Dass nun die Wälder vor Abholzung geschützt werden sollen und dass es dazu finanzielle Anreize aus den reichen Ländern braucht, ist an sich unbestritten. Aber es gibt in der ganzen REDD-Diskussion zentrale Punkte und viele Details, über die noch völlige Uneinigkeit herrscht. Zentral: Woher kommt das Geld? Brasilien schlägt einen Fonds vor (und hat unilateral bereits einen solchen eingerichtet, in den Norwegen auch bereits einzahlt). Industrieländer sollen Geld zur Verfügung stellen, mit denen dann die Entwicklungsländer die WaldbesitzerInnen Anreize entschädigt, wenn sie auf das Abholzen verzichten. Andere, vor allem Industrieländer, wollen eine marktbasierte Lösung (das wollen außer den Industrieländern auch, beispielsweise, der Gouverrneur des brasilianischen Teilstaats Mato Grosso do Sul, einer der großen Sojabarone; sie würden davon profitieren). Gibt es eine solche Lösung, können Industriestaaten in die «Nicht-Abholzung» investieren und erhalten dafür Emissionsgutschriften, die sie dann wieder in ihren Kohlekraftwerken verheizen dürfen. Nicht-Abholzung wäre dann also keine zusätzliche Anstrengung, um das Klima zu schützen, sondern lediglich ein neuer Weg, nicht selber etwas tun zu müssen.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Was heißt Nicht-Abholzung? Um zu messen, wie viel nicht abgeholzt wurde, sollte man wissen, wie viel denn abgeholzt worden wäre ohne REDD. Dieses «Wäre» ist das so genannte Baseline-Szenario - eine Annahme. Was soll man annehmen? Man könnte annehmen, dass ohne REDD die Abholzung weiter gegangen wäre wie in der Vergangenheit. Das hieße aber die belohnen, die in der Vergangenheit sehr viel abgeholzt haben. Und: Kann sich ein Land auch als Leistung für den Klimaschutz anrechnen lassen, wenn es lediglich eigene Waldgesetze konsequent anwendet (viel der gegenwärtigen Abholzung in vielen Ländern ist ja illegal)? Wenn ja, würden Länder mit strengen Waldgesetzen bestraft. Wenn nein, würde man Nicht-AbholzerInnen dafür belohnen, dass sie lediglich Gesetze einhalten.
Zwei Punkte, die Umwelt- und Menschenrechtorganisationen Bauchweh machen - nun nähern wir uns dem ominösen «s» - sind Biodiversität (Artenvielfalt) und Rechte der (indigenen) WaldbewohnerInnen. Gilt einfach alles als Wald, was aus Bäumen besteht und also Kohlenstoff bindet? Dann bestünde die Gefahr, dass Urwälder in Baumplantagen - etwa Eukalyptusmonokulturen - umgewandelt werden. Und wie verhindert man REDD-Lösungen, die die WaldbewohnerInnen schädigen, die den Wald seit Jahrtausenden nachhaltig bewirtschaften? (Diese Frage ist eine Punkt, in dem NGOs der Schweiz eine vorbildliche Rolle attestieren.)
Man könnte diese beiden Probleme lösen, indem man in einem REDD-Vertrag einfach festschriebe, dass bestehende völkerrechtliche Abkommen - die Konvention zum Schutz der Biodiversität CBD und die UN-konvention zum Schutz der Indigenen Völker UNDRIP - eingehalten werden müssten. Dagegen wehren sich aber die Staaten - namentlich die USA und Kanada -, die diese Konventionen nicht unterzeichnet haben. Der Entwurf von Dienstag-Mittwoch-Nacht sieht nun vor, die UNDRIP explizit zu erwähnen - allerdings in der juristisch schwachen Formulierung «noting the UNDRIP». Die CBD wird nicht explizit erwähnt, soch wird auf «bestehende Abkommen zum Schutz der natürlichen Vielfalt» hingewiesen.
Namentlich gelang es, dass die AmerikanerInnen - in den Vorverhandlungen zum Entwurf - die Formulierung akzeptierten, es gelte, die Rechte der «indigenous peoples» zu achten. Bisher war immer nur von «indigenous people» die Rede gewesen. «Indigenous peolpe» (onge Plural-«s») bedeutet einfach Indigene; «indigenous peoples» (mit «s») bedeutet: indigene Völker. Dass Völkern Rechte zugestanden werden, ist das Revolutionäre an diesem «s».
Eigentlich könnte das Kanada und den USA wurscht sein: Sie müssen wegen REDD ja nicht den eigenen indigenen Völkern Rechte zusprechen, denn es geht um Entwicklungsländer. Aber es geht eben auch um das Prinzip.