Die Welt erlebte den umfassendsten Bankencrash der Geschichte. Zwischen Ende 1343 und Anfang 1346 gingen die drei grössten Finanzdienstleister der Christenheit, allesamt mit Hauptsitz in Florenz, bankrott. Während der zwei Jahrzehnte zuvor hatten bereits eine Reihe kleinerer und mittelgrosser Häuser den Geist aufgegeben.
Travellerschecks für Pilger
Um 1300 überholten die Florentiner ihre flämische Konkurrenz, und 1307 wurde der bisherige Marktleader im internationalen Zahlungsverkehr ausgeschaltet: der Templerorden. Diese Beschützer der Jerusalempilger hatten das Armutsgelübde abgelegt – doch was gilt schon ein Gelübde in einer Zeit, in der dekadente Päpste in Avignon die Hofhaltung der grössten Könige zu übertreffen versuchen und feilbieten, was sie feilbieten können: Ämter, Pfründen, Ablass von Sünden, Befreiung von Gelübden. Die Templer erfanden den Travellerscheck: einzahlen an den Templerorden in Westeuropa, Bargeld beziehen in Jerusalem; sie stiegen ins Finanzgeschäft ein, wurden reich und mächtig, bis der französische König sie in einer nie gesehenen Polizeiaktion zerschlug, einen Schauprozess erster Güte veranstaltete und 54 Templer auf Scheiterhaufen enden liess. Die Templer waren Ritter, die Florentiner Kaufleute Bürgerliche. Es ist immer heikel, in der Geschichte Anfänge festzulegen, aber wichtige TheoretikerInnen des Kapitalismus (etwa Franz Oppenheimer) legen die Geburt des Kapitalismus ins 14. Jahrhundert. Die Geldwirtschaft wurde gegenüber der Naturalwirtschaft immer wichtiger. Im Hundertjährigen Krieg (ab 1337) liessen erstmals Könige im grossen Stil Söldner für sich kämpfen, die sie in bar (oder mit dem Freibrief zum Plündern) entlöhnten, während bisher hauptsächlich Ritter aufgrund ihrer Feudalpflichten die königlichen Kriege geführt hatten. Kriege, neue Waffen (Feuerwaffen) und eine immer aufwendigere Hofhaltung zwangen die Territorialherren, sich mit Finanzfachleuten zu umgeben. Mit Bürgerlichen – denn Adlige waren sich zu gut dafür. Mit Parvenüs, die nicht von den altmodischen Ehrenkodizes des Adels am Abzocken gehindert wurden. Der Lohn für ihre Dienste war nicht zuletzt das Recht, ihre Stellung zur eigenen Bereicherung zu nutzen, mithin das offen zu tun, was heutige PensionskassenverwalterInnen im Versteckten tun müssen.
Entfesselter Kapitalismus
Auch die Landwirtschaft war liberaler, kapitalistischer geworden. Die Leibeigenschaft war im 12. und 13. Jahrhundert aus Westeuropa verschwunden, und an die Stelle der formalen Unfreiheit, der persönlichen Bindung an einen Grundherrn, trat ökonomische Abhängigkeit. Dadurch fühlten sich die Grundherren auch nicht mehr für ihre Bauern verantwortlich, endlich siegte die Eigenverantwortung, und eigenverantwortlich durften die Bauern nun verhungern, wenn Krieg oder Unwetter ihre Ernte vernichtet hatten. In Italien «entwickelte sich eine ländliche Arbeiterschaft, die unter elendsten Bedingungen lebte», schreibt der französische Historiker Jacques Le Goff. Es war ein früher Kapitalismus, aber ein ebenso entfesselter wie der Spätkapitalismus unserer Tage. Mächtige Mono- und Oligopole. Spekulationsblasen. Streiks (unter anderem in der Florentiner Textilindustrie), die erste Arbeiterrevolution (der Ciompi-Aufstand von Florenz, 1378 bis 1382). Spektakuläre Konkurse.
1343 wurde Edward III. zahlungsunfähig. Der englische König, Beansprucher der französischen Krone und seit 1337 im Krieg mit Frankreich engagiert, der als der Hundertjährige in die Geschichte eingehen sollte, stand bei den beiden grössten Florentiner Handelshäusern mit 1,5 Millionen Florin in der Kreide. Edward war schuld an deren Untergang. So sieht es zumindest der Chronist Giovanni Villani – als ehemaliger Peruzzi-Gesellschafter, der selber in einen Konkurs verwickelt war, nicht ganz neutral –, und so steht es in den meisten Geschichtsbüchern. 1,5 Millionen Florin waren sehr viel Geld – «so viel, wie ein Königreich wert ist» (Villani). Die Zahl dürfte freilich mit einem realen Wert so wenig zu tun gehabt haben wie die Aktienkurse mit dem Wert der New-Economy-Firmen in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, denn selbst die grössten Firmen hätten diesen enormen Betrag gar nicht aufbringen können: Es wäre mehr gewesen, als die gesamte florentinische Textilindustrie (die die Kapitalbasis der Multis bildete) mit ihren 30 000 ArbeiterInnen in einem Jahr umsetzte. Edwards Zahlungsverweigerung war denn auch kaum der einzige Grund für den Zusammenbruch (zumal auch das drittgrösste Haus, die Acciaiuoli, das nicht mit Edward geschäftete, scheiterte).
Dennoch lohnt sich ein Blick auf die florentinischen Geschäfte in England.
Die Liquidität war damals ein grosses Problem für die Könige und Territorialfürsten. Ihre Einkünfte flossen unregelmässig, gerade in Zeiten des Kriegs; ihre Ausgaben stiegen sprunghaft – gerade in Zeiten des Kriegs. Sie waren auf Kredite angewiesen. Nun gab es allerdings ein kirchliches Zinsverbot. Daran hielt man sich meist – pro forma. Statt Zinsen, die so hiessen, flossen Geschenke, auch schon mal solche an die Ehefrauen und Töchter der Banker. Wie hoch die Zinsen gewesen wären, zeigt einer der wenigen Fälle, wo diese unverhüllt als solche in den Akten erscheinen: 1341 zahlte Edward einem anderen italienischen Gläubiger seine Schulden mit 14 Prozent Zinsen zurück – für ein Drittel Jahr (was einem Jahreszins von satten 48 Prozent entspricht).
Vor allem aber wurden die Kreditgeber durch Gegengeschäfte entschädigt. Die Bardi (die Peruzzi kamen später hinzu) waren in erster Linie im Textilbusiness tätig: Fabrikation, Import/Export. Die Kredite, die sie der englischen Krone gewährten, wurden ihnen mit allem vergolten, was die WTO verbietet. So hatten die Bardi das Monopol auf den Export der besonders feinen englischen Wolle und genossen Sonderbehandlungen bei Zöllen. Um die flämische Konkurrenz auszuschalten, liess sich Edward schon mal zu einem Boykott gegen Flandern überreden. Und gelegentlich wurden die Konkurrenten der Florentiner vom König auch gleich in den Kerker geworfen.
Mehr Freiheit, weniger Staat!
Vor allem aber floss ein Gutteil der Steuern direkt in die Schatullen der Bankiers. Diese hatten dafür den königlichen Haushalt zu bestreiten. Und ab und zu einen Spezialwunsch: hier 25 Mark, um der Queen die Botschaft von der Geburt eines Grafensohns zu überbringen, da 97 Pfund, 17 Schilling und 11 Penny (rund 650 Florin) für den Unterhalt der Löwen und Leoparden im Tower zu London. Ein anderer wichtiger Bardi-Mandant war der Papst in Avignon: Die Bardi trieben in allen Ländern ausser Frankreich und Deutschland die päpstlichen Steuern ein. Oder die Könige von Neapel, deren Armee die Bardi ausstatteten. Fiskus, Budget, Verteidigungsetat, alles privatisiert – heutige StaatsabbauerInnen würden jubeln. Und all das bei schlankster Struktur: Nur je rund hundert Leute arbeiteten für die Bardi und Peruzzi in Festanstellung. Ausschlaggebend für ihren Untergang dürfte aber das politische Engagement der Konzerne in ihrer Heimat gewesen sein. Sie unterstützten Kriege ihrer Stadtrepublik in der Nordtoskana, was teuer war und nichts einbrachte, beteiligten sich 1340 an einem erfolglosen Putsch und halfen zwei Jahre später, Walter von Brienne als Signor (Diktator) zu installieren. Im Juli 1343 jagten sie Walter zum Teufel und ergriffen selbst die Macht in der Hoffnung, mit der Stadtkasse den eigenen Konkurs abwenden zu können. Im September wurden sie gestürzt, der Palast der Bardi wurde niedergebrannt, nur mit Glück kamen die Padroni mit dem Leben davon. Dazu kam das kaum weniger kreative Wirtschaftsgebaren des politischen Verbündeten und wirtschaftlichen Rivalen Venedig - einer Wirtschaftsgrossmacht, die ihren Reichtum dem Handel vor allem mit der Levante sowie der Währungsspekulation verdankte. Währungsspekulation bedeutete damals: Ausnutzung der Kursschwankungen zwischen Gold und Silber. So konnten die venezianischen Kaufleute Riesengewinne schreiben, selbst als die reale Wirtschaft stagnierte oder schrumpfte. Für die Florentiner mit ihrem schönen Goldflorin ging das so lange gut, wie der Goldpreis stieg, nämlich bis 1325. Danach sank der Kurs gegenüber dem Silber innert zweier Jahrzehnte von fünfzehn zu eins auf neun zu eins.
Katastrophenjahrhundert
Florenz im Trecento: Da denkt man zuallererst an kulturelle Grosstaten, an Giotto und die Brüder Lorenzetti, an Dante und Boccaccio. Aber das 14. Jahrhundert war eben auch ein Jahrhundert der europaweiten Krisen und Katastrophen, und von diesen wurde Florenz besonders heftig durchgeschüttelt. Es tobten Kämpfe zwischen papsttreuen Guelfen und kaisertreuen Ghibellinen, zwischen Weissguelfen und Schwarzguelfen; zwischen Grandi (Adel), Popoloni grassi und Popoloni magri (reiche respektive arme Bürgerliche) sowie den ArbeiterInnen; und immer wieder führte Florenz in wechselnden Koalitionen Krieg gegen andere Städte Norditaliens. Hungersnöte, Landflucht, Seuchen prägten die Zeit. Die schlimmste der Seuchen, die schwarze Pest, die ab 1347 von Süditalien her den Rest Europas überfiel, tötete vermutlich ein Drittel aller EuropäerInnen. In Florenz, das im Vorjahr der Pest eine Hungersnot erlitten hatte, starben vier von fünf EinwohnerInnen. Die grossen Kaufleute hatten ihren Anteil an den Hungersnöten. Sie begannen in Grundbesitz zu investieren, drückten die Preise. Die «befreiten» Bauern nutzten sie als Reservoir billiger Arbeitskräfte für die Tuchindustrie, die fruchtbaren Gegenden der Toskana entvölkerten sich im frühen 14. Jahrhundert.
Dann der Knall. Die Familien Bardi und Peruzzi verloren ihre Konzerne, Florenz seine führende Stellung im Finanzgeschäft an Lucca, die deutsche Hanse profitierte. Doch wie hiessen zwei der reichsten Familien im Florenz der 1350er Jahre? Bardi und Peruzzi. Fett schwimmt obenauf, das war auch damals schon so.
Marcel Hänggi