Kurs Über Statistiken und Studien berichten – Grundlagen
Zweiter Kurstag – 9. April / 21. Juni 2019
Einige Materialien
• René Donzé: «Der Politik geht es um Macht, nicht um Wahrheit», NZZ am Sonntag, 20. April 2019
• Andreas Hirstein (Wissenschaftsredaktor NZZ am Sonntag) plädiert im Editorial zum Bulletin des Schweizerischen Klubs für Wissenschaftsjournalismus (April 2014) gegen kritischen Wissenschaftsjournalismus.
• meine Replik auf Andreas Hirstein (s. oben) im Bulletin des Schweizerischen Klubs für Wissenschaftsjournalismus vom Juni 2014.
• «Selbstfahrende Privatautos führen zu mehr Verkehr – Wegweisende Studie der ETH». SRF online, 7. Juni 2019.
• «DNA programmieren». Comic des Biologen Drew Endy, übersetzt vom Forum Genforschung der Schweiz. Akademie der Naturwissenschaften.
• Andreas Hirstein (Wissenschaftsredaktor NZZ am Sonntag) plädiert im Editorial zum Bulletin des Schweizerischen Klubs für Wissenschaftsjournalismus (April 2014) gegen kritischen Wissenschaftsjournalismus.
• meine Replik auf Andreas Hirstein (s. oben) im Bulletin des Schweizerischen Klubs für Wissenschaftsjournalismus vom Juni 2014.
• «Selbstfahrende Privatautos führen zu mehr Verkehr – Wegweisende Studie der ETH». SRF online, 7. Juni 2019.
• «DNA programmieren». Comic des Biologen Drew Endy, übersetzt vom Forum Genforschung der Schweiz. Akademie der Naturwissenschaften.
Wie berichtet man journalistisch über medizinische Studien?
Die Uniklinik Heidelberg hat einen Test entwickelt, um Blutkrebs nachzuweisen. Der «revolutionäre» Test sei eine «Weltsensation», berichtet die Bild-Zeitung am 21. Februar 2019. Zu Recht?
Seit einigen Jahren begutachtet die deutsche Plattform medien-doktor.de Medienberichte zur Medizin: Sind sie seriös gemacht? Welches sind die häufigsten Fehler? Die Plattform bietet auch Praxistipps: Nach welchen Kriterien lässt sich eine wissenschaftliche Aussage kritisch beurteilen? (> Hier der Beitrag zum Blutkrebs-Test.)
Seit einigen Jahren begutachtet die deutsche Plattform medien-doktor.de Medienberichte zur Medizin: Sind sie seriös gemacht? Welches sind die häufigsten Fehler? Die Plattform bietet auch Praxistipps: Nach welchen Kriterien lässt sich eine wissenschaftliche Aussage kritisch beurteilen? (> Hier der Beitrag zum Blutkrebs-Test.)
Vorsicht: Marketingsprache
Naiverweise würde man vielleicht vermuten, Wissenschafterinnen und Wissenschafter seien nüchterne Menschen und sprächen eine nüchterne, sachliche Sprache. Aber auch im Wissenschaftsbetrieb geht es oft um Geld – und um die Frage, wer das Geld bekommt. Da schreit schon manch einer etwas lauter, als es angemessen wäre. Und diese Tendenz hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm beschleunigt: Das zeigt eine im British Medical Journal publizierte Auswertung biomedizinischer Fachartikel der Jahre 1974 bis 2014.
> Marcel Hänggi: «Wissenschaft als Marketing», WOZ Die Wochenzeitung vom 14. Januar 2016.
> Marcel Hänggi: «Wissenschaft als Marketing», WOZ Die Wochenzeitung vom 14. Januar 2016.
Ein Leitfaden zur kritischen Würdigung wissenschaftlicher Resultate
Es handelt sich hier um eine gekürzte Fassung des Leitfadens, den ich für den Nachdiplomkurs Wissenschaftsjournalistmus (also für spezialisierte Wissenschaftsjournalist/innen) erstellt habe. Die ungekürzte Fassung findet sich hier.
Ausgangslage: Du bist Journalist und willst eine wissenschaftliche Studie, eine These, ein Forschungsresultat kritisch würdigen. Du verfügst stets über weniger Fachwissen als die Urheber der Resultate, die du bewerten willst. Was tun? Letztlich gibt es nur eines: sorgfältiges Arbeiten. Ein paar Bewertungskriterien helfen dabei:
Ausgangslage: Du bist Journalist und willst eine wissenschaftliche Studie, eine These, ein Forschungsresultat kritisch würdigen. Du verfügst stets über weniger Fachwissen als die Urheber der Resultate, die du bewerten willst. Was tun? Letztlich gibt es nur eines: sorgfältiges Arbeiten. Ein paar Bewertungskriterien helfen dabei:
- Ist eine Aussage plausibel? Klar: Je plausibler, desto besser. Aber Achtung: Der gesunde Menschenverstand kann täuschen, und auf eine plausible Lüge fällt man leichter herein als auf eine unplausible …
- Wie gut ist eine Aussage empirisch abgestützt? Je breiter die Datenbasis, je besser die Datenqualität, je seriöser die statistische Datenauswertung, desto glaubwürdiger das Resultat.
- Überzeugt die Methodik? Wurde mit Statistik sauber gearbeitet? Statistische Fehler, gar «Tricks» disqualifizieren eine Aussage.
- Von welchen Annahmen geht eine Untersuchung aus? Wissenschaftliche Arbeiten bauen immer auf Annahmen auf. Im Idealfall deklariert und begründet ein Forscher seine Annahmen. Aber es sind immer auch implizite, dem Autor womöglich unbewusste Annahmen im Spiel.
- Gibt es immanente Widersprüche? In ausführlichen Forschungsberichten, die von mehrere Autoren verfasst wurden, sind Widersprüche kaum vermeidbar. Dass Widersprüche auftauchen, bedeutet noch nicht, dass die ganze Arbeit falsch sei. Aber die Verfasser müssen mir, auf die Widersprüche angesprochen, schon ein paar gute Gründe nennen können.
- Entspricht das Abstract der Studie? Gerade unter Zeitdruck ist die Versuchung groß, statt einer Studie nur ihr Abstract oder, schlimmer, die Zusammenfassung der Presseabteilung zu lesen. Aber es kommt nicht selten vor, dass eine Studie zu einem Resultat gelangt, die Autoren aber die einen oder anderen Gründe haben, das eher zu kaschieren.
- Wenn du es genau wissen willst: Lies die Fußnoten! Es kommt vor, dass besonders interessante Befunde – aus welchen Gründen auch immer – in Fußnoten versteckt werden.
- Wer ist der Autor? Ist er ein renommierter Forscher oder ein Außenseiter? Welcher Denkschule gehört er an? Achtung: Komische Käuze können recht haben und Nobelpreisträger irren. Aber: Wenn ich einem Außenseiter glauben will, dass er gegen die Mehrheit seiner Disziplin recht hat, dann braucht er besonders gute Argumente.
- Welche außerwissenschaftliche Interessen hat ein Autor, seine Auftraggeber, der Überbringer der Botschaft? Es gibt zahlreiche Interessen, die mit dem Interesse nach dem Finden der «reinen Wahrheit» kollidieren können (nicht müssen): finanzielle, Karrierestreben, politische Interessen usw.
- In welchem Kontext äußert sich ein Wissenschafter? Botschaften werden immer – mehr oder weniger bewusst – an ein Publikum angepasst.
- Welche Einwände erheben Fachkollegen? Konfrontiere die Autoren mit solchen Einwänden. Sind ihre Gegenargumente plausibel?
- Beachte den Tonfall in Kontroversen! Wer seinen Kontrahenten diffamiert, ist weniger glaubwürdig, als wer sachlich argumentiert.
- Welchen Blick werfen andere Disziplinen auf die selbe Fragestellung? Bei aller Interdisziplinaritäts-Rhetorik haben doch die meisten Forscher ihren fachlichen Tunnelblick. Konfrontiere den Ökonomen mit den Aussagen des Soziologen usw.!
- Welchen Moden folgt eine Studie? Auch die Wissenschaft unterliegt Moden; im Rückblick sind sie jeweils leicht, in der Zeit selber oft schwer zu erkennen. Am ehesten erkennt man sie an buzz words.
- Welchen Jargon verwendet eine Studie? Gewisse Begriffe lassen sich sofort einer bestimmten Schule zuordnen.
- Welche Metaphern verwendet ein Autor? Metaphern sind ein machtvolles sprachliches Mittel, das das Denken in gewisse Muster lenkt (man nennt das «framing»). Mitunter vergisst ein Autor, dass er sich auf der metaphorischen Ebene bewegt.
- Welcher Dramaturgie folgt die Darstellung der wissenschaftlichen Resultate? Auch eine wissenschaftliche Studie ist eine Erzählung. Häufig folgen solche Erzählungen einem bestimmten Topos: Beliebt sind die Heldengeschichte, die Opfergeschichte, die Einer-gegen-Alle-Erzählung, die Einzelkämpfergeschichte. Resultate werden in Dramaturgien «verpackt». Packe das Geschenk aus, bevor du es bewertest!
- Nutze den Außenseiterblick! Stelle naive Fragen, fürchte nicht, dich lächerlich zu machen, und beharre darauf, dass man dir einen Sachverhalt so erklärt, dass er dich auch als Außenstehenden überzeugt.