Aber warum ist die Atomkraft auch für ihre Befürworter eine Glaubensfrage?
In der Frühzeit der Atomforschung, in den 1950er und früheren 60er Jahre, hatte die Elektrizitätswirtschaft kein Interesse an Atomkraftwerken. Das änderte sich erst, als Reaktoren mit militärischen Geldern entwickelt und von den USA aus aussenpolitischen Gründen zu Dumpingpreisen exportiert wurden. Es waren (auch in der Schweiz) zuerst Militärs, die die Atomkraft wollten, sowie Physiker, die mit eine behaupteten ökonomischen Nutzen ihre prestigereiche, aber teure Forschung legitimierten.
Es ging den Atombefürwortern aber nie um eine Kosten-Nutzen-Abwägung. «Die atomare Herausforderung» war der Titel eines 1968 in Zürich erschienenen Buchs, Untertitel: «Wir stehen vor der Wahl: Fortschritt oder Untergang». Das illustriert schön, worum es ging: um ein Credo. Noch martialischer drückte sich sich Wolf Häfele aus, der Direktor des deutschen Reaktorforschungszentrums in Karlsruhe: Unternehmungen wie die Atomkraft «gehören zum Sichbehaupten eines Volkes (...) auch dann, wenn der dafür zu zahlende Preis phantastisch sein wird.» Dabei war Häfele durchaus kein Feind erneuerbarer Energie: Alle Energietechniken werde man nutzen müssen, schrieb er 1977. Er glaubte, man werde – zusätzlich zu Atomkraftwerken und schnellen Brütern! – Flächen in der Grössenordnung der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche mit Solarpanels bedecken müssen.
Die grundlegenden Verwerfungslinien in der Energiedebatte verlaufen nicht zwischen erneuerbar und nicht-erneuerbar, nicht zwischen energetischer Planwirtschaft und freiem Energiemarkt. Sie verlaufen zwischen einem Denken in grossen Dimensionen, gepaart mit einem Glauben an die Macht der Technik auf der einen Seite und einem Denken in Alternativen, gepaart mit dem Glauben an die Gestaltbarkeit der Gesellschaft auf der anderen Seite.
Als die Überschallflug-Gegner in den USA die machtgewohnten Technokraten besiegten, waren diese völlig überrumpelt. Als Langhaarige, Familien mit Kindern, biedere Bürger in Kaiseraugst 1975 das Baugelände besetzten, erschreckten sie das hiesige Establishment. Zwar war die vermeintlich revolutionäre Atomkraft-Gegnerschaft insgesamt eine ziemlich bürgerliche Allianz. Und doch war der Schreck nicht unberechtigt: denn das waren Leute, die nicht mehr bereit waren, die Behauptung vom zwangsläufigen «Fortschritt» einfach so hinzunehmen. Die sich erfrechten, «nein danke» zu sagen.
Wenn heute Politiker, die sonst wirtschaftsliberal denken, an der Atomkraft festhalten, ist das ein Nachhall dieses Schrecks. Auch wenn manche der heutigen Glaubenskrieger zu Zeiten von Kaiseraugst noch gar nicht geboren waren.