Literatur kontrovers: Peter Handke
Nobelpreis für Literatur 2019
Am 10. Oktober 2019 gibt das Nobelpreis-Komitee bekannt, dass der Österreicher Peter Handke den Literatur-Nobelpreis 2019 erhält (gleichzeitig wird auch, mit einem Jahr Verspätung, die Preisträgerin des Jahres 2018 bekannt gegeben: die Polin Olga Tokarczuk).
Handke ist ist einer der umstrittensten deutschsprachigen Schriftsteller, seit er während der Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahre vehement für die der serbischen Aggressoren und des Kriegsverbrechers Slobodan Milošević Partei ergriff und serbische Kriegsverbrechen anzweifelte oder verharmloste. Milošević wurde am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagt; Handke besuchte ihn in der dortigen Untersuchungshaft (zu einem Urteil gegen Milošević kam es nicht, weil Milošević in der Haft verstarb) und hielt 2006 die Grabrede bei dessen Beerdigung.
Handke ist ist einer der umstrittensten deutschsprachigen Schriftsteller, seit er während der Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahre vehement für die der serbischen Aggressoren und des Kriegsverbrechers Slobodan Milošević Partei ergriff und serbische Kriegsverbrechen anzweifelte oder verharmloste. Milošević wurde am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagt; Handke besuchte ihn in der dortigen Untersuchungshaft (zu einem Urteil gegen Milošević kam es nicht, weil Milošević in der Haft verstarb) und hielt 2006 die Grabrede bei dessen Beerdigung.
Gegen die Vergabe des Nobelpreises an Handke haben andere Schriftsteller protestiert, darunter Salman Rushdie oder die Schriftstellervereinigung PEN America. Der heftigste Kritiker war der deutsche Schriftsteller Saša Stanišić. Stanišić ist 1978 in der bosnischen Stadt Višegrad am Fluss Drina geboren; seine Familie flüchtete 1992 nach Deutschland, nachdem serbische Truppen die Stadt besetzt hatten und begannen, Hunderte Zivilist*innen zu ermorden. Handke zweifelt die Glaubwürdigkeit der Zeug*innen dieser Massaker an. Eine Woche nach der Bekanntgabe des Nobelpreises wurde Stanišić für sein Buch Herkunft mit dem deutschen Buchpreis geehrt. In seiner Dankesrede griff er Handke an.
Handke mochte sich nicht verteidigen. Ein Interview mit Journalist/innen brach er ab, als er auf die Kritik Stanišićs angesprochen wurde – mit den Worten: «Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen.» Weitere Medientermine sagte er daraufhin ab. Die Episode ist bezeichnend: Handke verachtet den Journalismus. Seine subjektive Sicht auf das Geschehen ist für ihn weit «wahrer» als eine journalistische Recherche, die sich bemüht, der objektiven Wahrheit so nahe zu kommen, wie es in einem Krieg eben möglich ist. Als Handke dann seine ersten Interviews seit jener Episode gibt – der Wochenzeitung Die Zeit am 21. November und der NZZ.sechs Tage später – sind diese Interviews so unkritisch, dass man vermuten muss, Handke habe die Interviews nur unter der Bedingung gegeben, dass keine kritischen Fragen gestellt würden.
In der Kontroverse auf den Kulturseiten der Zeitungen und in den Social Media stritten sich Literaturexpert*innen um Fragen wie:
- Kann man Kunst unabhängig von der Person des Künstlers, der Künstlerin bewerten?
- Spricht Handkes Position gegen den «Mainstream» der öffentlichen Meinung gar für Handke, für die Unabhängigkeit seines Denkens; ist die Preisvergabe als «Ohrfeige für die politische Korrektheit» (so der Literaturkritiker Denis Scheck) gar zu begrüßen? War es ein «mutiger Entscheid», wie Handke selber fand?
- Kann Literatur unpolitisch sein (das Nobelpreis-Komitee bezeichnete Handke als «radikal unpolitischen Autor») – oder ist Literatur immer politisch?
Stellungnahme des Nobelpreis-Komitees zum Entscheid und zur Kritik daran
«Kontroverse um Peter Handke – Stellungnahme von Henrik Petersen, Mitglied des Nobelpreiskomitees», Spiegel online vom 17. Oktober 2019
Peter Handkes Nobelpreisrede
Am 7. Dezember nimmt Peter Handke den Nobelpreis entgegen. Hier können Sie seine Dankesrede auf Video (33 Minuten) sehen oder als Text herunterladen.
Peter Handke: Winterliche Reise
Am 5. und 13. Januar 1996 erschien in zwei Teile Handkes Text «Gerechtigkeit für Serbien. Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina» in der SZ am Wochenende. Handkes dort gemachte Äußerungen sind wichtiger Gegenstand der heutigen Kontroverse. Hier können Sie den Text nachlesen. Auf den Seiten 4 (ab «Und Olga, die Einheimische, die Frau aus Bajina Basta …») bis 7 schreibt Handke über die Ereignisse in Višegrad (oder er schreibt eben gerade nicht darüber).
Eine Stellungnahme Handkes aus dem Jahr 2010
Zwar will sich Handke zu der Kritik an der Nobelpreis-Vergabe nicht äußern. Doch als er 2010 den Heinrich-Heine-Preis bekam, wurde bereits ähnliche Kritik laut. Damals verteidigte sich Handke in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung.
Die Kritik von Saša Stanišić
«Erschüttert, dass sowas prämiert wird»: Dankesrede von Saša Stanišić für den deutschen Buchpreis am 16. Oktober 2019 in Frankfurt am Main.
Tweets von Saša Stanišić (@sasa_s), in denen er Handke und die Nobelpreis-Vergabe heftig kritisiert (eine kleine Auswahl):
[Stanišić hat seinen Account auf Twitter – heute: X – gekündigt; die Tweets sind deshalb nicht mehr erreichbar.]
Tweets von Saša Stanišić (@sasa_s), in denen er Handke und die Nobelpreis-Vergabe heftig kritisiert (eine kleine Auswahl):
[Stanišić hat seinen Account auf Twitter – heute: X – gekündigt; die Tweets sind deshalb nicht mehr erreichbar.]
- Stanišićs erster Tweet zur Nobelpreisvergabe an Handke am 10. Oktober 2019 – bloß ein Bild. Es zeigt Handke vor einem riesigen Bild des Kriegsverbrechers Slobodan Milošević an dessen Beerdigung.
- seine Gratulation an die Preisträgerin Tokarczuk (10. Oktober).
- Retweet eines Handke-kritischen Artikels im Guardian am 10. Oktober.
- Tweet vom 10. Oktober.
- Retweet gegen die Meinung, Literatur könne unpolitisch sein.
- Tweet vom 11. Oktober.
- Thread vom 11. Oktober über Medienreaktionen.
- Thread vom 11. Oktober.
- Tweet vom 11. Oktober.
- Thread vom 11. Oktober über Lob der katholischen Kirche für Handke.
- Thread vom 11. Oktober über Würdigungen von Handkes Werk.
- Sarkastischer Thread vom 11. Oktober.
- In diesem Thread vom 13. Oktober zitiert Stanišić einige Stellen aus Handkes Werk.
- In diesem Thread vom 14. Oktober urteilt Stanišić über Handkes literarische Qualitäten.
Kommentare und Berichte zur Nobelpreis-Vergabe an Peter Handke – eine Presseschau
«Mit Sprache hat alles zu tun», schreibt Die Zeit am 10. Oktober und findet, Handke sei ein «verdienter Nobelpreisträger».
Unter dem Titel «Blind vor Ergriffenheit» staunt ebenfalls Die Zeit am 11. Oktober 2019, dass die «politischen Verirrungen des Autors» immer noch von vielen verteidigt würden.
«Ein literarischer Seher unter Blinden» sei Handke, findet die NZZ am 11. Oktober 2019.
Hingegen kritisiert NZZ-Literaturredator und Osteuropa-Spezialist Andreas Breitenstein die Wahl Handkes am 11. Oktober 2019 in seinem Kommentar als «überheblich und fahrlässig».
Handke habe «Immerhin kein[en] Friedensnobelpreis» erhalten, ist die Frankfurter Allgemeine am 11. Oktober 2019 einigermaßen erleichtert.
«Wider den Literaturnobelpreis für Peter Handke» publiziert die Frankfurter Allgemeine am 11. Oktober 2019 einen Essay.
«Ich schaue. Ich begreife. Ich empfinde. Ich frage», zitiert der Tages-Anzeiger Handke am 11. Oktober und findet, er habe den Nobelpreis verdient.
«Was, wenn Handke Massaker an Schweden relativiert hätte?», fragt die Süddeutsche Zeitung am 11. Oktober 2019 rhetorisch und stellt die Autonomie der Kunst infrage.
«Peter Handkes Position im Jugoslawienkrieg: Dichter in Opposition»: Bericht des Standard vom 11. Oktober 2019 über die Nobelpreis-Vergabe.
«Geteiltes Echo auf Literaturnobelpreis für Peter Handke»: Eine Zusammenstellung erster Reaktionen auf die Preisvergabe auf Spiegel Online vom 11. Oktober 2019.
«Handke hat den Nobelpreis nicht verdient», schreibt Teresa Reiter in einem Gastkommentar im Standard vom 11. Oktober 2019.
Die Wiener Zeitung berichtet am 11. Oktober über Handke-kritische Reaktionen anderer Schriftstellerinnen und Schriftsteller: «Der ‹Trottel›, der einen Nobelpreis bekam».
Nur knapp berichtet der Tages-Anzeiger, der die Preisvergabe tags zuvor begrüßte, am 12. Oktober 2019 über die Kontroverse um die Preisvergabe an Handke.
«Handkes erzählerische Kreuzzüge», Der Standard vom 12. Oktober 2019. Marko Dinić, in Belgrad aufgewachsener Schriftsteller, spricht von «Handkes Serbientümelei».
«Absolution für Knut Hamsun» – Gastkommentar des serbischen Schriftstellers Bora Ćosić in der NZZ vom 13. Oktober 2019.
«Kritik an Peter Handke: ‹Er hat Serbien ernsthaft beleidigt›»: Bericht des Standard vom 14. Oktober über die Kritik am Nobelpreis-Entscheid.
«Misstrauen dringend erwünscht»: Die Süddeutsche Zeitung am 15. Oktober 2019 über den Buchpreis an Saša Stanišić und seine Kritik an Handke.
«Dieser Preis war nie politischer», findet Die Zeit vom 15. Oktober 2019 zur Buchpreis-Verleihung an Saša Stanišić.
«Handke und die Wortspenden», Der Standard vom 15. Oktober 2019. Kolumnist Paul Lendvai findet die Preisvergabe «trotz der unbestrittenen großen Begabung des Autors einen moralischen und politischen Skandal».
Radio SRF fragt am 16. Oktober in der Sendung «Kultur kompakt» (erste fünf Minuten): «Wie kann man mit Handke umgehen?». Der Literaturwissenschafter Thomas Steinfeld findet, die Debatte zeichne sich durch wenig Sachkenntnis aus: Dein einen kritisierten Handke, ohne sein literarisches Werk zu kennen; die anderen blendeten Handkes politische Position aus, wenn sie sein literarisches Werk lobten.
«Saša Stanišić gegen Peter Handke, da stellen sich die Fragen: Wer spricht, wer erfindet, wer steht auf wessen Seite? Literaturpolitisch ist das von großer Bedeutung», schreibt die immer kluge Kolumnistin Mely Kiyak in der Zeit vom 16. Oktober 2019.
«Das ist keine Literatur – das sind Aufrufe zum Hass», findet Albaniens Regierungschef Edi Rama in einem Gastkommentar in der Welt vom 16. Oktober.
Der Bayrische Rundfunk berichtet am 17. Oktober 2019, wie die Schwedische Akademie (also das Nobelpreis-Komitee) ihren Entscheid rechtfertigt.
«Hochmut kommt vor dem Nobelpreis», polemisiert die WOZ am 17. Oktober 2019 gegen Handke.
«Handke und Serbien: Bei aller Respektlosigkeit». Gastkommentar der in Belgrad geborenen Schriftstellerin Barbi Marković im Standard, 18. Oktober 2019.
«Kunst dient den Nackten», schreibt der in Bosnien geborene deutsche Schriftsteller Tijan Sila in einem Kommentar in der Tageszeitung vom 19. Oktober 2019.
Der Wiener Philosoph Konrad Ließmann verteidigt Handke in einem Gastbeitrag in der NZZ vom 22. Oktober 2019.
Miranda Jakiša, Professorin der Kulturwissenschaften der Universität Wien, spricht in einem Interview am 22. Oktober 2019 über Peter Handkes Nobelpreis. Sie hält Handkes Werk für «absolut nobelpreiswürdig» – und den Entscheid, Handke den Nobelpreis zu geben, trotzdem für falsch.
Die «Spur des Irrläufers» verfolgt Alida Bremer in ihrem Essay auf Perlentaucher am 25. Oktober 2019 – sehr fundiert und ausführlich (und sie widerspricht damit Handkes Selbstverteidigung von 2010 – siehe oben – und den oben aufgeführten Stellungnahmen [hier und hier] des Nobelpreis-Komitees vom 17. Oktober 2019).
Handkes Kritiker/innen auf Twitter seien «Clowns auf Hetzjagd», findet der Schriftsteller Thomas Melle in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Oktober 2019.
In der Tageszeitung vom 23. Oktober 2019 verteidigt die Schriftstellerin Nora Bossong den Entscheid des Nobelpreiskomitees.
Mn solle Handke als Literaten beurteilen, fordern seine Verteidiger (und er selber). Literaturkritikerin Sieglinde Geisel nimmt sich das zu Herzen und unterzieht Handkes jüngsten Roman, Die Obstdiebin, am 23. Oktober 2019 auf ihrem Literaturblog tell-review.de einem «Page-99-Test» (dieses Format ist eine spielerische Form der Kritik: Die Autorin liest nur eine Seite, die Seite 99, eines Buchs, diese aber sehr genau («close reading»). Der Beitrag löst eine Replik aus, die die Autorin veranlasst, die ersten Seiten des Romans zu lesen – sie findet ihren Befund bestätigt.
Der deutsche Schriftsteller Marko Martin kritisiert in der NZZ vom 29. Oktober die Debatte um Handkes Nobelpreis; sie stütze sich auf «Meinungen statt Tatsachen» – Martin hält die Preisvergabe für nicht gerechtfertigt.
Ob man auf Twitter überhaupt sinnvoll über Handke diskutieren könne, fragt Antonia Baum auf Zeit online (Spoiler: Sie findet «ja») am 1. November 2019.
NZZ-Literaturredator Roman Bucheli sieht die «Literatur im Elchtest» und kritisiert die Handke-Debatte am 1. November 2019, wobei beide Seiten ihr Fett abbekommen.
Am 5. November 2019 verteidigt Lars Hartmann Handke auf tell-revie.de: Handke habe ja nie behauptet, Balkan-Experte zu sein, er habe bewusst den subjektiven Zugang zu den Jugoslawien-Kriegen gesucht. Den Handke-Kritiker/innen wirft er vor, Handkes Texte nicht gelesen zu haben.
Nachdem die Kultur-Redaktion des Tages-Anzeigers die Handke-Kontroverse bisher bloß in einem kurzen Bericht vermeldete, empört sich der für den Balkan zuständige Auslandredaktor des Tages-Anzeigers, Enver Robelli, am 9. November 2019 über «einen Blinden auf dem Balkan».
Am 21. November gibt Peter Handke erstmals seit Bekanntgabe der Preisvergabe ein Interview – nämlich der deutschen Wochenzeitung Die Zeit.
Am 27. November wartet auch die NZZ mit einem Interview mit Peter Handke auf: «Nobelpreisträger Peter Handke: ‹Ich will mich auch stellen. Es wird hoch hergehen in Stockholm. Ich bin nicht sicher, ob es der Literatur nützt›». Von der Kontroverse um Handkes Haltung zu den Jugoslawienkriegen ist erst ganz am Ende des Interviews die Rede.
Ludwig Steindorff, Professor für die Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, korrigiert im Berliner Tagesspiegel vom 5. Dezember 2019 ganz unaufgeregt einige von Handkes Irrtümern, die er auch nach der Nobelpreisvergabe wiederholt hat.
Der NZZ-Feuilleton-Redaktor Andreas Breitenstein korrigiert Scheus unkritisches Interview der Vorwoche: Mit seinem Positionsbezug in den Jugoslawienkriegen, schreibt Breitenstein am 6. Dezember 2019, verrate Handke auch seine eigene Poetik. Hier die kürzere, in der Zeitung abgedruckte Fassung des Texts; hier die längere Online-Fassung. Breitenstein widerspricht damit der Sichtweise der Handke-Verteidiger, Handkes Kunst lasse sich von seiner politischen Position losgelöst beurteilen.
Morgen wird Peter Handke der Nobelpreis für Literatur überreicht, der Entscheid polarisiert heftig. Lässt sich die Person mit ihren politischen Ansichten vom Werk trennen? fragt am 9. Dezember 2019 die Republik.
Ganz unverblümt sagt es die Tageszeitung nach der Preisverleihung am 9. Dezember 2019: «Peter Handke ist ein Arschloch».
Sieglinde Geisel kritisiert Handke auf ihrem Blog tell-review.de nochmals explizit auf dem literarischen, nicht auf dem politischen Feld – und hält Handkes Sprache für das Vortäuschen von Tiefsinn. Nach Geisels Beitrag finden Sie eine längere Replik von Lars Hartmann, der Handke verteidigt.
Unter dem Titel «Blind vor Ergriffenheit» staunt ebenfalls Die Zeit am 11. Oktober 2019, dass die «politischen Verirrungen des Autors» immer noch von vielen verteidigt würden.
«Ein literarischer Seher unter Blinden» sei Handke, findet die NZZ am 11. Oktober 2019.
Hingegen kritisiert NZZ-Literaturredator und Osteuropa-Spezialist Andreas Breitenstein die Wahl Handkes am 11. Oktober 2019 in seinem Kommentar als «überheblich und fahrlässig».
Handke habe «Immerhin kein[en] Friedensnobelpreis» erhalten, ist die Frankfurter Allgemeine am 11. Oktober 2019 einigermaßen erleichtert.
«Wider den Literaturnobelpreis für Peter Handke» publiziert die Frankfurter Allgemeine am 11. Oktober 2019 einen Essay.
«Ich schaue. Ich begreife. Ich empfinde. Ich frage», zitiert der Tages-Anzeiger Handke am 11. Oktober und findet, er habe den Nobelpreis verdient.
«Was, wenn Handke Massaker an Schweden relativiert hätte?», fragt die Süddeutsche Zeitung am 11. Oktober 2019 rhetorisch und stellt die Autonomie der Kunst infrage.
«Peter Handkes Position im Jugoslawienkrieg: Dichter in Opposition»: Bericht des Standard vom 11. Oktober 2019 über die Nobelpreis-Vergabe.
«Geteiltes Echo auf Literaturnobelpreis für Peter Handke»: Eine Zusammenstellung erster Reaktionen auf die Preisvergabe auf Spiegel Online vom 11. Oktober 2019.
«Handke hat den Nobelpreis nicht verdient», schreibt Teresa Reiter in einem Gastkommentar im Standard vom 11. Oktober 2019.
Die Wiener Zeitung berichtet am 11. Oktober über Handke-kritische Reaktionen anderer Schriftstellerinnen und Schriftsteller: «Der ‹Trottel›, der einen Nobelpreis bekam».
Nur knapp berichtet der Tages-Anzeiger, der die Preisvergabe tags zuvor begrüßte, am 12. Oktober 2019 über die Kontroverse um die Preisvergabe an Handke.
«Handkes erzählerische Kreuzzüge», Der Standard vom 12. Oktober 2019. Marko Dinić, in Belgrad aufgewachsener Schriftsteller, spricht von «Handkes Serbientümelei».
«Absolution für Knut Hamsun» – Gastkommentar des serbischen Schriftstellers Bora Ćosić in der NZZ vom 13. Oktober 2019.
«Kritik an Peter Handke: ‹Er hat Serbien ernsthaft beleidigt›»: Bericht des Standard vom 14. Oktober über die Kritik am Nobelpreis-Entscheid.
«Misstrauen dringend erwünscht»: Die Süddeutsche Zeitung am 15. Oktober 2019 über den Buchpreis an Saša Stanišić und seine Kritik an Handke.
«Dieser Preis war nie politischer», findet Die Zeit vom 15. Oktober 2019 zur Buchpreis-Verleihung an Saša Stanišić.
«Handke und die Wortspenden», Der Standard vom 15. Oktober 2019. Kolumnist Paul Lendvai findet die Preisvergabe «trotz der unbestrittenen großen Begabung des Autors einen moralischen und politischen Skandal».
Radio SRF fragt am 16. Oktober in der Sendung «Kultur kompakt» (erste fünf Minuten): «Wie kann man mit Handke umgehen?». Der Literaturwissenschafter Thomas Steinfeld findet, die Debatte zeichne sich durch wenig Sachkenntnis aus: Dein einen kritisierten Handke, ohne sein literarisches Werk zu kennen; die anderen blendeten Handkes politische Position aus, wenn sie sein literarisches Werk lobten.
«Saša Stanišić gegen Peter Handke, da stellen sich die Fragen: Wer spricht, wer erfindet, wer steht auf wessen Seite? Literaturpolitisch ist das von großer Bedeutung», schreibt die immer kluge Kolumnistin Mely Kiyak in der Zeit vom 16. Oktober 2019.
«Das ist keine Literatur – das sind Aufrufe zum Hass», findet Albaniens Regierungschef Edi Rama in einem Gastkommentar in der Welt vom 16. Oktober.
Der Bayrische Rundfunk berichtet am 17. Oktober 2019, wie die Schwedische Akademie (also das Nobelpreis-Komitee) ihren Entscheid rechtfertigt.
«Hochmut kommt vor dem Nobelpreis», polemisiert die WOZ am 17. Oktober 2019 gegen Handke.
«Handke und Serbien: Bei aller Respektlosigkeit». Gastkommentar der in Belgrad geborenen Schriftstellerin Barbi Marković im Standard, 18. Oktober 2019.
«Kunst dient den Nackten», schreibt der in Bosnien geborene deutsche Schriftsteller Tijan Sila in einem Kommentar in der Tageszeitung vom 19. Oktober 2019.
Der Wiener Philosoph Konrad Ließmann verteidigt Handke in einem Gastbeitrag in der NZZ vom 22. Oktober 2019.
Miranda Jakiša, Professorin der Kulturwissenschaften der Universität Wien, spricht in einem Interview am 22. Oktober 2019 über Peter Handkes Nobelpreis. Sie hält Handkes Werk für «absolut nobelpreiswürdig» – und den Entscheid, Handke den Nobelpreis zu geben, trotzdem für falsch.
Die «Spur des Irrläufers» verfolgt Alida Bremer in ihrem Essay auf Perlentaucher am 25. Oktober 2019 – sehr fundiert und ausführlich (und sie widerspricht damit Handkes Selbstverteidigung von 2010 – siehe oben – und den oben aufgeführten Stellungnahmen [hier und hier] des Nobelpreis-Komitees vom 17. Oktober 2019).
Handkes Kritiker/innen auf Twitter seien «Clowns auf Hetzjagd», findet der Schriftsteller Thomas Melle in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Oktober 2019.
In der Tageszeitung vom 23. Oktober 2019 verteidigt die Schriftstellerin Nora Bossong den Entscheid des Nobelpreiskomitees.
Mn solle Handke als Literaten beurteilen, fordern seine Verteidiger (und er selber). Literaturkritikerin Sieglinde Geisel nimmt sich das zu Herzen und unterzieht Handkes jüngsten Roman, Die Obstdiebin, am 23. Oktober 2019 auf ihrem Literaturblog tell-review.de einem «Page-99-Test» (dieses Format ist eine spielerische Form der Kritik: Die Autorin liest nur eine Seite, die Seite 99, eines Buchs, diese aber sehr genau («close reading»). Der Beitrag löst eine Replik aus, die die Autorin veranlasst, die ersten Seiten des Romans zu lesen – sie findet ihren Befund bestätigt.
Der deutsche Schriftsteller Marko Martin kritisiert in der NZZ vom 29. Oktober die Debatte um Handkes Nobelpreis; sie stütze sich auf «Meinungen statt Tatsachen» – Martin hält die Preisvergabe für nicht gerechtfertigt.
Ob man auf Twitter überhaupt sinnvoll über Handke diskutieren könne, fragt Antonia Baum auf Zeit online (Spoiler: Sie findet «ja») am 1. November 2019.
NZZ-Literaturredator Roman Bucheli sieht die «Literatur im Elchtest» und kritisiert die Handke-Debatte am 1. November 2019, wobei beide Seiten ihr Fett abbekommen.
Am 5. November 2019 verteidigt Lars Hartmann Handke auf tell-revie.de: Handke habe ja nie behauptet, Balkan-Experte zu sein, er habe bewusst den subjektiven Zugang zu den Jugoslawien-Kriegen gesucht. Den Handke-Kritiker/innen wirft er vor, Handkes Texte nicht gelesen zu haben.
Nachdem die Kultur-Redaktion des Tages-Anzeigers die Handke-Kontroverse bisher bloß in einem kurzen Bericht vermeldete, empört sich der für den Balkan zuständige Auslandredaktor des Tages-Anzeigers, Enver Robelli, am 9. November 2019 über «einen Blinden auf dem Balkan».
Am 21. November gibt Peter Handke erstmals seit Bekanntgabe der Preisvergabe ein Interview – nämlich der deutschen Wochenzeitung Die Zeit.
Am 27. November wartet auch die NZZ mit einem Interview mit Peter Handke auf: «Nobelpreisträger Peter Handke: ‹Ich will mich auch stellen. Es wird hoch hergehen in Stockholm. Ich bin nicht sicher, ob es der Literatur nützt›». Von der Kontroverse um Handkes Haltung zu den Jugoslawienkriegen ist erst ganz am Ende des Interviews die Rede.
Ludwig Steindorff, Professor für die Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, korrigiert im Berliner Tagesspiegel vom 5. Dezember 2019 ganz unaufgeregt einige von Handkes Irrtümern, die er auch nach der Nobelpreisvergabe wiederholt hat.
Der NZZ-Feuilleton-Redaktor Andreas Breitenstein korrigiert Scheus unkritisches Interview der Vorwoche: Mit seinem Positionsbezug in den Jugoslawienkriegen, schreibt Breitenstein am 6. Dezember 2019, verrate Handke auch seine eigene Poetik. Hier die kürzere, in der Zeitung abgedruckte Fassung des Texts; hier die längere Online-Fassung. Breitenstein widerspricht damit der Sichtweise der Handke-Verteidiger, Handkes Kunst lasse sich von seiner politischen Position losgelöst beurteilen.
Morgen wird Peter Handke der Nobelpreis für Literatur überreicht, der Entscheid polarisiert heftig. Lässt sich die Person mit ihren politischen Ansichten vom Werk trennen? fragt am 9. Dezember 2019 die Republik.
Ganz unverblümt sagt es die Tageszeitung nach der Preisverleihung am 9. Dezember 2019: «Peter Handke ist ein Arschloch».
Sieglinde Geisel kritisiert Handke auf ihrem Blog tell-review.de nochmals explizit auf dem literarischen, nicht auf dem politischen Feld – und hält Handkes Sprache für das Vortäuschen von Tiefsinn. Nach Geisels Beitrag finden Sie eine längere Replik von Lars Hartmann, der Handke verteidigt.