«Verantwortung» neu definiert
Die Schweiz schreibt nun aber frech, sie trage nur «geringe Verantwortung», stosse sie doch nur 0,1 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus. Was sie nicht schreibt: Weil SchweizerInnen auch 0,1 Prozent der Weltbevölkerung stellen, ist ihr Pro-Kopf-Ausstoß eben nicht gering, sondern durchschnittlich – zur Zeit. In der Vergangenheit war er klar überdurchschnittlich, und die Schweiz ist reich. Sie müsste sich mithin überdurchschnittlich anstrengen.
Der Bundesrat will die Emissionen in der Schweiz bis 2030 aber lediglich um 30 Prozent senken. Dazu addiert er 20 Prozent, deren Gegenwert die Schweiz im Ausland einkaufen soll. Dieses Ziel liegt zwar im Rahmen der 40 bis 70 Prozent Reduktion, die der Uno-Klimarat (ausgehend von überoptimistischen Annahmen) bis 2030 für nötig hält, um die Erwärmung auf 2 Grad zu begrenzen. Die spezielle Verantwortung und Fähigkeit der Schweiz sind da aber nicht berücksichtigt.
Dass eine zielführende Klimapolitik der der Schweiz als reichem Land leichter fallen sollte als anderen, bestreitet die Eingabe rundweg: die «Verfügbarkeit kurzfristiger kosteneffizienter Einsparpotenziale», heisst es lakonisch, sei «begrenzt». Als ginge es um Kurzfristigkeit!
Und weil Emissionsreduktionen, in der Logik des Bundesrats, in der Schweiz eben schwieriger seien als anderswo, «übersetzt sich die gleiche Anstrengung in weniger Emissionsreduktion als in anderen Ländern», sagt das Bafu gegenüber der WOZ. Man kann sich ausmalen, dass jedes Land eine Ausrede dieser Art in petto hat.
Einkaufen statt selber handeln
Weil die Schweiz ihre Emissionen laut dem geltenden CO2-Gesetz bis 2020 bereits um 20 Prozent senken muss, würde das jetzt deklarierte Ziel für die nächste Dekade noch ein Minus von einem Prozentpunkt pro Jahr bedeuten – deutlich weniger, als das CO2-Gesetz für heute verlangt. Dass die Schweiz ihre «Reduktionsziele kontinuierlich verschärft», wie es in der Eingabe heisst, stimmt also nicht mit dem Reduktionsziel überein.
Es sei denn, man erkenne in den 20 Prozent, die man im Ausland einkaufen will, gleichwertige Reduktionen. Die Idee, Reduktionen zuzukaufen, statt selber zu reduzieren, wurde 2007 im Seco gegen den damaligen Umweltminister Moritz Leuenberger ausgeheckt (s. WOZ Nr. 41/07). Oberste Seco-Chefin war seinerzeit Doris Leuthard, und es scheint, Leuthard – sonst Meisterin der Kehrtwenden – habe sich von ihren ehemaligen Vordenkern noch nicht wirklich emanzipiert.
Damit will die Schweiz einen Weg einschlagen, der nicht allen offen stehen kann. Denn gerade die Schweiz pocht auch darauf, dass sich künftig sämtliche Staaten zu Reduktionen verpflichten. Wenn aber alle reduzieren müssen und alle dies im Ausland tun möchten – wer könnte dann noch Ausland sein!
Solidaritätsverweigerung
Ein künftiges Abkommen muss nicht nur regeln, wer was tut, um die Emissionen zu senken. Es sollte auch die Lasten einigermassen gerecht verteilen, werden doch gerade die ärmsten Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, besonders stark darunter leiden. Zu diesem ganzen Bereich schweigt sich die reiche Schweiz aus. Sie setzt damit ein weiteres Zeichen: eines der Solidaritätsverweigerung – und wird doch nicht darum herumkommen, sich spätestens in Paris mit dieser Frage zu befassen.
Marcel Hänggi
Nachtrag am 31. Mai 2015
Das ist jämmerlich (aber es geht ja auch bloß um die Rettung der Welt). Die Schweiz darf sich also brüsten, zu den ambitioniertesten Klimaschützern zu gehören. Man kann die bisherigen Eingaben aber auch anders lesen: Sie zeigen, wie absurd die Argumentation ist, man wolle sich genau zu so viel Anstrengung verpflichten, dass die Katastrophe gerade noch zu vermeiden sei, falls alle anderen sich gleich fest anstrengen.