Nicht so Jeremy Rifkin. Die vom vielschreibenden amerikanischen Soziologen beschworene Revolution soll ihren Namen verdient haben und »jeden Aspekt unseres Lebens fundamental verändern«. Rifkin fragt, was eine echte Energiewende für die Macht-, die Eigentumsverhältnisse, für unsere Beziehungen untereinander und zur Umwelt heißen müsste. Allein dafür möchte man sein Buch aus einem Meer technokratischer Bücher lobend hervorheben.
Leider muss hier gesagt werden: Das Buch ist schlecht. Für Rifkin scheint alles irgendwie Erdöl zu sein, was Arabien ist – doch erfolgreich ohne Hilfe von außen waren die arabischen Revolutionen ja gerade nicht in Erdölländern, und die These der Facebook-Revolutionen entspringt eher journalistischem Prêt-à-Penser denn soziologischer Analyse. Die fundamentale Erkenntnis, wie noch »jede« industrielle Revolution abgelaufen sei, basiert auf sehr schmaler empirischer Basis: gab es doch bisher nur zwei. Rifkin streift in lichten Passagen die Ahnung, dass man tiefer graben müsste; dass etwa das Auto, dieses zentrale Objekt der »zweiten« industriellen Revolution, nicht einfach transportiert, sondern unsere Wahrnehmung von Raum und Zeit radikal verändert hat. Um dann doch so sehr an der Oberfläche zu bleiben, dass er meint, mit einer Umstellung auf Elektro- oder Wasserstoffmotoren sei etwas gewonnen. (In künftigen Schulen, schreibt er, müssten Lehrer den Schülern vermitteln, dass die Entscheidung, welches Auto sie fahren, einen Einfluss auf die Umwelt habe – also nicht ob, sondern nur welches; für mehr reicht seine gesellschaftspolitische Phantasie dann doch nicht.) Rifkin erkennt völlig richtig, dass unbegrenzte Verfügbarkeit von Energie selbst dann zum ökologischen Kollaps führen müsste, wenn die Energie vollkommen »sauber« wäre, und dass die Wirtschaft nicht unbegrenzt wachsen kann – um dann doch wieder die Gratis-Revolution zu predigen: Jeder in Energieeffizienz investierte Dollar bringe 1,80 Dollar Nutzen.
Nichts passt zusammen in diesem Buch: nicht die Rede von »lateraler Macht« zur Eitelkeit, mit der Rifkin über seine Treffen mit den Mächtigen Europas (Merkel, Barroso & Co.) berichtet; nicht der Ruf nach nachhaltigem Lebensstil dazu, dass er selber bis zu zweimal wöchentlich über den Atlantik fliegt; nicht die romantische Naturverklärung zur Verliebtheit in »intelligente Technologien«; nicht die Kritik am naturfernen Aufwachsen der Computerkids zur Euphorie für Facebook & Co. Nun könnte das ja ein Zeichen von Originalität und also eine Stärke sein, wenn denn der Autor durch präzises Argumentieren plausibel machte, dass die Gegensätze zusammen gehören. Aber nichts wäre falscher, als Rifkins Argumentation präzis zu nennen. Und selbst wenn sich die neuen »lateralen«, »dezentralen«, »demokratischen« und »intelligenten« Techniken etablieren sollten: Neue Techniken haben alte selten ersetzt, meist ergänzt. Wir verbrauchen heute mehr Kohle als vor dem Erdölzeitalter, mehr Brennholz als vor dem Kohlezeitalter. Sollte sich die dritte Industrielle Revolution tatsächlich ereignen, wären wir die zweite deswegen noch lange nicht los.
Gibt es auch Positives zu berichten? Nun, das Buch wird ansatzweise interessant, wo Rifkin die Projekte schildert, in denen er als Berater fungiert: auf Sizilien, in Rom, Utrecht oder San Antonio in Texas. Doch gerade da ist Rifkin eben nicht der Soziologe, der analysiert, sondern der Politberater, der verkaufen will.
Wahrscheinlich braucht unsere Zeit Menschen, die sich für eine Sache voll einsetzen und dafür auch mal bereit sind, über Widersprüche hinwegzusehen. Bücher indes läse man lieber von Leuten mit differenzierterem Blick.
Marcel Hänggi