt erreichen kann. Letztes Jahr sprach der CEO von Unilever darüber, wie sein Unternehmen die Lieferkette umweltfreundlich gestalte – und trotzdem noch Profit mache. Das hat die Leute interessiert. Die KonsumentInnen wollen die Zukunft ihres Planeten ja nicht zerstören! Es gibt da eine interessante, wenig bekannte Geschichte: Das Montreal-Protokoll von 1987 verbot die sogenannten FCKW, die das Ozon der Ozonschicht zerstören. Aber schon vorher boykottierten ausreichend Leute Sprays mit Treibmitteln aus FCKW, um die Industrie zu einem Umdenken zu bewegen. Ein Haarspray ist es nicht wert, die Umwelt zu zerstören! | Naomi Oreskes (58) ist Geologin und Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Harvard University. Das Buch «Merchants of Doubt» (deutsch: «Die Machiavellis der Wissenschaft»), das sie 2010 mit Erik Conway publizierte und das verfilmt wurde, gilt als Standardwerk über die Netzwerke des industriefinanzierten Leugnens wissenschaftlicher Evidenz, um etwa die Schädlichkeit des Passivrauchens oder den Klimawandel zu bestreiten. Ebenfalls mit Conway publizierte sie 2014 «Vom Ende der Welt. Chronik eines angekündigten Untergangs». Die engagierte Wissenschafterin schrieb zudem das Vorwort zur englischen Ausgabe der Enzyklika «Laudato si’» von Papst Franziskus I. |
Ich spreche lieber von «Netzwerken». Unter Verschwörern stellt man sich Männer in dunklen Hinterzimmern vor, die dicke Zigarren rauchen … Aber ja, sowohl die Leugnung des Klimawandels wie die Leugnung der Schädlichkeit des Passivrauchens durch die Tabakindustrie haben verschwörerische Aspekte. Aber nicht alles, was die Tabakindustrie in diesem Zusammenhang tat, war verschwörerisch: Es gab auch seitens der KonsumentInnen einen Wunsch, genau das zu hören: Passivrauchen schadet nicht. Da befriedigte die Industrie eine Nachfrage.
Also: Als Sie begannen, die antiwissenschaftlichen Netzwerke der KlimaleugnerInnen zu erforschen: Konnten Sie sich vorstellen, dass die USA eines Tages einen Präsidenten hätten, der den Klimawandel als «chinesisches Märchen» bezeichnet hat?
Nein. In unserem Buch «Vom Ende der Welt» von 2014 sah nicht einmal das Worst-Case-Szenario einen solchen Präsidenten vor …
Und schlimmer als Trump ist seine Mannschaft …
Absolut. Ich glaube, Trump ist der Klimawandel ziemlich egal. Aber er füllt sein Kabinett mit Leuten, die die treibenden Kräfte hinter der Leugnungsmaschine waren. Es sind genau die Leute, über die wir unser Buch geschrieben haben.
Was erwarten Sie klimapolitisch für die nächsten vier Jahre?
Das zentrale Element ist die Nomination Rex Tillersons, des CEO von ExxonMobil, zum Aussenminister. Er wird versuchen, die Sanktionen gegen Russland zurückzunehmen und so den Weg frei zu machen für Ölbohrungen in der Arktis. Das ist eine Katastrophe. Denn die arktischen Ölreserven sind vermutlich die grössten noch nicht entwickelten Ölreserven. Wird dieses Öl gefördert, gibt es definitiv keine Hoffnung mehr, die Erderwärmung auf zwei Grad beschränken zu können. Und die Nomination von Scott Pruitt als Chef der Umweltbehörde EPA zeugt vom Willen, die Umweltpolitik demontieren.
Wird das gelingen?
Es gibt in den USA grosse gerichtliche Auseinandersetzungen um die Klimapolitik. Massachusetts und vierzehn andere Staaten haben gerichtlich erreicht, dass das Bundesgesetz zum Schutz der Luft, der Clean Air Act, auch für das Klima gilt und die Bundesregierung mithin verpflichtet ist, CO2-Emissionen zu regulieren. Doch dagegen haben wieder andere Staaten unter der Führung von Oklahoma geklagt. Was nun geschehen wird: Trump wird Obamas Clean Power Plan zur Förderung erneuerbarer Energie zurückziehen, und das wird viele Klagen zur Folge haben. Also wird Trump Richter ernennen, die auf seiner Seite stehen. Aber unterdessen fällt der Preis der erneuerbaren Energie immer mehr. Elektrizität wird nicht in Washington erzeugt, und wenn die KonsumentInnen die Wahl haben, wählen sie nicht die Energieform, die ihre Lebensgrundlage zerstört. Wenn Kalifornien die Führung übernimmt, wird die Richtung stimmen. Die UmweltaktivistInnen werden sich mit langweiligem, technischem Zeug wie Netzintegration auseinandersetzen müssen. Ich hoffe, die Wahl Trumps war ein Weckruf. Ich muss optimistisch sein, denn sonst wüsste ich nicht, woran ich noch glauben sollte …
Umfragen zufolge hält eine klare Mehrheit der Bevölkerung in den USA den Klimawandel für ein Problem, und trotzdem wurde Trump gewählt. Was lief falsch?
Die AmerikanerInnen sind besser, als man meinen könnte, wenn man sieht, wen sie wählen! Aber der Klimawandel, auch wenn die Leute ihn ernst nehmen, hat für die meisten keine hohe Priorität, da sie meinen, er betreffe sie nicht direkt – im Gegensatz etwa zur ökonomischen Situation. Deshalb wäre es so wichtig gewesen, diese beiden Themen zu verbinden und zu sagen: Erneuerbare Energieanlagen und die Clean-Tech-Industrie schaffen Jobs, und zwar bessere als die Erdölwirtschaft. Das hat auch Hillary Clinton viel zu wenig getan. Wir – WissenschafterInnen und alle, die das Problem ernst nehmen – müssen viel mehr darüber sprechen, was der Klimawandel für das Leben aller bedeutet.
Es war ja auch schon anders. Im Präsidentschaftswahlkampf von 1988 beispielsweise war der Klimawandel ein Topthema, sowohl für den demokratischen Kandidaten Michael Dukakis wie für den Republikaner George Bush. Was ist seither anders geworden?
Die Netzwerke des Leugnens haben ganze Arbeit geleistet! Eine Politikerin oder ein Politiker hat stets zu wenig Zeit, und wenn er oder sie lange spricht, schneidet die TV-Station nur ein paar Sekunden aus der Rede heraus. Da ist es schwieriger – nicht unmöglich! –, den Klimawandel als ernstes Problem darzustellen, als ihn lächerlich zu machen.
Ihr Ko-Autor Erik Conway hat nachgezeichnet, wie die moderne Umweltbewegung um 1970 recht überraschend entstand. Bald darauf begannen sich die Anti-UmweltschützerInnen zu formieren. Ronald Reagan war ihr erster Präsident, und in den 1990ern demontierte die republikanische Kongressmehrheit unter Newt Gingrich wissenschaftliche Institutionen. Ist Trump ein Erbe dieser Entwicklung?
Auf jeden Fall. Vor Reagan waren die Republikaner weder besonders umwelt- noch wissenschaftsfeindlich. Wenn ich in den Archiven aus der Zeit Richard Nixons lese, bin ich manchmal etwas schockiert, wie sehr ich mit Nixon einverstanden bin (lacht). Aber mit Reagan änderte das, und in der Debatte um den sauren Regen kamen all die Argumente auf, die sich keinen Deut um die Fakten scheren. George Bush sen. war dann nochmals ein konservativer Republikaner der alten Sorte, aber seither ist das vorbei. Heute nimmt ja nicht nur Trump den Klimawandel nicht ernst. Alle Kandidaten der Republikanischen Partei schienen davon auszugehen, dass man die Vorwahlen nicht gewinnen kann, wenn man den Klimawandel ernst nimmt. Und hätte beispielsweise Ted Cruz gewonnen, wäre sein Kabinett in dieser Hinsicht auch nicht besser gewesen als Trumps.
Für den Wissenschaftshistoriker Philip Mirowski ist die Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse logische Folge neoliberalen Denkens: Neoliberale akzeptieren keine Instanz, die über Richtig und Falsch entscheidet, ausser dem Markt.
Mirowski ist eine sehr wichtige Stimme. Aber als wir an unserem Buch über die Netzwerke der Leugner zu arbeiten begannen, entschieden wir uns, das Wort «Neoliberalismus» nicht zu verwenden. Heute ist der Begriff in der akademischen Debatte besser eingeführt, damals war er uns zu schwammig. Aber wir sagen auch, dass das Leugnen des Klimawandels nichts mit Fakten zu tun hat, sondern mit Ideologie. Gut Ausgebildete leugnen den Klimawandel ebenso oft wie schlecht Ausgebildete. Wir nennen die Ideologie aber «free market fundamentalism». Für die FundamentalistInnen des freien Marktes führen die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Folgerungen, die nicht in ihr Weltbild passen und die sie deshalb ablehnen. Aber auch Marktradikale anerkennen grundsätzlich, dass es so genannte Marktversagen gibt, die mit Eingriffen korrigiert werden müssen. Neoliberale lehnen das Konzept des Marktversagens ganz ab.
Die USA sind in der Klimaforschung führend, aber ein Grossteil ihrer Politiker will nicht an den Klimawandel glauben. Ist das das Problem der ignoranten PolitikerInnen oder der WissenschafterInnen, denen es nicht gelingt, ihre Botschaft verständlich zu machen?
Als Historikerin weiss ich, dass oft Hand in Hand geht, was sich widerspricht. Für die Regierungen, die den Klimawandel ernst nahmen, lautete die wichtigste Antwort darauf: mehr Forschung. Und das war ja auch gut, wir brauchen die Forschung, und kein Forscher und keine Forscherin wehrt sich dagegen, mehr Geld zu bekommen. Aber das war eben auch eine Besänftigungsstrategie: Man forschte – und tat sonst nicht viel. Die WissenschafterInnen taten, was man von ihnen erwartete, und hofften, die Welt würde entsprechend ihren Erkenntnissen handeln. Das war naiv. Klar kann es nie schaden, noch mehr zu wissen. Aber wir wissen längst genug, um zu handeln. NaturwissenschafterInnen müssen mehr mit Geistes- und SozialwissenschafterInnen zusammenarbeiten, müssen sich mehr in die Öffentlichkeit wagen, brauchen Medientrainings.
Mir scheint manchmal, schlimmer als das Leugnen des Klimawandels sei das Verharmlosen, von verschiedener Seite. WissenschafterInnen wollen nicht als alarmistisch gelten. Das Silicon Valley verspricht für alles eine technische Lösung. Die Autoindustrie hat den Umweltschutz als Marketinginstrument entdeckt …
«Verharmlosung» ist ein gutes Wort. Aber es gibt keine scharfe Grenze. Der neue Aussenminister Rex Tillerson ist im strengen Sinne kein Leugner, er akzeptiert, dass es einen menschlich verursachten Klimawandel gibt – sagt aber, das sei nicht so schlimm. Ich habe zu Beginn die Rede des CEO von Unilever erwähnt. Man kann das als Greenwashing kritisieren und verlangen, ganz auf Kosmetikprodukte zu verzichten. Und wenn Sie die Autoindustrie ansprechen: Natürlich hiesse die richtige Antwort auf die Frage, welches Auto man aus Umweltsicht kaufen sollte: gar keins. Aber in den USA mit ihrem schlechten öffentlichen Verkehr und dem hohen Stellenwert der individuellen Autonomie ist das keine Option – wenn Sie nicht gerade in New York City leben. Da sind Elektroautos, glaube ich, doch eine ganz gute Lösung.
«Reine» und «engagierte» WissenschafterInnen
Aufgrund historischer Beispiele zeigte die Oreskes, dass die Angst um die eigene Glaubwürdigkeit «nichts anderes ist als genau das: Angst. Und WissenschafterInnen sollten ihre Entscheide nicht auf Angst basieren.» Die Evidenz spreche gegen diese Angst: Die Glaubwürdigkeit von Physikern wie Niels Bohr, Hans Bethe oder Albert Einstein, die sich gegen die Atombewaffnung engagierten, habe unter diesem Engagement nicht gelitten, und Sherwood Rowland, der sich für den Schutz der Ozonschicht einsetzte, bekam 1995 trotz seinem Engagement – oder gerade auch deswegen – den Physiknobelpreis.
Ko-Referent Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik an der ETH, widersprach: Das Beste, was er als Wissenschafter tun könne, sei seine Forschung; die überzeugendsten Argumente seien robuste Befunde und Datenreihen. Das schliesse nicht aus, dass er sich darum bemühe, seine Erkenntnisse einem breiten Publikum zu vermitteln. Handelten alle KlimaforscherInnen so wie der Nasa-Forscher James Hansen, der für seine Proteste auch schon verhaftet wurde, wäre das kontraproduktiv, sagte Gruber. Oreskes konterte wiederum: Hansens wissenschaftliche Glaubwürdigkeit sei intakt, er sei wohl der einzige Klimaforscher, der einer breiteren Öffentlichkeit namentlich bekannt sei – und man könne nicht glaubwürdiger sein, als wenn man für seine Überzeugung sogar eine Verhaftung riskiere.
Christoph Küffer, Professor für Urbanökologie an der Hochschule Rapperswil und Ko-Präsident von Environmental Humanities Switzerland, sprach für die Position des engagierten Wissenschafters: Seit Jahrzehnten mache die Wissenschaft genau das, was Gruber fordere: gute Forschung – und es genüge doch nicht. KlimawissenschafterInnen forderten, die Welt müsse sich ändern, aber die Wissenschaft selber ändere sich nicht. Für ihn gehe es in seiner wissenschaftlichen Arbeit genauso sehr darum, Vertrauen zu schaffen wie darum, Forschungsresultate zu produzieren.