Begriffe und Konzepte im Umfeld der «Nachhaltigkeit» erkennen und hinterfragen
Einleitung
Im Januar 2016 publizierte das Wissenschaftsjournal Science einen Aufsatz, der für die Mitte des 20. Jahrhunderts den Beginn eines neuen Erdzeitalters postuliert: des Anthropozäns. Das Anthropozän sei »functionally and stratigraphically distinct« vom bisherigen Erdzeitalter, dem Holozän. Was das Zeitalter auszeichnet, sind die vom Menschen verursachten (anthropogenen) Umweltveränderungen.
Normalerweise werden Erdzeitalter nicht auf Jahrzehnte genau angegeben. Dass dies hier nun geschieht, ist symptomatisch: Wir verändern die Umwelt innert Jahrzehnten in einem Ausmaß, wie das sonst in Jahrtausenden geschieht. So hat die Menschheit beispielsweise in den letzten bloß 25 Jahren gleich viel CO2 aus fossilen Quellen produziert wie zuvor in ihrer ganzen Geschichte.
Wenn die zeitlichen Größenordnungen derart durcheinander geraten, dann droht historisches Erfahrungswissen obsolet zu werden. Was in der Vergangenheit funktionierte, muss in Zukunft nicht funktionieren. Gesellschaftliche und politische Prozesse, die in der Vergangenheit schnell genug waren, um mit Problemen fertig zu werden, werden sich in Zukunft als zu langsam erweisen.
Das bedeutet zweierlei: Erstens muss sehr vieles ganz anders werden, soll die Selbstvernichtung der menschlichen Zivilisation abgewendet werden. Am dringendsten muss die Nutzung fossilen Kohlenstoffs aufgegeben werden – aber das ist nicht irgend eine Ressource: Fossiler Kohlenstoff (Kohle, Öl, Gas) war in den vergangenen 150 bis 200 Jahren die zentrale Ressource der Weltwirtschaft schlechthin.
Zweitens müssen bisherige Handlungsrezepte wie auch Welterklärungsmodelle radikal hinterfragt werden. Manches hat in der Vergangenheit funktioniert, wird aber in Zukunft nicht mehr funktionieren; anderes hat, wenn man genau hinschaut, schon in Vergangenheit nur scheinbar funktioniert.
Das ist alles sehr bedrohlich, aber ein klein wenig ist es vielleicht auch befreiend: Wenn alles anders werden muss, ist vieles möglich; man muss sich einfach die Freiheit nehmen, auf vieles zu pfeifen, was bisher für normal galt.
In diesem Seminar werde ich versuchen, mit Ihnen zusammen ein paar scheinbare Gewissheiten in Frage zu stellen – vielleicht auch das eine oder andere, was Sie in Ihrem Studium gelernt haben.
Normalerweise werden Erdzeitalter nicht auf Jahrzehnte genau angegeben. Dass dies hier nun geschieht, ist symptomatisch: Wir verändern die Umwelt innert Jahrzehnten in einem Ausmaß, wie das sonst in Jahrtausenden geschieht. So hat die Menschheit beispielsweise in den letzten bloß 25 Jahren gleich viel CO2 aus fossilen Quellen produziert wie zuvor in ihrer ganzen Geschichte.
Wenn die zeitlichen Größenordnungen derart durcheinander geraten, dann droht historisches Erfahrungswissen obsolet zu werden. Was in der Vergangenheit funktionierte, muss in Zukunft nicht funktionieren. Gesellschaftliche und politische Prozesse, die in der Vergangenheit schnell genug waren, um mit Problemen fertig zu werden, werden sich in Zukunft als zu langsam erweisen.
Das bedeutet zweierlei: Erstens muss sehr vieles ganz anders werden, soll die Selbstvernichtung der menschlichen Zivilisation abgewendet werden. Am dringendsten muss die Nutzung fossilen Kohlenstoffs aufgegeben werden – aber das ist nicht irgend eine Ressource: Fossiler Kohlenstoff (Kohle, Öl, Gas) war in den vergangenen 150 bis 200 Jahren die zentrale Ressource der Weltwirtschaft schlechthin.
Zweitens müssen bisherige Handlungsrezepte wie auch Welterklärungsmodelle radikal hinterfragt werden. Manches hat in der Vergangenheit funktioniert, wird aber in Zukunft nicht mehr funktionieren; anderes hat, wenn man genau hinschaut, schon in Vergangenheit nur scheinbar funktioniert.
Das ist alles sehr bedrohlich, aber ein klein wenig ist es vielleicht auch befreiend: Wenn alles anders werden muss, ist vieles möglich; man muss sich einfach die Freiheit nehmen, auf vieles zu pfeifen, was bisher für normal galt.
In diesem Seminar werde ich versuchen, mit Ihnen zusammen ein paar scheinbare Gewissheiten in Frage zu stellen – vielleicht auch das eine oder andere, was Sie in Ihrem Studium gelernt haben.
Wie soll das gehen?
Beim Hinterfragen von Gewissheiten, Denkgewohnheiten und Normen hilft mir, was ich als Wissenschaftsjournalist gelernt habe – davon versuche ich Ihnen etwas zu vermitteln.
Als Journalist stehe ich immer wieder in der ähnlichen Situation: Ich habe ein paar Tage – und oft weniger – Zeit, mich in ein Thema einzuarbeiten. Danach sollte ich kritisch (alles andere ist kein richtiger Journalismus) beurteilen können, worüber ich schreibe. Aber ich bin dabei auf die Aussagen von Fachleuten angewiesen, die seit Jahren nichts anderes tun, als sich mit genau diesem Thema zu befassen. Sie wissen viel mehr als ich! Wie ist ein kritischer Blick trotzdem möglich?
Es gibt verschiedene Ansätze:
- Gerade dass ich nicht in einem Fachdiskurs drin stecke, kann ein Vorteil sein. Jede wissenschaftliche Disziplin entwickelt, mit dem Wissenschaftshistoriker Ludwik Fleck gesprochen, ihren Denkstil. Denkstile sind leistungsfähig, wenn es darum geht, die Disziplin voranzubringen (okay, es gibt auch welche, die sind einfach nur gaga). Aber Denkstile engen gleichzeitig ein. Es ist wie ein Fernrohr: Dank ihm sehe ich weiter – aber ich sehe nicht, was rechts und links geschieht. Oft genügt es zu schauen, wie unterschiedliche Disziplinen auf die gleichen Fragen blicken; wie unterschiedlich Ökonomen und Ethnologen über die Gesellschaft oder Ingenieure und Soziologen über Verkehr sprechen, um zu merken, dass nicht alle richtig liegen können.
- Jede Disziplin (jeder Denkstil) geht von Grundannahmen aus, die weder explizit gemacht noch in Frage gestellt werden; ja häufig sind sich die Wissenschafterinnen der Annahmen gar nicht bewusst, so selbstverständlich erscheinen sie ihnen. Auch solche Annahmen erkennt man als Außenstehender eher. Man muss sich getrauen, dumme Fragen zu stellen (nicht nur als Wissenschaftsjournalist: Viel schlechte Wissenschaft entsteht, weil Wissenschafter sich nicht trauen, «dumme» Fragen zu stellen)!
- Die Sprache verrät viel über (unbewusste) Grundannahmen: Welche Metaphern verwendet jemand beispielsweise? Was versteckt sich dahinter für ein Weltbild, wenn jemand soziale Ereignisse mit Naturmetaphern beschreibt?
- Jeder Wissenschafter steht in einer Gesellschaft, von der er beeinflusst wird – es gibt keine reine Wissenschaft. Zu den beeinflussenden Faktoren gehören Interessen – beispielsweise (nicht nur) finanzielle Interessen. In wessen Sold steht ein Wissenschafter? Von wem wird eine Studie finanziert? Welchem Doktorvater muss ein Nachwuchswissenschafter gefallen? Dass ein Akteur mit einem spezifischen Interesse eine Forschung finanziert, muss nicht heißen, dass die Resultate falsch sind. Es ist aber ein wichtiger Einflussfaktor – und: Hätte der Wissenschafter seine Frage gleich gestellt, wenn er nicht auf den Geldgeber angewiesen gewesen wäre?
- Wie sehr der zunehmende Wettbewerb (um Geld und Aufmerksamkeit) die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten beeinflusst hat, sehen Sie beispielsweise hier. Da ist eine gesunde Portion Skepsis angesagt!
Als Journalist stehe ich immer wieder in der ähnlichen Situation: Ich habe ein paar Tage – und oft weniger – Zeit, mich in ein Thema einzuarbeiten. Danach sollte ich kritisch (alles andere ist kein richtiger Journalismus) beurteilen können, worüber ich schreibe. Aber ich bin dabei auf die Aussagen von Fachleuten angewiesen, die seit Jahren nichts anderes tun, als sich mit genau diesem Thema zu befassen. Sie wissen viel mehr als ich! Wie ist ein kritischer Blick trotzdem möglich?
Es gibt verschiedene Ansätze:
- Gerade dass ich nicht in einem Fachdiskurs drin stecke, kann ein Vorteil sein. Jede wissenschaftliche Disziplin entwickelt, mit dem Wissenschaftshistoriker Ludwik Fleck gesprochen, ihren Denkstil. Denkstile sind leistungsfähig, wenn es darum geht, die Disziplin voranzubringen (okay, es gibt auch welche, die sind einfach nur gaga). Aber Denkstile engen gleichzeitig ein. Es ist wie ein Fernrohr: Dank ihm sehe ich weiter – aber ich sehe nicht, was rechts und links geschieht. Oft genügt es zu schauen, wie unterschiedliche Disziplinen auf die gleichen Fragen blicken; wie unterschiedlich Ökonomen und Ethnologen über die Gesellschaft oder Ingenieure und Soziologen über Verkehr sprechen, um zu merken, dass nicht alle richtig liegen können.
- Jede Disziplin (jeder Denkstil) geht von Grundannahmen aus, die weder explizit gemacht noch in Frage gestellt werden; ja häufig sind sich die Wissenschafterinnen der Annahmen gar nicht bewusst, so selbstverständlich erscheinen sie ihnen. Auch solche Annahmen erkennt man als Außenstehender eher. Man muss sich getrauen, dumme Fragen zu stellen (nicht nur als Wissenschaftsjournalist: Viel schlechte Wissenschaft entsteht, weil Wissenschafter sich nicht trauen, «dumme» Fragen zu stellen)!
- Die Sprache verrät viel über (unbewusste) Grundannahmen: Welche Metaphern verwendet jemand beispielsweise? Was versteckt sich dahinter für ein Weltbild, wenn jemand soziale Ereignisse mit Naturmetaphern beschreibt?
- Jeder Wissenschafter steht in einer Gesellschaft, von der er beeinflusst wird – es gibt keine reine Wissenschaft. Zu den beeinflussenden Faktoren gehören Interessen – beispielsweise (nicht nur) finanzielle Interessen. In wessen Sold steht ein Wissenschafter? Von wem wird eine Studie finanziert? Welchem Doktorvater muss ein Nachwuchswissenschafter gefallen? Dass ein Akteur mit einem spezifischen Interesse eine Forschung finanziert, muss nicht heißen, dass die Resultate falsch sind. Es ist aber ein wichtiger Einflussfaktor – und: Hätte der Wissenschafter seine Frage gleich gestellt, wenn er nicht auf den Geldgeber angewiesen gewesen wäre?
- Wie sehr der zunehmende Wettbewerb (um Geld und Aufmerksamkeit) die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten beeinflusst hat, sehen Sie beispielsweise hier. Da ist eine gesunde Portion Skepsis angesagt!
Was ist falsch am herkömmlichen Umgang mit Umweltproblemen?
Was dieses Bild mit unserem Thema zu tun hat, erläutere ich im Kurs ;-)
Aus dem Archiv des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). 1926 / 27 erforschte der Flugzeugingenieur Reinhard Straumann mit Puppen im Windkanal die optimale Körperhaltung von Skispringern. Technisch und wissenschaftlich machte er gewiss alles richtig – aber heute springen die Skispringer ganz anders. Was hat Straumann übersehen?