Vergangene Woche hat Greenpeace, zusammen mit anderen Umwelt- und Bauernorganisationen, das Bafu aufgefordert, den Entscheid rückgängig zu machen, da er gegen das Gentechnikgesetz verstosse.
Es geht vor allem um zwei Punkte: Erstens enthielten die Gesuche keine vollständigen Informationen über die freizusetzenden Pflanzen. Eine Weizen-Wildgras-Kreuzung, die in Zürich angepflanzt werden soll, existiert derzeit noch gar nicht. Es dürfte weltweit erstmalig sein, meint Greenpeace, dass eine Bewilligung zur Freisetzung für «virtuelle Pflanzen» erteilt werde. Zweitens verletzten die Gesuche das Stufenprinzip (Step by Step). Dieses besagt, dass eine Pflanze erst dann ins Feld gebracht werden darf, wenn sie zuvor im Labor und dann im Gewächshaus getestet wurde.
Tatsächlich sind die Bewilligungen mit der Auflage verbunden, fehlende Informationen bis Ende Jahr nachzureichen. Weshalb wartet man dann nicht mit der Bewilligungserteilung, bis die Informationen vorliegen? Das gehe nicht, sagt Georg Karlaganis vom Bafu, weil man verpflichtet sei, Fristen einzuhalten. Anders als Greenpeace ist Karlaganis nicht der Meinung, die Gesuche seien so unvollständig gewesen, dass man nicht hätte darauf eintreten dürfen. Das sei auch eine forschungspolitische Frage – das Bafu sei daran interessiert, dass Biosicherheitsforschung in der Schweiz stattfinden könne. Die geforderten Informationen bis Ende Jahr zu beschaffen, sei nicht einfach, aber möglich, meinen die betroffenen Forscher. Es dürfte aber kaum möglich sein, in dieser Zeit noch alle fraglichen Pflanzen im Gewächshaus zu testen, um dem Stufenprinzip zu genügen. Karlaganis: «Wenn die Forscher in der Lage sind, die Informationen nachzuliefern, müssen diese nicht zwingend aus dem Gewächshaus stammen.»
Man hätte in dieser Frage gern die Meinung unabhängiger RechtsexpertInnen eingeholt. Doch das ist schwierig: Es gibt drei Experten für das Schweizer Gentechnikrecht. Einer vertritt die Gesuchsteller, ein weiterer nimmt selbst mit zwei Projekten am NFP 59 teil. Und der dritte, Christoph Errass, der ein Standardwerk zum Gentechnikrecht verfasst hat, will nicht Stellung nehmen, weil er das Bafu berät.
Was Errass freilich in seinem Buch schreibt (das auch das Bafu in seiner Bewilligung ausführlich zitiert), ist eindeutig. Das Kapitel «Freisetzungsversuche» beginnt nämlich mit dem Satz: «Sollen gentechnisch veränderte Organismen bestimmungsgemäss in der Umwelt verwendet werden, so sind entsprechend dem Step-by-Step-Prinzip Freisetzungsversuche durchzuführen.»
Dass das Bafu diesmal auf das Stufenprinzip verzichtet, ist bedeutsam, denn es schafft eine Präzedenz: Der Entscheid ist der erste unter dem neuen Gentechnikgesetz, wie Greenpeace feststellt. Karlaganis relativiert: Beim letzten Entscheid, als ein Freisetzungsversuch mit gentechnisch verändertem Weizen der ETH im zürcherischen Lindau bewilligt wurde, sei das Gesetz zwar noch nicht in Kraft, aber bereits beschlossen gewesen.
«Nicht zu unterschätzender Druck»
Und hier liegt womöglich eine Erklärung für das Vorgehen des Bafu. Mit Lindau war das Bundesamt nämlich in die Bredouille geraten. Es hatte den Versuch zuerst nicht bewilligt, musste das Gesuch aber nach heftigen Protesten und politischem Druck neu beurteilen und gab im zweiten Anlauf grünes Licht.
Einem solchen Hickhack wollte man diesmal wohl vorbeugen. Die nationale Ethikkommission schrieb in ihrer Stellungnahme, dass ein «nicht zu unterschätzender Druck auf die Bewilligungsbehörde» bestanden haben könnte. Tatsächlich sollen mehrere Treffen zwischen dem Nationalfonds, der das NFP 59 ausgeschrieben hat, und dem Bafu stattgefunden haben. Die Debatte ist ausserordentlich aufgeheizt, die Stimmung zwischen VertreterInnen der Gentechforschung und GentechskeptikerInnen gehässig. Und die umstrittenen Weizenexperimente bilden den Kern des ganzen NFP. Hätte das Bafu die Versuche nicht bewilligt, wäre das ganze Forschungsprogramm infrage gestellt worden.
Das Bafu versucht nun zu beschwichtigen. So schreibt es in seiner Pressemitteilung: «Schliesslich kommen die verwendeten Genprodukte bei uns in der Umwelt schon natürlicherweise vor und stammen selber aus Kulturpflanzen. Es wird mit der Freisetzung somit kein neuer ökologischer Kontext geschaffen.» Das ist Spiegelfechterei; bei Freisetzungsversuchen geht es gerade darum, Pflanzen in einem neuen ökologischen Kontext zu testen.
Der Protest von Greenpeace hat rechtlich wenig Gewicht. Tatsächlich Rekurs gegen den Bescheid einlegen können nur AnwohnerInnen im Umkreis von einem Kilometer um die Versuchsfelder. Am einen Standort, Pully, sind deshalb von 27 Eingaben nur 11 gültig – genug, um am Rekurs festzuhalten, wie die Koordinationsgruppe stopOGM bestätigt. Wo die besonders problematischen Versuche stattfinden, am Stadtrand von Zürich, sind hingegen wegen der fragwürdigen Distanzregelung gleich beide eingegangenen Einsprachen hinfällig.
Marcel Hänggi