3. Verstehen und Missverstehen
3.1 Unvollständige Information, Mehrdeutigkeit, Fehler, Redundanz
Weil jede Botschaft in ein Medium übertragen werden muss, um vom Sender zum Empfänger zu gelangen, sind mit jeder Kommunikation mindestens zwei Übersetzungsschritte nötig: Der Sender übersetzt die Information ins Medium, der Empfänger übersetzt sie zurück. Wenn beim Empfänger das ankommt, was der Sender senden wollte, nennt man das Verstehen. Weil aber mit jeder Übersetzung Informationen verloren gehen, ist Verstehen immer eine Annäherung. Je komplexer eine Botschaft, desto weniger ist ein vollständiges Verstehen möglich.
Jede Botschaft ist unvollständig, weil man nicht stets zuerst die ganze Welt seit Adam und Eva erklären kann. Die meisten Zeichen (Wörter wie andere Zeichen) sind mehrdeutig. Vor allem das mündliche Sprechen ist sehr fehlerhaft – schreibt man ein Gespräch genau wörtlich auf, ist es beim Lesen kaum verständlich, auch wenn das Verständnis im Gespräch problemlos verlief.
Damit Verständnis trotz Unvollständigkeit, Mehrdeutigkeit und Fehlern möglich ist, sind Botschaften redundant. Redundanz bedeutet die mehrfache Nennung der selben Information. Redundanz entsteht, wenn man sich wiederholt oder wenn man die gleiche Botschaft mehrfach codiert – zum Beispiel verbal und para- / nonverbal. Redundanz führt aber oft zu Widersprüchen: Jemand sagt vielleicht mit Worten «Das schmeckt lecker», während sein Gesichtsausdruck das Gegenteil sagt. Der Empfänger muss entscheiden, welche der widersprüchlichen Informationen die richtige ist: Er muss die widersprüchliche Botschaft interpretieren (vgl. Kapitel 4).
3.2 Ebenen des Missverstehens
Missverständnisse geschehen ständig. Viele sind harmlos, sogar lustig; manche schwerwiegend. Missverständnisse treten auf verschiedenen Ebenen auf:
- Missverständnisse auf der Ebene der Zeichen: Die Welt ist viel zu vielfältig, als dass es für alles, was es in der Welt gibt, ein ganz genau passendes Zeichen geben könnte. Welche Bedeutung eines Zeichens gemeint ist, erschließt sich oft aus dem Kontext sowie mit Hilfe von Redundanz. Die anderen Bedeutungen des Zeichens «schwingen» beim Verstehen aber meist mit (vgl. Framing in Kapitel 2). Weil die Assoziationen, die man mit einem Zeichen verbindet, zum Teil von Kultur zu Kultur, zum Teil von Individuum zu Individuum variieren, verstehen zwei Empfänger unter dem selben Zeichen meistens nicht vollkommen das selbe.
- Missverständnisse auf der Ebene des Weltwissens: Informationslücken schließt ein Empfänger mit seinem Weltwissen. Idealerweise weiß der Empfänger, welches Wissen er beim Empfänger voraussetzen kann. Wenn jemand sagt «Donald Trump hat getwittert, …», setzt er voraus, dass der Empfänger weiß, wer Trump ist und was Twitter ist. Wenn aber das Weltwissen des Empfängers nicht dem entspricht, was der Sender annahm, kommt es zu Missverständnissen.
- Muster des Missverstehens: Oft wird die Kommunikation zwischen zwei Personen über lange Zeit hinweg immer schlechter; Missverständnisse häufen sich an. Beide Parteien der Kommunikation stellen das fest; jede Partei ist überzeugt, der Fehler liege bei der anderen Partei. Der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick (1921 - 2007) hat ein häufiges Muster solcher Missverständnisse beschrieben. Er nennt es «Fehler der Interpunktion» (siehe Abschnitt 3.3).
3.3 Interpunktion, Metakommunikation
Wie groß ist R im folgenden Term?
R = a – a + a – a + a – a + a …
Man kann beweisen, dass R = a oder dass R = 0 – je nachdem, wie man Klammern setzt:
- R = (a – a) + (a – a) + (a – a) … = 0 + 0 + 0 … = 0
- R = a – (a – a) – (a – a) – (a – a) … = a – 0 – 0 … = a
Paul Watzlawick erklärte mit dieser Beobachtung in seinem Buch Menschliche Kommunikation (1967) Missverständnisse zwischen Menschen (insbesondere solchen, die sich gut kennen, wie Ehepartner). Zwei Menschen, deren Kommunikation gestört ist, sehen je den selben Kommunikationsverlauf, aber sie setzen in Gedanken die Klammern anders – Watzlawick nannte das die Interpunktion eines Kommunikationsverlaufs.
- Beispiel: Die Ehefrau nörgelt über ihren Mann, weil er so wenig sagt, er ärgert sich über das Nörgeln und sagt nichts mehr, sie ärgert sich über sein Schweigen und nörgelt … Beide Seiten sind überzeugt, mit ihrem Verhalten nur auf das Verhalten des Partners / der Partnerin zu reagieren.
Auflösen lassen sich solche Teufelskreise des Missverstehens nur, wenn die beiden Partner die Kommunikation selber zum Thema ihres Gesprächs machen. Eine solche Kommunikation über die Kommunikation nennt man Metakommunikation.
3.4 Mit Außerirdischen kommunizieren: die Pioneer-Plaketten
Kann man mit einem Partner kommunizieren, über den man gar nichts weiß? Diese Frage stellten sich Mitarbeiter der Raumfahrtbehörde Nasa 1971 angesichts des bevorstehenden Abschusses der Raumsonden Pioneer 10 und 11, die über unser Sonnensystem hinaus fliegen sollten. Man gab ihnen je eine goldbeschichtete Aluminiumplakette mit Botschaften an Außerirdische mit.
Wie also kommuniziert man mit Außerirdischen? Sicher darf die Botschaft keine Symbole enthalten (vgl. die Zeichen-Typologisierung in Kapitel 2), denn Symbole versteht man aufgrund einer Konvention (Übereinkunft) – und mit Außerirdischen kann man keine Konventionen vereinbaren. Man muss also Ikone oder Indizes verwenden.
Die Plakette stellt oben schematisch einen so genannten Hyperfeinstrukturübergang des Wasserstoffatoms dar (fragen Sie mich nicht, was das ist!). Es ist ein Ikon. Weil davon auszugehen ist, dass Wasserstoff überall im Universum identische Eigenschaften hat, bestand die Hoffnung, das Schema sei auch für intelligente Wesen irgendwo im Universum, die über Kenntnisse der Atomphysik verfügen, lesbar. Das Schema Mitte links stellt die Position der Sonne relativ zu zum Zentrum der Galaxie (Milchstraße) und zu vierzehn so genannten Pulsaren dar. Damit sollten intelligente Wesen im Stande sein, die Herkunft der Sonde zu ermitteln. Auch das ist ein Ikon (oder sollte es sein).
Darunter ist ein Schema des Sonnensystems mit den neun Planeten abgebildet. Kleine Ironie: Schon heute ist das Schema nach menschlichen Begriffen falsch, denn es gibt nur acht Planeten im Sonnensystem. Damals zählte man aber auch noch den Zwergplaneten Pluto zu den Planeten.
Die Darstellung der beiden Menschen zeigt, wie wenig es gelungen ist, sich von kulturellen Vorstellungen zu lösen. Die beiden Menschen sind nackt, also scheinbar frei von allem Kulturellen wie Kleidung etc. Doch: Körperhaltung und Blickrichtung zeigen klar: Hier ist der Mann der Chef. Er grüßt die Außerirdischen mit einem Winken – ein konventionelles Zeichen (Symbol), das Außerirdische nicht verstehe können –, während die Frau zur Seite blickt. Außerdem war man ein wenig schamvoll – sogar Außerirdischen gegenüber: Die Geschlechtsteile des Mannes sind abgebildet, bei der Frau fehlt da etwas … Und nur schon, ob Außerirdische eine zweidimensionale Umrisszeichnung als Darstellung eines dreidimensionalen Körpers lesen können, ist höchst fraglich.
Dass die Plakette je von intelligenten außerirdischen Wesen gefunden wird, ist höchst unwahrscheinlich; dass diese Wesen sie verstehen, noch viel unwahrscheinlicher. Man kann nicht mit einem Empfänger kommunizieren, über dessen Art, Informationen aufzunehmen, man nichts weiß. Die Plakette zeigt aber schön, wie wenig man sich von eigenen kulturell bedingten Vorstellungen lösen kann, wenn man etwas ganz «objektiv» und wertfrei darstellen möchte.