«Das Magazin» vom 13. Oktober 2001
Die Reise nach Grönland und die Kontakte zu den Walfängern wurden organisiert vom Fotografen Markus Bühler-Rasom.
Es stinkt nach Krabbenpisse an Bord. Die Aalut steuert eine Boje an. Eine Seilwinde zieht ein Tau mit Reusen aus dem Wasser, die Matrosen lesen die Krabben aus den Reusen, werfen diese mit neuen Ködern wieder ins Meer. Fünfzig Reusen bei jeder Boje, sechs Bojen pro Tag, tausendfünfhundert Kilo Krabben in zwei Tagen. Die Kanone auf dem Bug bleibt unbenutzt. Es ist eine Kanone zum Abschuss von Harpunen. Die Aalut ist ein Walfänger. Wir erreichten das grönländische Ilulissat am 2. August. Die Zeit der Mitternachtssonne war vorbei, doch die Nächte waren noch durchgehend hell. Es hatte eine gute Empfehlung gebraucht, dass Schiffseigner Aqqalu einverstanden war, Journalisten an Bord eines Walfängers zu nehmen: Die Europäer sind gegen den Walfang, und man befürchtete negative Propaganda. |
Wir fahren nordwärts der Küste entlang. Ein Idyll. Das Wasser ist schwarzblau unter dem blauen Himmel und dunkel olivgrün unter den Wolken, türkis zwischen den Eisbergen, und abends und nachts spiegelt es im Norden das Gelb und Orange des Himmels. Der Harz der Tundrapflanzen ist bis weit in die See zu riechen.
Kommerzielle Jagd auf Großwale ist seit 1986 durch Beschluss der Internationalen Walfangkommission (IWC) verboten. Die IWC ist eine eigenartige Organisation – gegründet als Jagdaufsicht und nicht als Artenschutzorganisation, weshalb sie eigentlich nicht die Jagd verbietet, sondern die Quote auf null festlegt. Ohne diese Maßnahme wären einige Arten heute wohl ausgerottet. Doch die IWC-Mitglieder sind tief zerstritten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass afrikanische und karibische Länder nur zu dem Zweck Mitglied der IWC wurden, um für die Lockerung des Walschutzes zu stimmen – geködert durch japanische Entwicklungshilfegelder. Auf der anderen Seite wurde aber beispielsweise die Schweiz, als Binnenland eigenartiges Mitglied einer Walfangkommission, «in die IWC eingeladen, um ein Moratorium durchsetzen zu helfen», sagt der Schweizer IWC-Delegierte Thomas Althaus. Im großen Stil jagen heute nur noch Japan, das seine kommerzielle Jagd als wissenschaftlich deklariert, und Norwegen, das den Entscheid von 1986 nicht anerkennt. Die Jagd auf Kleinwale – etwa Belugas, Orkas, Delfine – wird von der IWC nicht geregelt.
Ausdrücklich erlaubt und unter Experten kaum umstritten ist die so genannte traditionelle Subsistenzjagd einiger Völker der nördlichen Polarregion. Grönland darf zur Versorgung seiner 56.000 Einwohner 19 Finn- und 190 Zwergwale pro Jahr töten. Der Export der Produkte ist verboten.
Zweieinhalb Tage dauert es, bis wir die ersten Wale sehen. Es sind Buckelwale, die nicht gejagt werden dürfen. Wale jagen, das heißt: vor der Küste kreuzen, bis man zufällig einem Wal begegnet. Manchmal melden andere Fischer per Funk, wenn sie einen Wal gesehen haben. Zur Navigation dienen Radar, Echolot, und ein satellitengestütztes Positionierungssystem. Der große Messingkompass auf seinem Eichensockel (die Nadel zeigt nach Nordwest, 319 Grad) hat kaum mehr eine Funktion. Für die Suche nach den Walen gibt es nur die Augen. Ein Feldstecher ist an Bord, doch er schränkt das Gesichtsfeld ein. Als Ausguck dienen zwei Stricke und ein Netzchen, aufgespannt zwischen den Stützpfeilern des Masts vier Meter über Deck.
Als die Aalut nach drei Tagen mit leerem Laderaum in den Heimathafen Ilulissat zurückkehrt, verfügt Schiffseigner Aqqalu: Die Aalut muss Krabben fischen. Zwei Tage lang tun das die Männer mit wenig Begeisterung. Dann, am Abend des zweiten Tages: zwei Blase steuerbord voraus! Die Atemluft zweier Wale zeichnet sich weiß ab vor den rostroten Felsarkaden und Kiesstränden der Diskoinsel. Ein Rücken taucht schwarzgrau glänzend über der Wasseroberfläche auf: ein Finnwal. Rollt vorwärts; der Wal bläst, der sichtbare Ausschnitt wird größer, die Finne taucht auf und mit dem ganzen Tier wieder unter. Dann der zweite Wal. Schön sind die Tiere kaum – doch riesig, ruhig, majestätisch: wunderbar.
Ein Finnwal ist mehr als doppelt so lang wie die Aalut; ohne Assistenz eines größeren Schiffs kann diese ein solches Tier nicht abschleppen. Über Funk wurde aber auch ein Zwergwal gemeldet. Die bis zu zehn Meter langen Tiere sind die kleinsten Großwale. Die Aalut liefert die Krabben an ein Fabrikschiff ab und sticht kurz vor Mitternacht wieder in See. Nach einer halben Stunde sichtet Albert den Zwergwal vom Steuer aus. Die Kanone (Kaliber 65 Millimeter) ist scharf, die Granate (22 Gramm PETN) auf die Harpunenspitze aufgesetzt, die Taue liegen richtig. Albert übernimmt die Kanone. Nicht mehr als zwanzig Meter sollte die Distanz bei einem Tier dieser Größe vor dem Schuss betragen. Der Wal taucht auf, langsam, ohne Scheu. Er erkennt im lauten Tuckern des Motors keine Gefahr. Die Aalut hält auf ihn zu mit reduzierter Fahrt, drei Knoten. Der Wal taucht unter, taucht Minuten später wieder auf, die Aalut korrigiert ihren Kurs, der Wal taucht wieder weg. Endlich, ein Viertel nach ein Uhr früh, taucht der Wal direkt vor dem Bug auf. Albert schießt, die Harpune reißt das Tau mit der gelben Boje ins Wasser.
Ein Wort hätten wir uns in Gegenwart der Jäger nicht in den Mund zu nehmen getraut: «Greenpeace». Nun sprechen die Radionachrichten stündlich davon: Das Greenpeaceschiff Arctic Sunrise protestiert vor der amerikanischen Luftwaffenbasis Thule in Nordgrönland gegen die Star-Wars-Pläne.
Die Ausgabe vom 2. August des regierungsnahen «Grønlandsposten», die in der Kajüte liegt, widmet dem Thema vier Artikel. Keine zeigt Sympathie oder Verständnis für die Umweltschützer. Grönlands Premierminister wird zitiert, viele Grönländer hätten «traumatische Erinnerungen» an Greenpeace und ihre Kampagnen gegen Wal- und Robbenfang. In der Hauptstadt Nuuk haben zweihundert Grönländer gegen die Organisation demonstriert.
Seit Jahrhunderten leben wir mit dem Meer und dem Wal. Dann kamen die Weißen, rotteten den Wal fast aus, und nun wollen sie uns die Jagd verbieten: Dafür steht «Greenpeace» in den Ohren der grönländischen Jäger. Es ist ihnen Chiffre für die Arroganz der Industrienationen anderen Kulturen gegenüber. Die Walschützer, steht in einem grönländischen Buch über Waljagd, seien Städter, denen die Natur ein Ideal sei und die «niemals die Möglichkeit hatten, eine realistische und tiefe Beziehung zur Natur aufzubauen.»
Das Ideal des naturbezogenen Menschen aber, das ist der Eskimo. Wie sich die Wale zur Mystifikation eignen, so tun es die Eskimos als Volk. Das wissen auch die Lobbyisten der traditionellen Waljagd. Die Grönländer, steht in dem Buch, glaubten, der Wal wähle sein Schicksal und opfere sich freiwillig. Die Jäger lachen uns aus, als wir fragen, ob das stimme.
Dass sie vom Walschutz auch profitieren, interessiert die Jäger nicht. Sie haben an der Dezimierung der Tiere keine Schuld, also soll der Rest der Welt sie in Ruhe lassen. Walschutz riecht nach Einmischung, und so stellt sich Grönland auch gegen Walschutzgebiete im Südpazifik, weit ab von den eigenen Jagdgründen: Die Notwendigkeit solcher Schutzzonen sei wissenschaftlich nicht erwiesen.
Kann man einen Wal aus zwanzig Metern Schussdistanz verfehlen? Man kann. Bis die Kanone gewendet ist, bleibt zum Zielen kaum Zeit. Albert trifft nicht, der Wal ist weg. Schlafen mag jetzt noch niemand; Albert zieht sich als erster in die Kajüte zurück, als nach vier Uhr die Sonne aufgegangen ist. Der Wal zeigt sich nicht wieder. Als wir andern uns um neun im Hafen von Qeqertarsuaq schlafen legen, ist noch kaum jemand auf der Straße. Die Sonne heizt.
Nach der ersten erfolglosen Woche folgt eine zweite, diesmal im Süden. Die Fahrt führt zuerst durch die Eisberge vor dem Eisfjord von Ilulissat. Die Möwen sitzen auf den Kanten der Eisberge im Luv. So können sie sich schnell wieder in den Wind stürzen. 43 Wale sehen wir in sechs Tagen – zu große Finnwale, geschützte Buckelwale, und nur einmal zwei Zwergwale, deren Verfolgung im Nebel endet. Es hatte geheißen, die Katri, das größere Schiff Aqqalus, werde zur Assistenz bereit stehen, so dass wir auch einen Finnwal schießen könnten. Doch Entscheide werden schnell gefällt und wieder umgestoßen, und Seeleute sind keine Männer großer Worte. Einmal bleibt die Aalut einen ganzen Tag bei bestem Wetter im Hafen, weil sie auf einen Funkspruch der Katri wartet – vergeblich.
In einer der Nächte begegnen wir einer Schule von sechs Finnwalen. Die orangen Wolken spiegeln sich im Wasser wie in Whisky. Wir können das Blasen der Tiere hören. Vorn, backbords, steuerbords schwimmen jetzt Wale, wir mitten unter ihnen. Mit den Tieren mitzufahren, auch ohne Jagdabsicht, das ist etwas Großes, und auch dem Jäger, der seit Jahren Wale jagt, muss ein Ausruf des Staunens erlaubt sein bei jedem Auftauchen der Riesen in der Nähe des Schiffs.
Die Küstenlandschaft ist großartig, die Tage sind eintönig. Es gibt keinen Zeitvertreib an Bord, ausgenommen die Karten, mit denen die Männer selten spielen, ein Pornoheftchen, in dem sie selten blättern, Zigaretten, die Seehundjagd. Die Zeit muss nicht vertrieben werden, sie vergeht.
Zu essen gibt es viel Fleisch, mit einigen Kartoffeln, etwas Reis und Zwiebeln zu einer Suppe gekocht; täglich. Schweineherzen aus Dänemark, Lamm aus Südgrönland und, als das gekaufte Fleisch aufgebraucht ist, Seehund. Seehundfleisch ist schwer; außerordentlich zart aber ist die Leber, roh und noch körperwarm gegessen. Dazwischen isst man Äpfel aus Südtirol, Wurst und Käse aus Dänemark und getrocknete Amassetten – heringgroße Fische – mit Walspeck.
Nach Definition der IWC gilt eine Waljagd dann als traditionelle Substistenzjagd, wenn ein Volk zu seiner Ernährung darauf angewiesen ist und eine «kulturelle Notwendigkeit» besteht. Nähme man es genau, erfüllte niemand auf der Welt diese Kriterien. Im «Pisiffik» in Ilulissat kann man alles kaufen, was man auch in einem mittleren europäischen Supermarkt erhält. Doch was nicht gejagt oder gefischt wird, ist Importware: Außer etwas Schafzucht im Süden gibt es in Grönland keine Landwirtschaft. Die einzig nachhaltigen Arten der Nahrungsbeschaffung sind Fischerei und die Jagd, vorwiegend auf Meeressäuger. Nicht, dass die Jäger an Nachhaltigkeit und Ökologie dächten. Aber: «Warum sollen wir Fleisch importieren, wenn wir genug Wale haben?», sagt Aqqalu.
Albert kam schließlich zu seinem Wal, als er nicht mehr damit rechnete. Nach zwei erfolglosen Wochen auf See und zwei Tagen Pause geht die Aalut wieder Krabben fischen. Sie befindet sich zwanzig Seemeilen nördlich von Ilulissat, als über Funk gemeldet wird: ein Finnwal bei 69°20' Nord, 50°58' West. Die Katri liegt bereit, zu helfen. Albert übernimmt die Kanone. Bald taucht der Wal dreißig Meter vor dem Bug der Aalut auf. Er bläst, verweilt; Albert schießt. Die Granate explodiert, der getroffene Wal krümmt sich, taucht ab.
Eine Jagd ist kein Zoobesuch, das Tier muss getötet werden. Soll keinen angesichts des sterbenden Wals das Entsetzen packen, ohne dass er sich frage, wie viele Monate oder Jahre das Tier unwürdig gelebt habe, dessen Fleisch er zu Mittag gegessen hat. Wie, fragen die Jäger, können Menschen die Waljagd verurteilen, wenn sie selber Rinder und Schweine so halten, dass diese krank werden? Walschützer sagen: Das ist kein Argument für die Jagd auf Meeressäuger, sondern eines für einen bewussteren Umgang mit unseren eigenen Fleischtieren. Stimmt. Aber die Doppelmoral existiert, und sie schadet der Glaubwürdigkeit von Walfang- und Robbenjagdgegnern. Gegen das Töten der majestätischen Wale und der Robben mit ihren menschenähnlichen Gesichtern und Babyaugen zu sein, verlangt von Europäern und Amerikanern keinen Verzicht. Und es ist «sexy» – für Umweltschutzorganisationen und andere. Sogar McDonalds und Burger King beteiligten sich 1987 an einem Boykott gegen isländischen Fisch, weil Island weiterhin Wale jagen wollte.
Der Wal ist jetzt mit der Harpunenleine an die Aalut gefesselt. Schön ist das nicht. Die von der IWC vorgeschriebene Walgranate soll ein «humanes Töten» ermöglichen. Dafür müsste sie aber ein lebenswichtiges Organ treffen. Unsere Harpune hat den Wal hinter dem Kopf getroffen, ihre Spitze tritt auf der andern Körperseite wieder aus. Es ist Samstag Abend. Wolken ziehen auf. Das Meer liegt schwarz und flach. Mit Gewehren schießen die Jäger auf das verblutende Tier, solange das Tageslicht es zulässt. Am Sonntag gegen Mittag ist es tot. Wieso setzen die Männer keine zweite Granate für den Gnadenschuss ein? «Ein Wal, eine Granate», erklärt der Buchhalter später im Büro, «das muss reichen.» Mehr wäre zu teuer: Eine Walgranate kostet 6500 Kronen (1300 Franken).
Am Nachmittag zieht ein Sturm auf, Schnee mischt sich in den Regen. Beim Versuch, den toten Wal auf eine kleine Schäre in einer geschützten Bucht zu ziehen, verfängt sich das Seil in Katris Schraube. Das Schiff muss nach Ilulissat zur Reparatur gebracht werden. Die Schwanzflosse liegt jetzt am Trockenen, die Ebbe wird das ganze Tier freigeben. Zwanzig Stunden Arbeit stehen einem Dutzend Jäger bevor, als sie am Montag früh beginnen, den Kadaver zu zerteilen.
Albert ist zufrieden. Es ist ein schönes Tier: Vierundzwanzig Meter misst das ausgewachsene Männchen. Mit Messern und einem Fuchsschwanz werden 40 Tonnen Fleisch und Fett zerlegt. Keine Motorsägen, keine Seilwinden. Der feste, rund sechs bis zehn Zentimeter dicke Speck wird in 50 Zentimeter breiten Streifen vom Kadaver geflenst und mit handbreiten Tragschlitzen versehen. Das dunkle Muskelfleisch schneiden Männer, die auf dem Kadaver und in ihm stehen, vom Skelett. Der Gneis wird vom Blut immer glitschiger und gibt den Gummistiefeln immer weniger Halt. Gelegentlich schneiden sich die Jäger ein Stückchen zum sofortigen Verzehr ab: Die Muskelfasern, vom Meerwasser leicht gesalzen, können roh zwischen Zunge und Gaumen zerdrückt werden. Die zähe, grauschwarze, drei Millimeter dicke Haut schmeckt haselnussig, mit einer zarten Kokosnote. In der ganzen Bucht riecht es zuerst nach frischem Fleisch wie in einer Metzgerei; als der kupfergrüne Darm freiliegt, ändert der Geruch – er erinnert jetzt an gekochten, nicht mehr frischen Kohl.
Wegen der Schwierigkeiten beim Abschleppen haben die Jäger den Wal auf die siedlungsferne Schäre gebracht. Aber das Schlachten ist ein soziales Ereignis. Am Nachmittag tauchen Motorboote aus Oqaatsut und Ilulissat auf. Kinder wie Alte, Frauen wie Männer schneiden und sägen sich ihren Anteil aus dem Tier, füllen Säcke mit Fleisch und Fett. Gratis: Es hat genug für alle.
Worin begründet sich die Faszination, die der Walfang ausübt – der Mythos, der in Herman Melvilles «Moby Dick» seine schönste Gestaltung erfahren hat? Melville vergleicht die Waljagd mit dem Kampf Gottes gegen den Leviathan. Wenn ein alter Mann sich mit dem Fuchsschwanz Scheiben von der Schwanzflosse sägt, deren Spannweite das Doppelte seiner Körpergröße beträgt: dann wird die Anmaßung des menschlichen Projekts augenfällig, sich die Erde untertan zu machen. Diese Anschaulichkeit fehlt, wenn die Anmaßung unermesslich wird. Das Vergiften ganzer Weltmeere ist weniger spektakulär als ein Zweikampf – auch ein ungleicher – Mensch gegen Tier.
Studien in Japan und auf den Färöern haben im Walfleisch hohe Konzentrationen DDT, PCB, Quecksilber, Cadmium und anderer Gifte nachgewiesen. Die Regierung der Färöer hat ihren Einwohnern 1998 empfohlen, nicht mehr als ein- bis zweimal monatlich Wal zu essen. Schwangere und stillende Frauen sollen ganz darauf verzichten. Wird Walfleisch, das den Grönländern dank seiner Vitamine so wertvoll ist, wegen der Gifte bald nicht mehr gegessen werden können? Aqqalu, der Chef, hält das für Professorengeschwätz, vermutet Antijagdpropaganda. Die Jäger wüssten: Dem Wal gehe es gut.
Nach Eindunkeln ist Zeit für eine Pause. Albert kocht Wal, den wir mit süßen Essiggurken und Senf essen. Als die reparierte Katri wieder auftaucht, geht die Arbeit bis vier Uhr früh weiter. Mit einem Stahlseil zerrt die Katri am Kadaver. Das gespannte Seil schrammt Funken sprühend über den Fels. Die Männer flüchten sich in Sicherheit, mehrmals reißt das Seil aus. Rund zwei Drittel des Fleisches sind vom Kadaver geschnitten, doch auch jetzt noch ist dieser zu schwer, um von der Katri gedreht zu werden. Die Männer müssen ihn zersägen. Als alles Fleisch gewonnen ist, werden Skelett und Kopf im Meer versenkt. Zurück auf der Schäre bleiben Zigarettenstummel, ein paar Pappbecher und leere Konservendosen, eingetrocknetes Blut auf dem Gneis und das weiße, leintuchgroße Bauchfell in der kleinen Bucht, wo der Wal gelegen hat.
Der feste Speck und das dunkle Fleisch bringen auf dem Markt 30 Kronen (6 Franken) pro Kilo. Das helle, von Fett durchzogene Fleisch kostet halb so viel und wird vor allem den Schlittenhunden verfüttert. Könnte man sich den Zeitpunkt aussuchen, man hätte einen anderen Tag gewählt, den Wal zu schießen: Zahltag liegt weit zurück, die Menschen haben wenig Geld. Schon am zweiten Tag kauft auf dem kleinen Dorfmarkt von Ilulissat unter freiem Himmel kaum noch jemand. Ähnlich geht es in Qasiannguit, wohin der kleine Kutter Tia mit drei Mann Besatzung zu Markt gefahren ist. Aasiaat fällt weg: Hier wurde ebenfalls gerade ein Finnwal erlegt, der Markt ist gesättigt. Deshalb fährt die Tia noch auf den Markt von Uummannaq, von Ilulissat eine lange Tagesreise.
Der Verkauf eines Wals ist aufwändig und personalintensiv; ein großer Teil des Fleischs wird nicht frisch verkauft werden können und muss getrocknet oder gefroren werden. Wenn es gut geht, bringt der ganze Wal so viel ein wie eine bis zwei Wochen Krabbenfischen mit vier Mann Besatzung. Aqqalu träumt davon, Walfleisch zu exportieren: «Die Chinesen zahlen für Walspeck den dreißigfachen Preis.» Wahrscheinlich meint er Japaner. Da der Export verboten ist, müsste er, rechnete er rein wirtschaftlich, auf den Walfang eigentlich verzichten. Wieso, fragen wir, jagst du trotzdem? Aqqalu zuckt mit der Schulter. «So ist das eben. Jemand muss schließlich für das Fleisch sorgen.»
Marcel Hänggi