Dass das CO2-Gesetz trotz breiter Unterstützung durchgefallen ist, ist bitter. Daran ändert auch der Umstand wenig, dass es eine Mehrheit gefunden hätte, hätten nicht die Agrarinitiativen einseitig die Gegnerinnen und Gegner einer ökologischen Politik mobilisiert.
– zur Gletscher-Initiative, die netto null Treibhausgase bis spätestens 2050 und einen Ausstieg aus den fossilen Energien fordert
– und zur Klage der Klimaseniorinnen, welche die Schweiz wegen unzureichenden Klimaschutzes vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschen- rechte angeklagt haben.
Die Welt ist bereits weiter als die Schweiz, auch wenn entsprechende Nachrichten hierzulande im Abstimmungskampf untergingen: In Deutschland verpflichtet das Bundesverfassungsgericht die Regierung, ein Klimaschutzgesetz zu verschärfen, das schon weiter ging, als das CO2-Gesetz gegangen wäre. In den Niederlanden verpflichtet ein Gericht den Shell-Konzern, seine Emissionen massiv zu senken. Gegen die Managements von Exxon und Chevron proben aktivistische Aktionäre – unterstützt vom Vermögenverwalter BlackRock – erfolgreich den Aufstand. Die Internationale Energieagentur, einst Verteidigerin des Status quo, ruft zum dringenden Ausstieg aus den fossilen Energien auf. Und in wenigen Wochen wird der Klimarat IPCC seinen neuesten Bericht publizieren, der den wissenschaftlichen Stand zur Klimakrise zusammenfasst. Spätestens dann wird man wieder über das Klima sprechen statt über den Benzinpreis. Entwarnung wird der Bericht nicht geben.
Schon 2018 mahnte der IPCC, es brauche »weitreichende Systemübergänge in allen Berei- chen«, um die Klimaziele zu erreichen. So was hört man in der Schweiz nicht gern. Die SVP warnt, die Klimastreikenden wollten gar nicht das Klima bewahren, sondern »das System verändern«. Avenir Suisse hat im Mai einen Bericht zur Klimapolitik vorgestellt; schon im Vorwort verwahrt sich der Thinktank gegen Forderungen nach »einem grundsätzlichen Systemumbau«.
Aber das sind keine linken Forderungen, es ist wissenschaftlicher Konsens. »Systemübergänge« bedeutet nicht, dass man den Kommunismus einführen müsste. Es geht darum, Systeme überhaupt als solche wahrzunehmen: als Ensembles von Elementen, die sich gegenseitig beeinflussen und stützen.
Ein System ist zum Beispiel der Verkehr: ein kleines Element in diesem System ist der Benzin- preis. An der Angst vor höheren Preisen dürfte das CO2-Gesetz vor allem gescheitert sein. Sollte ein höherer Benzinpreis tatsächlich für viele Leute ein Problem darstellen, wie SVP und Autolobby be- haupteten, dann nur, weil diese Leute vom Auto abhängig sind. Ein systemischer Lösungsansatz nähme nicht den Benzinpreis ins Visier – der auch steigt, wenn der Marktpreis steigt, ohne dass man dagegenstimmen kann –, sondern versuchte, mit einer angemessenen Verkehrspolitik und Raumplanung Abhängigkeiten abzubauen.
Die Debatte um das CO2-Gesetz hat drei Fehlwahrnehmungen offenbart:
- Erstens, dass Klimapolitik koste. Mit dieser Behauptung haben die Gesetzesgegner die Debatte dominiert, und wenn Befürworterinnen konterten, es koste gar nicht so viel, sagten sie immer noch, es koste. Richtig wäre: Was uns richtig teuer zu stehen kommt, ist die Weiterführung des Status quo.
- Zweitens, dass es zur Bewältigung der Klimakrise keiner grundlegenden Änderungen bedürfe. Kaum jemand getraute sich, an die Größe der Herausforderung zu erinnern, um keine Ängste zu schüren. Manche Befürworterin argumentierte, man könne mit dem moderaten Gesetz Forderun- gen nach »Systemveränderung« abwehren. Aufgegangen ist die Beschwichtigungstaktik nicht.
- Drittens, dass wir offenbar in der besten aller Welten leben. Wie sonst ist es zu erklären, dass jede Aussicht auf Veränderung zu einem Schreckensszenario hochstilisiert wurde?
Eine Diskussion darüber, dass Klimapolitik auch lustvolle Seiten hat und unser Leben nicht nur einschränken, sondern auch reicher machen und neue Formen des Zusammenlebens bringen könnte, hat komplett gefehlt. Dabei ist es doch das, was Politik eigentlich in ihrem Kern ausmachen müsste.
Die CO2-Gesetze wurden vor einem Vierteljahrhundert geschaffen, um die Emissionen zu reduzieren; das Netto-Null-Ziel strebten sie noch nicht an. Insofern war die Architektur der schweize- rischen Klimapolitik überholt, bevor sie nun an der Urne in sich zusammenkrachte.
Jetzt braucht die schweizerische Klimapolitik eine neue Basis. Die klimapolitische Vorlage, die auf dem Tisch liegt, ist die Gletscher-Initiative. Sie bietet eine Verfassungsgrundlage für die künftige Klimapolitik und legt den Fokus auf das Wesentliche: das Netto-Null-Ziel, zu dem sich auch die bundesrätliche Klimastrategie bekennt, und das Ende des Zeitalters von Erdöl, Erdgas und Kohle.
Aber klar: Man kann auch gegen schlechtes Wetter protestieren und die Realität ignorieren. Nur nützen wird’s nichts.
Marcel Hänggi ist der Urheber der Gletscher-Initiative. Sie fordert, dass die Schweiz bis spätestens 2050 aus den fossilen Energien aussteigt.