Patrick Hofstetter: Nachdem der Bundesrat seine Stossrichtung im Mai bekannt gegeben hat, war das im Grossen und Ganzen tatsächlich keine Überraschung. Doch in ein paar Punkten bleibt die Botschaft sogar hinter dem zurück, was wir erwarten mussten. Beispielsweise ist für die Treibhausgase, die nicht aus der Verbrennung von Öl und Gas stammen – etwa Methan oder Lachgas aus der Landwirtschaft – gar keine Regulierung vorgesehen. Immerhin bestätigt der Bundesrat mittlerweile selbst, dass er gemessen an den Erkenntnissen der Wissenschaft eigentlich zu wenig tut.
Unsere Interviewpartnerin Nationalrätin Kathy Riklin war optimistisch, dass das Parlament den Entwurf in die richtige Richtung korrigieren wird. Davon bin ich überzeugt. Ob die Verbesserungen mit einer derart schwachen Vorlage aber ausreichen? Da bin ich doch eher pessimistisch. Gegenwärtig unterbieten sich ja alle Staaten mit ihren Vorschlägen … Das ist nicht so. Die europäischen Länder, die bereits begonnen haben, nationale Klimaziele umzusetzen – Norwegen, Schweden, Deutschland, Grossbritannien und das schottische Regionalparlament –, gehen durchs Band weiter, als der Bundesrat will. Es stimmt allerdings, dass an der letzten internationalen Verhandlungsrunde in Bonn (siehe WOZ Nr. 34/09) jedes Land die anderen unterbieten wollte. Die Diplomaten haben nicht begriffen, dass es in der Klimapolitik darum geht, ein Problem zu lösen, das alle betrifft – statt einfach darum, gegenüber den anderen einen kleinen Vorteil zu erreichen, wie etwa in WTO-Verhandlungen. | Patrick HofstetterPatrick Hofstetter (44) leitet den Bereich Klimapolitik des WWF Schweiz. Der Maschineningenieur und promovierte Umweltnaturwissenschafter vertritt die umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen in der schweizerischen Verhandlungsdelegation an der Kopenhagener Klimakonferenz. |
Der Druck von verschiedenen Seiten ist enorm – auch seitens der Wirtschaft, die wissen will, woran sie ist. Aber Kopenhagen wird sicher viele Punkte offen lassen und es wird Nachverhandlungen brauchen, wie es auch schon 1997 in Kioto der Fall war.
Sie sind Mitglied der offiziellen Schweizer Verhandlungsdelegation. Wie können Sie eine Position mittragen, die Sie kritisieren?
Als Mitglied der Delegation muss ich mich an das Mandat halten, das uns der Bundesrat im November erteilt. Der Spielraum dürfte dieses Jahr enger sein als andere Jahre: Die Schweiz riskiert, in Kopenhagen international erstmals als Bremserin aufzutreten. Die Klimakonferenz von 2007 beschloss, dass die Industrieländer ihre Emissionen im Inland um 25 bis 40 Prozent senken müssten – der Bundesrat will weniger tun. Dennoch vertritt die Delegation nicht einfach nur Standpunkte, die mit unserer Position unvereinbar wären. In konkreten Teilfragen sind unsere Position und die der offiziellen Schweiz sehr nahe – beispielsweise wenn es darum geht, wie der Handel mit Emissionszertifikaten ausgestaltet werden soll.
Sie vertreten neben den umwelt- auch die entwicklungspolitischen Organisationen. Wie wichtig ist das Thema der Entwicklung in den Verhandlungen?
Arme Länder werden vom Klimawandel stärker betroffen und haben weniger Mittel, ihm zu begegnen. Darum war die Frage schon immer wichtig, wie die finanziellen Lasten des Klimawandels zu verteilen seien. In den Verhandlungen gewinnt das Thema seit zwei Jahren stark an Bedeutung: Neben den Reduktionsverpflichtungen der Industrieländer ist das das grosse Thema in Kopenhagen. Ein Abkommen wird nur zustande kommen, wenn in beiden Bereichen Lösungen gefunden werden.
Die Warnungen der Wissenschaftler werden immer dringlicher. Die Öffentlichkeit scheint das aber noch nicht wirklich wahrzunehmen. Wer hat da versagt: ihr Umweltorganisationen oder wir Journalisten?
Der Klimawandel ist nun einmal nur beschränkt wahrnehmbar, weil er von kurzfristigen Wetterschwankungen überlagert wird. Das macht es für Umweltorganisationen und Journalisten schwierig. Natürlich wäre es hilfreich, wenn das Medieninteresse so stark geblieben wäre wie vor zwei Jahren, als der Film von Al Gore erschien, dann die Studie von Nicholas Stern und schliesslich der Uno-Klimabericht und zudem der Winter viel zu warm war. Aber wir stellen auch so ein sehr grosses Interesse fest, wenn es um konkrete Lösungsansätze geht, etwa um die energetische Sanierung von Gebäuden. Unsere Veranstaltungen dazu sind immer ausgebucht. Und auf jeden Fall berichten die Medien genug, dass niemand mehr behaupten kann, nichts gewusst zu haben.
Könnte es sein, dass die Leute verwirrt sind? Der WWF fordert bis 2020 eine Reduktion der Emissionen um 40 Prozent im Inland; die Klimainitiative fordert 30 Prozent. Was gilt nun?
Wir müssen ganz klar um 40 Prozent reduzieren, wie alle anderen Industriestaaten auch, wenn die Erwärmung unter zwei Grad bleiben soll. Das werden wir vom Parlament fordern. Die Initiative ist so formuliert, dass sie eine Chance hat, angenommen zu werden. Sie verlangt «mindestens 30 Prozent» Reduktion, erlaubt also auch mehr.
Der Bundesrat schreibt, mit der vorgeschlagenen Politik seien «keine gravierenden strukturellen Veränderungen zu erwarten». Ihr Kommentar?
Der Bundesrat hat nur allfällige negative Folgen statt der Chancen der Klimapolitik für die Wirtschaft vor Augen gehabt. Es ist zwar nachvollziehbar, weshalb dieser Satz da steht: Das Bundesamt für Umwelt hatte Angst, dass ihm die anderen Departemente die Botschaft noch weiter zerpflücken, und beschwichtigte deshalb. Aber das ist eine ganz verkehrte Haltung: Wir müssen unser ganzes Energiesystem in den nächsten dreissig Jahren umbauen. Ich wünschte mir, in der Botschaft stünde: «Die strukturellen Veränderungen werden erheblich sein, versprechen aber mittelfristig volkswirtschaftliche Vorteile.»
Das wäre die Aussage einer Studie, die der WWF in Auftrag gegeben hat. Sie ergab, dass sich bis 2035 Klimaschutz und Wirtschaftswachstum in der Schweiz vereinbaren lassen. Ist es nicht heikel, den Leuten zu sagen, bis 2035 können wir Klimaschutz quasi gratis haben – und dann kommt irgendwann der Punkt, wo das nicht mehr geht?
Wir liessen diese Studie machen, um uns abzusichern, ob haltbar sei, was wir unseren Wirtschaftspartnern sagen: Klimaschutz ist eine Chance für die Wirtschaft. Dass die Studie nur den Zeitraum bis 2035 untersucht, liegt daran, dass wir nicht wissen, was in dreissig Jahren Stand der Technik sein wird.
Der bundesrätliche Vorschlag behandelt sehr prominent die Frage, wie viel CO2 Neuautos durchschnittlich ausstossen dürfen. Auch die Umweltorganisationen haben dem immer wieder viel Aufmerksamkeit geschenkt. Lenkt das nicht einfach von der Tatsache ab, dass wir vor allem weniger Verkehr brauchen?
Wenn man nur auf die Neuwagen blickt und das Ganze des Verkehrs aus dem Auge lässt, wäre das tatsächlich kurzsichtig. Man muss im Bereich Verkehr – privat wie öffentlich – drei Punkte beachten: Neue Fahrzeuge müssen möglichst effizient sein. Die Verkehrsmenge muss reduziert werden: Da befürworten wir ein Mobility Pricing, das heisst, wer fährt, bezahlt pro Kilometer für die Infrastruktur. Und wenn beides erfüllt ist, geht es auch noch darum, ineffiziente alte Fahrzeuge aus dem Verkehr zu ziehen. Die Frage der technischen Effizienz der Neuwagen kann man am einfachsten angehen, weil uns da die EU vorausgeht und weil die Schweiz – mit der verbrauchsintensivsten Neuwagenflotte Europas – einen grossen Nachholbedarf hat. Wenn der Treibstoffverbrauch dank effizienterer Autos sinkt, wird zudem die Finanzierung der Infrastruktur aus der Mineralölsteuer schwierig. Dann dürfte sich das Parlament in der nächsten Legislatur sehr gerne mit Mobility Pricing befassen.
Um einen katastrophalen Klimawandel auf einigermassen gerechte Art abzuwenden, wird unser materieller Lebensstandard sinken müssen. Kann man eine solche Botschaft in einer Demokratie vermitteln?
Nicht, wenn man sie so formuliert. Wir müssen uns fragen, wie wir mit sehr viel weniger Ressourcen mindestens die gleich gute Lebensqualität erreichen können. Da gibt es viele Ansätze. Wenn wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern und Anreize anders setzen, können wir von unserem verschwenderischen Weg auf einen zukunftsfähigen Entwicklungspfad kommen. Dafür können wir die Menschen gewinnen. In der Schweiz sind wir in der komfortablen Situation, dass wir die Mittel, die Technik und das Knowhow dazu haben. Ich bin überzeugt, dass wir in dreissig Jahren eine höhere Lebensqualität haben, wenn wir das Nötige jetzt auch tun.
Was braucht es, damit in Kopenhagen ein wirksames Abkommen zustande kommt?
Es braucht noch mehr verantwortungsvolle Wirtschaftsführer. Es braucht den Druck von der Strasse, und der wird auf Kopenhagen hin enorm sein. Es braucht die Gruppe von Industrieländern, die nicht pokern, sondern ihren Teil der Verantwortung übernehmen. Es braucht Schwellenländer wie China, das klar sagt, dass es gewisse verbindliche Verpflichtungen akzeptieren wird. Sehr gefährlich sind auf der anderen Seite etwa Russland oder Indien, weil sie auf Zeit spielen, als ginge der Klimawandel sie nichts an.
Marcel Hänggi