In der gegenwärtigen Debatte werden praktisch nur klimapolitische Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Freiheitsbeschränkung diskutiert, nicht aber die Folgen des Klimawandels. Der Liberalismus hegt gegen Freiheitsbeschränkungen, die vom Menschen ausgehen, eine stärkere Abneigung als gegen solche, die von Dürren, Stürmen oder Hochwassern ausgehen – mit gutem Grund, hat sich der Liberalismus doch gegen die Anmaßungen absolutistischer und totalitärer Herrschaft gebildet. Allerdings ginge es heute darum, Umweltkatastrophen, die auf den anthropogenen Klimawandel zurückgehen, ebenfalls als Ausdruck von Herrschaft von Menschen über Menschen zu verstehen. Dies umso mehr, als die Folgen eines gravierenden Klimawandels – Hungersnöte, Massenmigration, Ressourcenkonflikte – nicht bloß einzelne Freiheiten gefährden, sondern, indem sie einen Nährboden für politische Extremismen bilden, die freiheitliche Gesellschaftsordnung als Ganzes.
Wie sollte eine liberale Klimapolitik aussehen?
Eine starke Strömung innerhalb der Klimaökonomie versucht, das «optimale» Maß an Klimaschutz zu bestimmen, indem sie die Kosten des Klimaschutzes den dadurch vermiedenen Kosten des Klimawandels gegenüberstellt. Dabei hat sie mit großen Unsicherheiten zu tun: Keines der Szenarien der Klimawissenschaften wird sich genau so ereignen. Es kann schlimmer kommen oder weniger schlimm. Aus Sicht der Kosten-Nutzen-Analysen ist es dabei einerlei, ob «zu viel» oder «zu wenig» Klimaschutz betrieben wird: Beides weicht vom Optimum ab.
Mit Blick auf die Freiheit indes besteht hier eine Asymmetrie. Denn politisches Handeln muss fehlertolerant sein, will es nicht Freiheitsoptionen künftiger Menschen zerstören. «Zu viel» Klimapolitik mag teuer sein (was freilich umstritten ist), aber politische Maßnahmen lassen sich wieder zurücknehmen. Tut man dagegen zu wenig, hat dies irreversible ökologische Folgen: Ist Methan erst einmal aus auftauenden Permafrostböden entwichen, gelangt es nicht dorthin zurück, auch wenn sich die Menschheit klimapolitisch noch so sehr anstrengt, und hat das Abschmelzen des Grönlandeises einen gewissen Punkt überschritten, wird es nicht mehr zu stoppen sein, selbst wenn es wieder kühler würde.
Dem liberalen Gebot der Fehlertoleranz gerecht wird das Vorsorgeprinzip, das in der Klimaökonomie mit dem Kosten-Nutzen-Ansatz konkurriert. Das Vorsorgeprinzip betrachtet, grob gesagt, gewisse Entwicklungen als derart katastrophal, dass es sie um (fast) jeden Preis zu verhindern gilt.
Aufgrund der Erkenntnisse der Naturwissenschaften lässt sich errechnen, wie viel CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger (um hier nur vom wichtigsten Treibhausgas zu sprechen) noch emittiert werden darf, um das Risiko gering zu halten. Eine Klimapolitik ist dann – und nur dann – erfolgreich, wenn es ihr gelingt, den Verbrauch unter diesen Wert zu drücken.
Der Staat kann nun versuchen, die Nachfrage nach fossilen Energien zu senken – mittels Vorschriften zur Energieeffizienz, Einspeisevergütungen für erneuerbare Energien und Ähnlichem. Das ist aus (wirtschafts-) liberaler Sicht problematisch, denn es schafft neue Fehlanreize und Überkapazitäten. Vor allem aber ist es fraglich, ob solche Maßnahmen zielführend seien: Schließlich kann man auch immer effizienter immer mehr verbrauchen, und erneuerbare Energien ersetzen nicht zwangsläufig fossile, sondern werden womöglich zusätzlich verbraucht.
Begrenzt die Politik dagegen das Angebot wirksam, so kann gar nicht mehr verbraucht werden. Eine Rationierung, ergänzt durch die Möglichkeit, mit den Bezugsrechten zu handeln («Cap and Trade»), ist, so paradox das erscheinen mag, nicht nur die wirksamste, sondern auch die liberalst mögliche CO2-Politik. Denn sie gibt das Ziel vor, überlässt es aber der Wirtschaft, wie sie dieses erreichen will. Mit knappen Ressourcen effizient umgehen kann der Markt; er wird sich seine Ressourcen aber nicht von alleine verknappen: Das muss die Politik tun. Konsequent und lückenlos umgesetzt, macht Cap and Trade nachfrageorientierte Maßnahmen überflüssig.
Rationierung mittels Cap and Trade ist die direkteste Art, die Wirtschaftsfreiheit dort einzuschränken, wo sie eingeschränkt werden muss – aber auch die offensichtlichste. Deshalb erscheint sie als illiberal, und deshalb schräubelt die Politik lieber an der Nachfrage herum. Dennoch existieren Cap-and-Trade-Systeme bereits: Das Kioto-Protokoll hat ein solches zwischen Staaten, der EU-Emissionshandel zwischen Unternehmen installiert. Beide sind allerdings so lückenhaft und intransparent, dass ihr Rationierungscharakter nicht auffällt (und die Wirkung verpufft).
Die Aufgabe des Staats erschöpft sich aber nicht darin, die Zufuhr von Öl, Gas und Kohle zu begrenzen. Der Staat soll die Rahmenbedingungen, die er individuellem Handeln so oder so setzt, derart setzen, dass sie in einer gegebenen Situation möglichst viel individuelle Freiheit ermöglichen. So würde etwa eine Verkehrs- und Raumplanung der kurzen Wege gleich viel oder sogar mehr Mobilität bei sinkender Verkehrsleistung erlauben.
Auf einen oberflächlichen Blick hat der Verkehrsausbau Mobilitätsfreiheiten geschaffen, die eine Politik der Verkehrsminderung beschneiden würde. Doch dieser Blick übersieht, dass es auch einen Mobilitätszwang gibt: Wenn die Verkehrskapazitäten zunehmen, werden die Wege länger. Die Einkaufsmöglichkeiten im Dorf und im Quartier verschwinden, die Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt wohnen in einem weiteren Umkreis und so weiter. Wer beispielsweise auf ein Auto verzichten will, zahlt einen zunehmend höheren sozialen Preis.
Die Verkehrszunahme ist ja nicht Ausdruck eines Mobilitätsdrangs, der in der Natur des Menschen läge: Kaum ein Bereich wurde, und zwar seit den Kanalbauten im 18. Jahrhundert, derart massiv subventioniert wie der Verkehr; die Suburbanisierung und Massenmotorisierung des 20. Jahrhunderts sind Resultate staatlicher Planungspolitik. Eine Politik der kurzen Wege verhindert Mobilität nicht, sondern ermöglicht sie auch dann, wenn die Verkehrsleistung aufgrund der klimapolitischen Erfordernisse sinken muss.
Aber ist eine solche Politik, ist eine Umorientierung der Wirtschaft auf weniger Ressourcenverbrauch und kürzere Wege überhaupt möglich? Hier müsste der Liberalismus mit einer Überzeugung antworten, die für ihn fundamental ist – wenn auch ein There-Is-No-Alternative-Liberalismus thatcherscher Prägung sie leugnet: dass Gesellschaft gestaltbar, dass der Mensch ein vernunftbegabtes und lernfähiges Wesen und dass sozialer Fortschritt möglich sei.
Marcel Hänggi