Da horcht man auf, wenn einer, der vom Segen der Biotechnologie überzeugt ist, den Agrokonzernen an den Karren fährt und sie des «‹Kidnappings› der öffentlichen Wissenschaft» bezichtigt. Gemeint ist die Praxis, Entdeckungen wie etwa Genomsequenzen als «Erfindungen» zu patentieren und als Eigentum zu vermarkten: «Wir sind zutiefst überzeugt, dass die patentgeschützte monopolistische Kontrolle fundamentaler Prozesse des Lebens absolut inakzeptabel ist.»
So beginnen steile Karrieren im Biotech- und Agrobusiness. Doch Jefferson wollte die Landwirtschaft in Entwicklungsländern verbessern. Und auf dem Weg zu diesem Ziel erkannte er als eines der grössten Hindernisse die heutige Praxis der Patenterteilung, auf der die Macht der Biotechindustrie basiert: Gentechnisch veränderte Pflanzen sind, anders als konventionell gezüchtete Sorten, patentierbar. LandwirtInnen müssen, um Saatgut benützen zu dürfen, Lizenzgebühren zahlen, was zu fatalen Abhängigkeiten führt. Aber auch die Entwicklung neuer Anwendungen unterliegt der Kontrolle durch PatentinhaberInnen, wenn bei dieser Entwicklung patentgeschützte Methoden verwendet werden.
Jefferson hat in verschiedenen Funktionen industriekritische Positionen eingenommen. So war er leitender Autor eines Berichts der Uno-Biodiversitätskonvention, der empfiehlt, die sogenannte Terminatortechnologie (den Einsatz unfruchtbarer transgener Nutzpflanzen) bis auf Weiteres zu verbieten. Die Agroindustrie stellt diese Technologie als Lösung des Problems dar, dass transgene Pflanzen ihr Erbgut in Wildpflanzen auskreuzen; KritikerInnen sehen sie in erster Linie als ein Mittel, die Landwirt-Innen zu zwingen, ihr Saatgut immer wieder neu zu kaufen.
Jefferson gründete 1992 das unabhängige Forschungsinstitut Cambia und wurde zum Vater der Open-Source-Bewegung in der Biotechnologie, indem er die Bios-Lizenz entwickelte (Bios steht für Biological Innovation for an Open Society). Open Source bedeutet: Jede und jeder darf ein «geistiges Eigentum» gratis nutzen und weiterentwickeln, wenn er oder sie die Weiterentwicklungen wiederum gratis weitergibt.
Linux für BiotechnologInnen
Die Idee stammt aus der Informationstechnologie: Dort kämpfen ProgrammiererInnen gegen die quasi monopolistische Macht von Riesen wie Microsoft, indem sie Betriebssysteme wie Linux und Programmpakete wie OpenOffice zur freien Verwendung anbieten. Cambia kämpft mit der Bios-Lizenz gegen Monsanto, Dupont, Syngenta oder BASF, indem es biotechnologische Werkzeuge entwickelt – und «verschenkt». Beispielsweise TransBacter: Dieses Bakterium kann fremde Gene in ein Zielgenom einbringen. In der Regel wird zu diesem Zweck das Agrobakterium verwendet, das aber mit mehreren Patenten belegt ist; wer es benutzt, muss Lizenzgebühren zahlen. TransBacter ist gratis.Cambia arbeitet aber auch in weniger strittigen Bereichen wie etwa der Genomanalyse oder der Krebsforschung – wobei Letztere mangels Geldern vorderhand ruht. Denn Cambia lebt wesentlich von Spenden. Eine Million Dollar jährlich zahlt die Rockefeller-Stiftung; einen grossen Beitrag erhielt Cambia vom norwegischen Aussenministerium.
Neben eigener Forschung und der Bios-Lizenz bietet Cambia auch eine Onlinedatenbank, die die Welt der Biopatente transparenter machen soll; Cambia-MitarbeiterInnen halten Vorträge und organisieren Workshops, und Cambia kämpft gegen missbräuchliche Patente und war etwa in einen fünfjährigen Patentrechtsstreit gegen die Schweizer Agrofirma Syngenta verwickelt.
Noch ist Bios – anders als Linux – kaum bekannt. So sagt etwa Miges Baumann, Leiter Entwicklungspolitik beim Hilfswerk Brot für alle, ein Spezialist für Patentfragen, er kenne die Initiative nicht. Er könne sich aber gut vorstellen, dass der Ansatz sinnvoll sei. Wenig bekannt ist die Idee auch an den Universitäten. Die ForscherInnen der öffentlichen Institute, sagt Jefferson, seien zu sehr damit beschäftigt, ihre Karriere voranzutreiben, und stellten sich keine unangenehmen Fragen wie die, wer von ihrer Forschung profitiere.
Schwieriges «Verschenken»
Anders Ueli Grossniklaus an der Universität Zürich. Seine Gruppe erforscht unter anderem die ungeschlechtliche Vermehrung von Pflanzen (Apomixis). Über diese schreibt Grossniklaus auf seiner Homepage: «Die Einführung der Apomixis in Nutzpflanzen wird Pflanzenzucht und Landwirtschaft revolutionieren. Die sozialen und wirtschaftlichen Fortschritte versprechen die Fortschritte der ‹Grünen Revolution› zu übertreffen, sofern ein fairer Zugang zu dieser Technologie gewährt werden kann.» 1998 organisierte Grossniklaus gemeinsam mit Cambia eine Apomixistagung am Comersee, an der eine Erklärung verabschiedet wurde, die forderte, Apomixis vor Zugriffsbeschränkungen zu bewahren.
Freilich: So einfach ist das «Verschenken» biologischer Errungenschaften nicht. Man könnte einfach auf ein Patent verzichten. Das birgt aber erstens die Gefahr, dass ein anderer das Patent beantragt. Das wäre zwar Piraterie, aber wenn niemand ein solches missbräuchliches Patent anfechtet, gilt dieses. Zweitens hat, wer auf ein Patent verzichtet, keinen Einfluss darauf, wie seine Errungenschaft verwendet wird. Deshalb tut Cambia das, wovon die Organisation eigentlich findet, es dürfe gar nicht möglich sein: Es lässt biologische «Erfindungen» patentieren – um sie dann gratis zu lizenzieren. Die Lizenz, unter der das Patent genutzt werden darf, schreibt vor, dass Weiterentwicklungen ebenfalls nach dem Open-Source-Grundsatz vergeben werden. (Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Forschungsinstitute der Weltbank-nahen Consultative Group for International Agricultural Research, die riesige Genbanken von Zehntausenden Variationen der wichtigsten Nahrungspflanzen unterhalten. Jede und jeder darf die Genbanken gratis benutzen, sofern er oder sie darauf verzichtet, die daraus resultierenden Entwicklungen patentieren zu lassen – siehe WOZ Nr. 41/2004.)
Grossniklaus hat vor einigen Jahren zusammen mit Cambia ein Patent auf eine Genomsequenz eingereicht mit dem Ziel, dieses open source zu lizenzieren. Dies wurde allerdings nicht zu Ende verfolgt – zu gross sei der Aufwand für kleine Forschungsinstitute, zu hoch die Kosten. Unterstützt von der Technologietransferstelle der Universitäten Zürich und Bern Unitectra, hat er auch Zusammenarbeitsverträge mit der Industrie abgeschlossen, die dem Open-Source-Gedanken verpflichtet waren. Cornelia Boesch von Unitectra sagt, sie erinnere sich noch sehr gut an Professor Grossniklaus – doch sei das für Unitectra ein einmaliger Versuch gewesen. Im Grunde, sagt Boesch, seien die allermeisten Erkenntnisse von UniversitätsforscherInnen in der Biologie open source, da sie publiziert, aber nicht patentiert würden. Der Schutz vor missbräuchlicher Patentierung sei allerdings schwer zu gewährleisten, vor allem in den USA, die kein Einspracheverfahren kennten wie das Europäische Patentamt. Es sässen eben schon hier die Grosskonzerne am längeren Hebel, sagt Grossniklaus: Nur sie könnten es sich leisten, Hunderte von Patenten zu beantragen, auch wenn nur wenige davon zu einer kommerziellen Verwertung führten.
Nur auf den ersten Blick mit der Bios-Idee vergleichbar ist der an der ETH Zürich entwickelte «Goldene Reis». Die Syngenta Foundation will diesen Reis, der dank eines künstlich eingebauten Gens Provitamin A produziert, über das Internationale Reisforschungsinstitut auf den Philippinen gratis verbreiten lassen, um damit den Vitamin-A-Mangel in Entwicklungsländern zu bekämpfen (KritikerInnen betrachten diesen Weg als untauglich im Kampf gegen die Unterernährung und sehen im Goldenen Reis den Versuch, transgenen Nutzpflanzen eine Gasse zu schlagen). Die InhaberInnen der rund siebzig Patente, die in die Entwicklung des Goldenen Reises involviert waren, haben auf Lizenzgebühren verzichtet. Doch mehr als ein Open-Source-Idealismus steckte hinter diesem guten Willen wohl die Erwartung, der Goldene Reis könne zur Verbesserung des angeschlagenen Images der Industrie beitragen.Wer ist verantwortlich, wenn ein Open-Source-lizenziertes Produkt sich als schädlich erweist? «Eine gute, aber schwierige Frage», sagt Richard Jefferson von Cambia. Grundsätzlich sei ein Patentinhaber der haftbare «Besitzer» eines Produkts. Rechtlich unklar sei, ob Technologien, die Bestandteil eines Produkts seien, auch für dieses haftbar sein könnten. Bei heutigen biotechnologischen Produkten seien nämlich oft Dutzende, ja Hunderte von Patenten involviert. Auch wenn er keine definitive Lösung kenne, glaube er aber, sagt Jefferson, dass die Risikoabschätzung in einer Open-Source-Welt besser werde, weil es keinen pekuniären Anreiz zum Schummeln mehr gebe.
Gelassen gibt sich die Industrie. Dupont-Chefbiotechnologe Ganesh Kishore teilt auf Anfrage mit, er sehe Cambia nicht als Herausforderung, «zumindest nicht in näherer Zukunft.» Weil sich Software viel leichter auf den Markt bringen lasse als Biotechprodukte, könne man die beiden Branchen nicht gleichsetzen. BASF ist sogar Bios-Lizenznehmer. Jefferson aber gibt sich kämpferisch: «Die grossen Konzerne sind Dinosaurier. Es scheint aussichtslos, gegen den Tyrannosaurus Rex zu kämpfen. Aber die Riesenechsen sind ausgestorben – kleine, agile Säuger haben sie überlebt!»
Marcel Hänggi
Mehr Infos:
www.cambia.org
www.bios.net