Eigentlich müssten sich die beiden Themen gut ergänzen: Sowohl energie- wie klimapolitisch ist es angezeigt, die Produktionskapazitäten für erneuerbaren Strom massiv auszubauen. Schaut man aber, wie und von wem die «Stromlücke» im Jahr vor den nationalen Wahlen in die Debatte gedrängt wird, so scheint sie doch vor allem ein Kampfbegriff zu sein.
Wirklich dramatisch aber steht es ums Klima. Das wird der Bericht, den der Weltklimarat IPCC morgen Montag präsentiert, einmal mehr deutlich machen. Der dringlichste Anlass, das Energiesystem umzubauen, ist deshalb die Klimakrise: Um die globale Erwärmung zu begrenzen, müssen wir baldmöglichst aufhören, Erdöl, Erdgas und Kohle zu verbrennen. Hier setzt die Gletscher-Initiative an, die der Nationalrat kommende Woche berät: Sie will die Nutzung fossiler Energie beenden.
Die Umweltkommission des Nationalrats hat der Gletscher-Initiative einen Gegenentwurf gegenübergestellt. Wie die Initiative will sie die Treibhausgasemissionen bis spätestens 2050 auf netto null senken. Die Initiative fordert darüber hinaus aber auch Zwischenziele, die «mindestens zu einer linearen Absenkung führen». Im Gegenentwurf fehlt diese Vorgabe.
Zwischenziele sind entscheidend, weil klimapolitisch nicht zählt, wann die Emissionen auf (netto) null sind, sondern wieviele Treibhausgase bis dahin insgesamt noch ausgestossen werden. Wer ein Ziel festlegt, ohne den Weg vorzugeben, vertraut zudem darauf, dass sich das Ziel wundersamerweise von selbst einstellt.
Damit die Treibhausgasemissionen auf null fallen, muss die Energieproduktion aus Öl, Gas und Kohle ersetzt werden. Wenn man etwas durch etwas anderes ersetzen will, muss man das eine wegnehmen und das andere hinzutun. In der gegenwärtigen Energiedebatte ist fast nur vom Hinzutun die Rede, und es kann nicht genug sein: Wasserkraftanlagen in Naturschutzgebieten, neue Atomkraftwerke, «klimaneutral» betriebene Gaskraftwerke … Doch damit zäumt man das Pferd am Schwanz auf: denn für das Klima relevant ist das Wegnehmen.
Wenn man nur hinzutut, aber nichts wegnimmt, hat man am Ende einfach beides. Umgekehrt muss man das, was man wegnimmt, nicht zwingend vollständig ersetzen: Man kann es auch einsparen. Auch davon spricht gegenwärtig fast niemand. Dabei ist ein «sparsamer Energieverbrauch» in der Bundesverfassung ein gleichrangiges Ziel wie die «ausreichende Versorgung».
Strategien, die das Wegnehmen der fossilen Energie ins Zentrum stellen, werden von gewissen Kreisen als «Verzicht» verunglimpft. Aber um Verzicht geht es nicht, im Gegenteil: Zahlreiche Zwänge und Anreize veranlassen uns, mehr Energie zu verbrauchen, als es für ein gutes Leben nötig wäre. Reduziert man diese Zwänge, schafft man Freiheiten. Das hiesse etwa konkret: eine intelligente Raumplanung und Verkehrspolitik, die mehr Mobilität mit weniger Verkehr ermöglicht.
Tabuisiert man indes das Wegnehmen, landet man bei Aussagen wie etwa einem Tweet von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, es brauche «alles, um genug Strom zu haben», oder dem Ruf Christoph Blochers nach Massnahmen «wie in Kriegszeiten». Solche Haltungen vertragen sich nicht mit einer freiheitlichen Gesellschaft. Wer «alles braucht», verliert die Freiheit, auch einmal nein zu sagen, abzuwägen, zu gestalten.
Als freie Gesellschaft haben wir Handlungsoptionen. Wir sind keine Sklaven der Szenarien künftigen Energieverbrauchs. Aber gerade die Klimakrise bedroht die Freiheit und je länger wir fortfahren, fossile Energie zu verbrennen und so das Klima zu erhitzen, desto kleiner werden die Handlungsoptionen.
Gewiss, wir sollten die erneuerbare Stromproduktion massiv ausbauen, ja hätten es längst tun sollen. Aber wir müssen dabei immer im Auge haben, worum es hauptsächlich geht: darum, wie wir Erdöl, Erdgas und Kohle loswerden. Die Gletscher-Initiative mit ihrem Bekenntnis zum Ausstieg aus den fossilen Energien mit einem Reduktionspfad, der für Planungssicherheit sorgt, weist den Weg.
Marcel Hänggi (52) ist Umweltjournalist und Buchautor und Mit-Initiant der Volksinitiative für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative).