Die Rahmenbedingungen ändern zur Zeit sich rasant im Energiebereich. Doch der Bundesrat möchte ins Gesetz schreiben, dass neu gekaufte Autos Ende 2020 noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen und die Schweiz 2050 24.220 Gigawattstunden Strom aus erneuerbaren Quellen (ohne Wasserkraft) produziert.
Die Grösse der Aufgabe würde radikale Antworten, nicht hypothetische Gigawattstundenzahlen erfordern. Doch um fair zu sein: Der Bundesrat war nicht zu beneiden. Die einen wollen eine umweltverträgliche Energieversorgung, die anderen allzeit billige Energie, viele am liebsten beides. Die technischen Möglichkeiten und die ökonomisch-politischen Rahmenbedingungen ändern sich rasant; niemand weiss, was in vierzig Jahren sein wird; derweil die Zwänge fortbestehen, die die energiepolitischen Entscheide der letzten vierzig Jahre geschaffen haben. Planung sei unmöglich, weil man die Zukunft nicht vorhersehen könne, lautet das zentrale Dogma wirtschaftsliberaler Theorien. Und im Energiebereich haben sie recht. Jede Subvention – und sei es für etwas so «Gutes» wie Solarpanels – riskiert, in Sackgassen zu führen.
Was, wenn man diese Situation als Chance begriffe? Wenn man es sowieso niemandem recht machen kann, ist man frei, radikal zu denken. Gordische Knoten zerschlägt man mit dem Schwert.
Ein gutes Energiegesetz käme mit zwei Artikeln aus. Erstens: Atomenergie ist verboten; bestehende AKWs sind abzuschalten, sofort. Zweitens: Der Import fossiler Energieträger (Öl, Gas, Kohle) wird kontingentiert. Die Kontingente werden von Jahr zu Jahr geringer, bis sie 2050 auslaufen. Energie aus allen anderen Quellen dürfte produzieren und verkaufen, wer immer will; für Anlagen gelten selbstverständlich Umwelt- und Bauvorschriften.
Das wäre radikal. Das wäre liberal. Das nützte der einheimischen Wirtschaft. Das wäre zielführend.
• Zielführend: Wenn das Angebot fossiler Energie sinkt, kann auch der Verbrauch nur sinken. Ob Effizienzvorschriften den Verbrauch senken, ist dagegen ungewiss: Man kann auch immer effizienter immer mehr verbrauchen (das tun wir schon lange).
• Gut für die einheimische Wirtschaft: Es flösse kein Geld mehr in die Erdölstaaten ab.
• Liberal: Der Staat soll möglichst wenig vorschreiben. Der Staat ist legitimiert, Techniken zu verbieten, die die Lebensgrundlagen unserer und künftiger Generationen bedrohen. Wie aber die EnergiekonsumentInnen darauf reagieren, inwieweit sie knappere Energie effizienter nutzen, mehr alternative Energie nachfragen oder ganz einfach mit weniger zufrieden («suffizient») sind: Das soll sich in einer Marktwirtschaft, bitte sehr, auf dem Markt entscheiden.
Indes hätte der Staat die Aufgabe, alle drei Strategien – Effizienz, Energiealternativen, Suffizienz – gleichermassen zu ermöglichen, etwa mit einer Raumplanung, die mehr Mobilität mit weniger Verkehr erlaubt (Verdichtung, kurze Wege).
Wir müssten dann keine Gigawattstunden auf vier Jahrzehnte hinaus planwirtschaftlich ins Gesetz schreiben und uns nicht über die Anzahl Gramm CO2 pro Kilometer streiten. Statt über Energie könnten wir dann darüber diskutieren, was wir mit Energie tun.
Und jetzt kommt die gute Nachricht: In der «Energiestrategie 2050» ist das im Ansatz drin. Der Bundesrat will das Geschäftsmodell der Stromkonzerne so ändern, dass diese nicht an möglichst viel verkauftem Strom verdienen, sondern Energiedienstleistungen verkaufen. Das ist radikal. Das ist richtig. Man soll es nur nicht auf die Stromanbieter beschränken und auch nicht auf alle Energieanbieter. Man müsste die ganze Energiepolitik so neu denken.
Marcel Hänggi
> Vernehmlassung zur Energiestrategie 2050: Hier geht’s zu meiner Vernehmlassungsantwort vom 21. November 2012