Marcel Hänggi
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Apologie der Ignoranz

10/6/2012

 
Wissenschaft und Demokratie – Wir umgeben uns immer mehr mit Dingen, die wir nicht begreifen. Sagt man. Aber stimmt es auch? Und wenn ja: Ist es ein Problem? – Kulturmagazin «Saiten» Oktober 2012 (download PDF)

BildTechnikwarner: lauter Donquichotes?
In den Neunziger Jahren wollte eine repräsentative Umfrage die Allgemeinbildung der Bürgerinnen und Bürger Europas testen. Sie fragte unter anderem: Enthalten konventionell (also nicht gentechnisch) gezüchtete Tomaten Gene, ja oder nein? Eine Mehrheit antwortete falsch: Nein.

Es war ein Lacher unter Biologinnen und Biologen. Ich weiss von dieser an sich unbedeutenden Umfrage, weil Gentech-Befürworter sie während des Abstimmungskampfs um ein Gentech-Moratorium 2005 gern zitierten. Mit dem Subtext: Hätten die Menschen mehr Ahnung von Biologie, sie würden die Gentechnik weniger fürchten; oder anders rum: Wer nicht weiss, was ein Gen ist, hat auch kein Recht, sich davor zu fürchten. (Heute ist sich auch die Biologie nicht mehr so sicher und genau genommen war sie’s noch nie, was ein Gen ganz genau sei; das nebenbei.)

Vor 25 Jahren hätte ich diesen Text auf meiner mechanischen Schreibmaschine geschrieben, der ich zusehen konnte, wie sie funktionierte. Ich hätte den Redaktor mit einem analogen Telefon angerufen, dessen Funktionsweise schon etwas komplexer war, aber seit ich als Teenager einen Experimentalbausatz geschenkt bekommen hatte, wusste ich auch, wie ein Telefon funktioniert. Heute schreibe ich am Computer, telefoniere mittels Voice-over-IP und der Redaktor vielleicht am Smartphone, und ich habe keine Ahnung, was da genau vor sich geht, während ich arbeite. Ich weiss nur, was ich tun muss, wenn mein Computer bockt (das steht in keinem Handbuch, das ist Erfahrungswissen).

Es ist ein altes Lied: Wir umgeben uns immer mehr mit Dingen, die wir nicht verstehen. Das Lied ertönt paradoxerweise von techno-optimistischer wie von techno-pessimistischer Seite gleichermassen: Pessimisten beklagen die zunehmende Entfremdung des Menschen. Optimisten beklagen die zunehmende Techno-Skepsis seitens von Leuten, die sich nicht einmal die Mühe machen (wollen), das, was sie skeptisch stimmt, zu verstehen – es kann doch nicht sein, dass jemand, der die Grundlagen der Biologie nicht kennt, mitbestimmt, ob Gentechnik erlaubt sein soll!

Aber stimmt das Lied?

Drei voreilige Thesen

In meinem Wohnviertel steht eine alte Getreidemühle, die noch gelegentlich zu Schauzwecken in Betrieb genommen wird. Ein einziges Mühlrad, so stark wie ein Mofa-Motor, treibt alles an: den Mühlstein, den Getreidelift, das Schüttelgetriebe für die Mehlsiebe und so weiter. Transmissionsriemen verteilen die Kraft durchs ganze Gebäude. Das lässt sich sehen und hören und sogar riechen (und ich habe nie verstanden, wie einen ein Tablet-Computer mit seiner glatten Oberfläche mehr faszinieren kann als eine solche Mühle).

Ich könnte hier nun drei voreilige Thesen aufstellen.

Erstens: Früher war alles einfacher. Techniken wie Mikroelektronik, Nano- oder Gentechnik, Theorien wie Relativitätstheorie und Quantenmechanik haben unsere technische Umwelt unanschaulich gemacht. Etwas mehr sophisticated könnte man sagen, dass sich das Nichtwissen von der durch die Wissenschaft mehr und mehr entzauberten Natur in die Technik verschoben habe.

Zweitens: Die Menschen hatten immer schon Angst vor der zu ihrer Zeit jeweils avanciertesten Technik, die sie nicht verstanden. Denn galten nicht einst Mühlen, diese für uns Heutigen schönen Beispiele anschaulicher Technik, als Inbegriff des Unheimlichen? Wurden nicht Müller mehr gefürchtet denn geachtet?

Schliesslich: Technikängste haben sich noch (fast) immer als unbegründet herausgestellt. Man sollte ihnen nicht allzu viel Beachtung schenken: Man wird einst über die Angst vor Gentechnik genauso lachen wie heute über die Angst vor Mühlen.

Zur zweiten These zuerst: Natürlich findet man zu zahlreichen neuen Techniken jeweils Warner. Aber meist erstaunt weniger, dass es welche gab, als wie wenige sie waren. Berichte über Technikängste sind fast immer übertrieben. Schon bei Cervantes war eine Witzfigur, wer sich vor Windmühlen fürchtete.

Berichte über Technikängste unserer Altvorderen werden nicht zuletzt deshalb so oft übertrieben, weil so These drei mehr Gewicht bekommt. Doch auch damit ist es nicht weit her. Denn die Ängste waren meist sehr gut begründet. Transmissionsriemen sind aus heutiger Sicht wunderbar low-tech – aber schweinegefährlich (wie leicht verlor man eine Hand, ein Bein!). Oder nehmen wir das Auto: Eines der ersten Strassenverkehrsgesetze der Welt, der britische Red Flag Act von 1865, schrieb innerorts eine Höchstgeschwindigkeit von 2 Meilen pro Stunde vor, und vor dem Auto musste einer mit einer roten Flagge hergehen. Man kann sich heute leicht darüber lustig machen. Hätte man aber damals gewusst, dass Autos in Unfällen dereinst 1,3 Millionen Menschen pro Jahr töten würden (durchschnittlich einen alle 24 Sekunden) und noch einmal doppelt so viele durch die von ihnen verursachte Luftverschmutzung: Man hätte diese Höllenmaschine verboten. Wir haben heute nicht weniger Angst vor dem Auto, weil wir es besser verstehen. Wir sind nur abgestumpft.

Wie funktioniert ein Aspirin?

Damit zu These eins. Gewiss war früher manches leichter zu verstehen. Wer nichts von Gentechnik versteht, hat keine Ahnung, wie der gentechnisch veränderte Mais gezüchtet wurde, den er verspeist. Aber wer wusste vor 200 Jahren, was auf den Sklavenplantagen vorging, die den Zucker produzierten, den man sich in den Kaffee tat? Wie funktioniert ein Aspirin? Weiss das mein Hausarzt? der Aspirin-Hersteller? Die Gebrüder Wright verstanden die Aerodynamik, die ihre Flugzeuge in der Luft hielt, so wenig wie Thomas Newcomen die Thermodynamik seiner ersten Dampfmaschine, aber Newcomen war ein so guter Schlosser wie die Gebrüder Wright gute Fahrradbauer waren. Ich weiss nicht, weshalb mein Computer bockt, aber ich weiss, was ich dagegen tun kann.

Dass wir uns mit Dingen umgeben, die wir nicht verstehen (wollen), ist normal. Und es ist kein Problem. Das Problem sind nicht Techniken, die man nicht versteht, sondern solche, mit denen man nicht umgehen kann, und das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. Das Verbrennen von Erdöl dagegen ist simpel, aber wir stehen dem Umstand, dass wir uns vom Erdöl nicht lösen können, obwohl es unsere Lebensgrundlagen zerstört, ebenso hilflos gegenüber wie (um einen steilen Vergleich zu wagen) den undurchschaubaren strukturierten Finanzmarktprodukten, die 2008 zum Zusammenbruch von Lehman Brothers führten.

Ob man mit Technik umgehen kann, ist keine Frage guter Schulnoten in Physik, Chemie und Biologie. Aber wie geht man – verantwortungsvoll – mit Technik um? Das sei an dieser Stelle offen gelassen. Nur so viel: Sie dürfen eine Meinung dazu haben auch wenn Sie nicht wissen, was ein Gen ist.

Marcel Hänggi

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    Autor

    Marcel Hänggi, ​Zürich
    wissenschaftlicher Mitarbeiter Verein Klimaschutz Schweiz (Gletscher-Initiative)
    Journalist | Buchautor
    ​dipl. Gymnasiallehrer


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