Kurs Über Statistiken und Studien berichten – Grundlagen
Zweiter Kurstag – 25. April 2018
Ein Leitfaden zur kritischen Würdigung wissenschaftlicher Resultate
Es handelt sich hier um eine gekürzte Fassung des Leitfadens, den ich für den Nachdiplomkurs Wissenschaftsjournalistmus (also für spezialisierte Wissenschaftsjournalist/innen) erstellt habe. Die ungekürzte Fassung findet sich hier.
Ausgangslage: Du bist Journalist und willst eine wissenschaftliche Studie, eine These, ein Forschungsresultat kritisch würdigen. Du verfügst stets über weniger Fachwissen als die Urheber der Resultate, die du bewerten willst. Was tun? Letztlich gibt es nur eines: sorgfältiges Arbeiten. Ein paar Bewertungskriterien helfen dabei:
Ausgangslage: Du bist Journalist und willst eine wissenschaftliche Studie, eine These, ein Forschungsresultat kritisch würdigen. Du verfügst stets über weniger Fachwissen als die Urheber der Resultate, die du bewerten willst. Was tun? Letztlich gibt es nur eines: sorgfältiges Arbeiten. Ein paar Bewertungskriterien helfen dabei:
- Ist eine Aussage plausibel? Klar: Je plausibler, desto eher schenke ich der Aussage Glaube. Aber Achtung: Der gesunde Menschenverstand kann täuschen.
- Wie gut ist eine Aussage empirisch abgestützt? Auch hier klar: Je besser die Empirie, je breiter die Datenbasis, je besser die Datenqualität, je seriöser die statistische Datenauswertung, desto glaubwürdiger das Resultat.
- Überzeugt die Methodik? Wurde mit Statistik sauber gearbeitet?
- Von welchen Annahmen geht eine Untersuchung aus? Wissenschaftliche Arbeiten bauen immer auf Annahmen auf. Im Idealfall deklariert ein Forscher seine Annahmen, und begründet sie. Aber es sind immer auch implizite, dem Autor womöglich unbewusste Annahmen im Spiel.
- Gibt es immanente Widersprüche? In ausführlichen Forschungsberichten, die von mehrere Autoren verfasst wurden, sind Widersprüche kaum vermeidbar. Dass Widersprüche auftauchen, bedeutet noch nicht, dass die ganze Arbeit falsch sei. Aber die Verfasser müssen mir, auf die Widersprüche angesprochen, schon ein paar gute Gründe nennen können.
- Entspricht das Abstract der Studie? Gerade unter Zeitdruck ist die Versuchung groß, statt einer Studie nur ihr Abstract oder, schlimmer, die Zusammenfassung der Presseabteilung zu lesen. Aber es kommt nicht selten vor, dass eine Studie zu einem Resultat gelangt, die Autoren aber die einen oder anderen Gründe haben, das eher zu kaschieren.
- Wenn du es genau wissen willst: Lies die Fußnoten! Es kommt vor, dass besonders interessante Befunde – aus welchen Gründen auch immer – in Fußnoten versteckt werden.
- Wer ist der Autor? Ist er ein renommierter Forscher oder ein Außenseiter? Welcher Denkschule gehört er an? Achtung: Komische Käuze können recht haben und Nobelpreisträger irren. Aber: Wenn ich einem Außenseiter glauben will, dass er gegen die Mehrheit seiner Disziplin recht hat, dann braucht er eben besonders gute Argumente.
- Welche außerwissenschaftliche Interessen hat ein Autor, seine Auftraggeber, der Überbringer der Botschaft? Es gibt zahlreiche Interessen, die mit dem Interesse nach dem Finden der «reinen Wahrheit» kollidieren können (nicht müssen): finanzielle, Karrierestreben, politische Interessen usw.
- In welchem Kontext äußert sich ein Wissenschafter? Botschaften werden immer – mehr oder weniger bewusst – an ein Publikum angepasst.
- Welche Einwände erheben Fachkollegen? Konfrontiere die Autoren mit solchen Einwänden. Sind ihre Gegenargumente plausibel?
- Beachte den Tonfall in Kontroversen! Wer seinen Kontrahenten diffamiert, ist weniger glaubwürdig, als wer sachlich argumentiert.
- Welchen Blick werfen andere Disziplinen auf die selbe Fragestellung? Bei aller Interdisziplinaritäts-Rhetorik haben doch die meisten Forscher ihren fachlichen Tunnelblick. Konfrontiere den Ökonomen mit den Aussagen des Soziologen usw.!
- Welchen Moden folgt eine Studie? Auch die Wissenschaft unterliegt Moden; im Rückblick sind sie jeweils leicht, in der Zeit selber oft schwer zu erkennen. Am ehesten erkennt man sie an buzz words.
- Welchen Jargon verwendet eine Studie? Gewisse Begriffe lassen sich sofort einer bestimmten Schule zuordnen.
- Welche Metaphern verwendet ein Autor? Metaphern sind ein machtvolles sprachliches Mittel, das das Denken in gewisse Muster lenkt. Mitunter vergisst ein Autor, dass er sich auf der metaphorischen Ebene bewegt.
- Welcher Dramaturgie folgt die Darstellung der wissenschaftlichen Resultate? Auch eine wissenschaftliche Studie ist eine Erzählung. Häufig folgen solche Erzählungen einem bestimmten Topos: Beliebt sind die Heldengeschichte, die Opfergeschichte, die Einer-gegen-Alle-Erzählung, die Einzelkämpfergeschichte. Resultate werden in Dramaturgien «verpackt». Packe das Geschenk aus, bevor du es bewertest!
- Nutze den Außenseiterblick! Stelle naive Fragen, fürchte nicht, dich lächerlich zu machen, und beharre darauf, dass man dir einen Sachverhalt so erklärt, dass er dich auch als Außenstehenden überzeugt.