Nachhaltig quer-gedacht
Begriffe und Konzepte im Umfeld der «Nachhaltigkeit» erkennen und hinterfragen
Seminar am House of Competence des Karlsruhe Institut für Technologie
Sommersemester 2016
Sommersemester 2016
Was ist falsch am herkömmlichen Umgang mit Umweltproblemen?
Was dieses Bild mit unserem Thema zu tun hat, erläutere ich im Kurs ;-)
Aus dem Archiv des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). 1926 / 27 erforschte der Flugzeugingenieur Reinhard Straumann mit Puppen im Windkanal die optimale Körperhaltung von Skispringern. Technisch und wissenschaftlich machte er gewiss alles richtig – aber heute springen die Skispringer ganz anders. Was hat Straumann übersehen?
Ein gutes Beispiel dafür, wie ein dominantes Denkparadigmata das Finden von Lösungen verhindern kann, ist eine von der (neoklassischen) Umweltökonomie geleitete Klimapolitik. Vgl. Camila Moreno / Lili Fuhr / Daniel Speich Chassé: »Beyond Paris: avoiding the trap of carbon metrics«, opendemocracy.net vom 8. Februar 2016 (Kursfassung von: Dies.: Carbon Metrics. Global abstractions and ecological epistemicide, Berlin 2015 (PDF).
Herkömmliche Umweltpolitik ist geprägt von der Sichtweise der neoklassischen Umweltökonomik.
Für Umweltökonomen versagt der Markt, wenn externe Kosten anfallen. Externe Kosten sind Kosten, die der Verursacher auf Unbeteiligte überwälzt. Wenn ein Akteur einen Teil seiner Kosten externalisieren kann, muss er nicht für die wahren Kosten seines Tuns aufkommen, was ihn zu Entscheiden veranlasst, die aus gesamtgesellschaftlicher Sicht suboptimal sind. Ein typischer Fall externer Kosten sind Umweltschäden. So hat Sir Nicholas Stern in seiner berühmten Stern Review (2006) den Klimawandel als das «größte Marktversagen aller Zeiten» bezeichnet.
Daraus folgt, dass Umweltpolitik versuchen sollte, Kostenwahrheit zu schaffen und externe Kosten zu internalisieren. Laut dem Ökonomen und Wirtschaftsnobelpreisträger Ronald Coase ist der Markt allein fähig, externe Kosten zu internalisieren (Coase-Theorem); andere Politiken der Internalisierung externer Kosten sind Steuern oder Lenkungsabgaben.
Versagte der Markt nicht, resultierte daraus eine aus gesamtgesellschaftlicher Sicht optimale Umweltbelastung. Weder mehr noch weniger Umweltbelastung ist wünschbar. Das brachte der damalige Weltbank-Chefökonom (und spätere Harvard-Präsident und US-Regierungsberater) Larry Summers besonders drastisch zum Ausdurck, als er in einer 1991 bekannt gewordenen Notiz schrieb, er halte dünn besiedelte Teile Afrikas für «stark unterverschmutzt».
Neoklassische Umweltökonomen suchen das Optimum in Modellen, die auf Kosten-Nutzen-Analysen (CBA) basieren. Dabei gilt es, die Höhe der externen Kosten abzuschätzen. Das kann auf verschiedene Art geschehen – 1995 widmete das IPCC der Methodik der CBAs eine aufschlussreiche Doppelseite (IPCC, Climate Change 1995. Economic and Social Dimensions, Seiten 196/197). Diese Doppelseite im IPCC-Bericht ersetzte eine andere, die nach heftigen Protesten aus dem Entwurf gestrichen worden war: Sie hatte die Aussage enthalten, der Wert eines Menschenlebens sei mit 1,5 Millionen Dollar zu bemessen, wenn dieser Mensch in einem Industrieland lebe – und mit 150.000 Dollar, wenn er in einem Entwicklungsland lebe.
Einer der einflussreichsten Umweltökonomen, William Nordhaus von der Stanford University – er gilt als «undogmatisch» –, hat als erster ein Modell entwickelt, mit dem sich die berechnen lässt, welche Balance zwischen Anstrengungen, den Klimawandel zu bremsen, und dem Inkaufnehmen von Klimaschäden unter dem Strich zum optimalen Resultat, sprich: zur höchsten Wirtschaftsleistung führt. In seiner jüngsten Version von 2008 kam das Modell zum Schluss, dass eine Erwärmung um 3,4 Grad bis 2200 optimal sei. Gar nichts zu tun, wäre suboptimal, aber immer noch besser als eine «übermäßige» Klimapolitik. Geschähe gar nichts, würde sich das Weltklima bis 2200 zwar um 5,3 Grad erwärmen – doch das würde lediglich Kosten von 8 Prozent des dannzumaligen Bruttoinlandprodukts verursachen.
Das IPCC verzichtet heute auf CBAs, aber die neoliberale Sichtweise prägt die IPCC-Berichte (resp. deren Teil III) nach wie vor. Das drückt sich etwa darin aus, wie das IPCC Kosten klimapolitischer Maßnahmen bemisst. Das IPCC vergleicht Szenarien mit verschiedenen klimapolitischen Maßnahmen mit Business-as-Usual-Szenarien, in denen es weder Klimapolitik noch Klimaschäden gibt. Der Wert der vermiedenen Klimaschäden ist in diesen Rechnungen also noch nicht enthalten (genau genommen stellt nicht das IPCC diese Vergleiche an; es wertet wissenschaftliche Studien aus, die das tun). Laut dem IPCC «kostet» die Vermeidung einer Erwärmung von mehr als 2 Grad zwischen 0.04 und 0.14 Prozentpunkte (Median: 0.06 Punkte) pro Jahr (vgl. IPCC 5th Assessment Report – Working Group III Report Climate Change 2014: Mitigation of Climate Change, Summary for Policymakers, 2015). (Mehr zum 3. Teil des letzten IPCC-Reports in einer eigenen Recherche hier. Kritik an den Methoden der Klimaökonomie, wie sie dem IPCC-Bericht zugrunde liegen, enthält dieser Bericht selber: namentlich Seiten 247ff und 313ff.)
Übrigens: Die einflussreiche ökonomische Sekte des Neoliberalismus kritisiert, ja verspottet die Neoklassiker für ihren Glauben, zukünftige Kosten von Umweltveränderungen, aber auch ökonomischer und politischer Entscheide präzis berechnen zu können (der Neoliberalen-Übervater August Friedrich von Hayek sprach von einer «Anmaßung des Wissens»). So richtig diese Kritik im Grunde ist: Die Folgerung der Neoliberalen lautet, auf jegliche Umweltpolitik gleich ganz zu verzichten. Dabei halten die Neoliberalen an einer strikten Natur-Kultur-Dichotomie fest. Eine Analyse der neoliberalen Haltung gegenüber dem Klimawandel resp. der Klimapolitik findet sich in: Philip Mirowski: Totgesagte leben länger. Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist, Berlin 2015.
Fragen
Was ist von einem Begriff wie «Marktversagen» zu halten? Was impliziert der Begriff? Welches Marktverständnis liegt ihm zugrunde?
Was impliziert der Begriff «Kostenwahrheit»? Wer ermittelt, was die «wahren» externen Kosten sind: der Markt (der ja aber versagt)? Der Staat? Ökonomische Berechnungen?
Was taugen die vom IPCC beschriebenen Methoden zur Berechnung externer Kosten? Was sind ihre ethischen Implikationen?
Nach der ökonomischen Theorie führte ein idealer Markt – also einer, der keine externen Kosten, keine Marktdominanz, vernachlässigbare Transaktionskosten und noch ein paar mehr Voraussetzungen kennte – zu maximaler «Effizienz». Was ist das für ein Effizienzbegriff?
Wozu führte «Kostenwahrheit», wenn sie hergestellt werden könnte? Was sind die ethischen und politischen Implikationen einer neoliberalen «Optimierung» der Umweltbeanspruchung? Wie lässt sich erklären, dass das IPCC in seinem Entwurf zum Bericht von 1995 zum Schluss kam, ein Einwohner eines Industrielands sei zehn mal so viel wert wie einer eines Entwicklungslands?
Was wären mögliche umweltpolitische Alternativen zur Internalisierung externer Kosten?
Das IPCC hat den Auftrag, «policy relevant but not policy prescriptive» Aussagen zum Klimawandel zu machen. Welche policy prescriptive Annahme liegt aber – unausgesprochen – der Wahl der Messgröße für die Kosten klimapolitischer Maßnahmen zugrunde? Was impliziert diese Wahl? Wie sinnvoll wirkt in Ihren Augen die Aussage, ein bestimmter politischer Entwicklungspfad verlangsame das globale Konsumwachstum um 0.04 bis 0.14 Prozentpunkte pro Jahr (wie hoch sind übliche Schwankungen des globalen Wirtschaftsprodukts pro Jahr? – Zahlen gibt es hier)?
Zentrale Größe aller Kosten-Nutzen-Rechnungen ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) / Gross Domestic Product. Was taugt diese Größe, wo sind ihre Grenzen?
William Nordhaus nimmt in seinen Berechnungen ein BIP-Wachstum von global durchschnittlich 4 Prozent pro Jahr an. Was ist von einer solchen Annahme (die Nordhaus so selbstverständlich erscheint, dass er sie nicht begründet) zu halten? Nordhaus entwickelt Szenarien bis ins Jahr 2200. Wie hoch wäre dann das BIP bei einem 4-prozentigen jährlichen Wachstum? Wie lange würde es im Jahr 2200 dauern, bis die Weltwirtschaft um das gesamte Wirtschaftsvolumen von heute gewachsen wäre? Und wie sinnvoll erscheint die Annahme eines 4-prozentigen BIP-Wachstums über zwei Jahrhunderte im historischen Vergleich (Daten für den Vergleich gibt es hier)?
Und noch eine Anekdote:
Der Umweltökonom Richard Tol hat das Konzept der «Freizeitgewinne» (recreational Benefits) in die Kosten-Nutzen-Rechnungen zum Klimawandel eingeführt. Wird es wärmer, argumentiert er, verursacht das zwar Schäden, etwa in der Landwirtschaft, aber man kann sich auch mehr im Freien aufhalten – ein Nutzen, der berücksichtigt werden muss. Ich fragte ihn, ob man nicht auch die Freizeitgewinne klimapolitischer Maßnahmen berücksichtigen müsste. Gewiss, antwortete er, müsste man das – wenn es sie denn gäbe. Es gebe aber keine. Ich fragte, ob es denn nicht ein Freizeitgewinn wäre, wenn aus klimapolitischen Gründen der Autoverkehr eingeschränkt würde – und meine Kinder wieder auf der Straße spielen könnten. Ja, sagte Tol – aber das sei irrelevant, weil sowieso kein Politiker auf der Welt es wagen würde, den Autoverkehr einzuschränken.
Abgesehen davon, dass Tols Aussage schlicht falsch ist: Was geschieht hier mit seiner Argumentation zwischen meiner ersten und meiner zweiten Frage?
Herkömmliche Umweltpolitik ist geprägt von der Sichtweise der neoklassischen Umweltökonomik.
Für Umweltökonomen versagt der Markt, wenn externe Kosten anfallen. Externe Kosten sind Kosten, die der Verursacher auf Unbeteiligte überwälzt. Wenn ein Akteur einen Teil seiner Kosten externalisieren kann, muss er nicht für die wahren Kosten seines Tuns aufkommen, was ihn zu Entscheiden veranlasst, die aus gesamtgesellschaftlicher Sicht suboptimal sind. Ein typischer Fall externer Kosten sind Umweltschäden. So hat Sir Nicholas Stern in seiner berühmten Stern Review (2006) den Klimawandel als das «größte Marktversagen aller Zeiten» bezeichnet.
Daraus folgt, dass Umweltpolitik versuchen sollte, Kostenwahrheit zu schaffen und externe Kosten zu internalisieren. Laut dem Ökonomen und Wirtschaftsnobelpreisträger Ronald Coase ist der Markt allein fähig, externe Kosten zu internalisieren (Coase-Theorem); andere Politiken der Internalisierung externer Kosten sind Steuern oder Lenkungsabgaben.
Versagte der Markt nicht, resultierte daraus eine aus gesamtgesellschaftlicher Sicht optimale Umweltbelastung. Weder mehr noch weniger Umweltbelastung ist wünschbar. Das brachte der damalige Weltbank-Chefökonom (und spätere Harvard-Präsident und US-Regierungsberater) Larry Summers besonders drastisch zum Ausdurck, als er in einer 1991 bekannt gewordenen Notiz schrieb, er halte dünn besiedelte Teile Afrikas für «stark unterverschmutzt».
Neoklassische Umweltökonomen suchen das Optimum in Modellen, die auf Kosten-Nutzen-Analysen (CBA) basieren. Dabei gilt es, die Höhe der externen Kosten abzuschätzen. Das kann auf verschiedene Art geschehen – 1995 widmete das IPCC der Methodik der CBAs eine aufschlussreiche Doppelseite (IPCC, Climate Change 1995. Economic and Social Dimensions, Seiten 196/197). Diese Doppelseite im IPCC-Bericht ersetzte eine andere, die nach heftigen Protesten aus dem Entwurf gestrichen worden war: Sie hatte die Aussage enthalten, der Wert eines Menschenlebens sei mit 1,5 Millionen Dollar zu bemessen, wenn dieser Mensch in einem Industrieland lebe – und mit 150.000 Dollar, wenn er in einem Entwicklungsland lebe.
Einer der einflussreichsten Umweltökonomen, William Nordhaus von der Stanford University – er gilt als «undogmatisch» –, hat als erster ein Modell entwickelt, mit dem sich die berechnen lässt, welche Balance zwischen Anstrengungen, den Klimawandel zu bremsen, und dem Inkaufnehmen von Klimaschäden unter dem Strich zum optimalen Resultat, sprich: zur höchsten Wirtschaftsleistung führt. In seiner jüngsten Version von 2008 kam das Modell zum Schluss, dass eine Erwärmung um 3,4 Grad bis 2200 optimal sei. Gar nichts zu tun, wäre suboptimal, aber immer noch besser als eine «übermäßige» Klimapolitik. Geschähe gar nichts, würde sich das Weltklima bis 2200 zwar um 5,3 Grad erwärmen – doch das würde lediglich Kosten von 8 Prozent des dannzumaligen Bruttoinlandprodukts verursachen.
Das IPCC verzichtet heute auf CBAs, aber die neoliberale Sichtweise prägt die IPCC-Berichte (resp. deren Teil III) nach wie vor. Das drückt sich etwa darin aus, wie das IPCC Kosten klimapolitischer Maßnahmen bemisst. Das IPCC vergleicht Szenarien mit verschiedenen klimapolitischen Maßnahmen mit Business-as-Usual-Szenarien, in denen es weder Klimapolitik noch Klimaschäden gibt. Der Wert der vermiedenen Klimaschäden ist in diesen Rechnungen also noch nicht enthalten (genau genommen stellt nicht das IPCC diese Vergleiche an; es wertet wissenschaftliche Studien aus, die das tun). Laut dem IPCC «kostet» die Vermeidung einer Erwärmung von mehr als 2 Grad zwischen 0.04 und 0.14 Prozentpunkte (Median: 0.06 Punkte) pro Jahr (vgl. IPCC 5th Assessment Report – Working Group III Report Climate Change 2014: Mitigation of Climate Change, Summary for Policymakers, 2015). (Mehr zum 3. Teil des letzten IPCC-Reports in einer eigenen Recherche hier. Kritik an den Methoden der Klimaökonomie, wie sie dem IPCC-Bericht zugrunde liegen, enthält dieser Bericht selber: namentlich Seiten 247ff und 313ff.)
Übrigens: Die einflussreiche ökonomische Sekte des Neoliberalismus kritisiert, ja verspottet die Neoklassiker für ihren Glauben, zukünftige Kosten von Umweltveränderungen, aber auch ökonomischer und politischer Entscheide präzis berechnen zu können (der Neoliberalen-Übervater August Friedrich von Hayek sprach von einer «Anmaßung des Wissens»). So richtig diese Kritik im Grunde ist: Die Folgerung der Neoliberalen lautet, auf jegliche Umweltpolitik gleich ganz zu verzichten. Dabei halten die Neoliberalen an einer strikten Natur-Kultur-Dichotomie fest. Eine Analyse der neoliberalen Haltung gegenüber dem Klimawandel resp. der Klimapolitik findet sich in: Philip Mirowski: Totgesagte leben länger. Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist, Berlin 2015.
Fragen
Was ist von einem Begriff wie «Marktversagen» zu halten? Was impliziert der Begriff? Welches Marktverständnis liegt ihm zugrunde?
Was impliziert der Begriff «Kostenwahrheit»? Wer ermittelt, was die «wahren» externen Kosten sind: der Markt (der ja aber versagt)? Der Staat? Ökonomische Berechnungen?
Was taugen die vom IPCC beschriebenen Methoden zur Berechnung externer Kosten? Was sind ihre ethischen Implikationen?
Nach der ökonomischen Theorie führte ein idealer Markt – also einer, der keine externen Kosten, keine Marktdominanz, vernachlässigbare Transaktionskosten und noch ein paar mehr Voraussetzungen kennte – zu maximaler «Effizienz». Was ist das für ein Effizienzbegriff?
Wozu führte «Kostenwahrheit», wenn sie hergestellt werden könnte? Was sind die ethischen und politischen Implikationen einer neoliberalen «Optimierung» der Umweltbeanspruchung? Wie lässt sich erklären, dass das IPCC in seinem Entwurf zum Bericht von 1995 zum Schluss kam, ein Einwohner eines Industrielands sei zehn mal so viel wert wie einer eines Entwicklungslands?
Was wären mögliche umweltpolitische Alternativen zur Internalisierung externer Kosten?
Das IPCC hat den Auftrag, «policy relevant but not policy prescriptive» Aussagen zum Klimawandel zu machen. Welche policy prescriptive Annahme liegt aber – unausgesprochen – der Wahl der Messgröße für die Kosten klimapolitischer Maßnahmen zugrunde? Was impliziert diese Wahl? Wie sinnvoll wirkt in Ihren Augen die Aussage, ein bestimmter politischer Entwicklungspfad verlangsame das globale Konsumwachstum um 0.04 bis 0.14 Prozentpunkte pro Jahr (wie hoch sind übliche Schwankungen des globalen Wirtschaftsprodukts pro Jahr? – Zahlen gibt es hier)?
Zentrale Größe aller Kosten-Nutzen-Rechnungen ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) / Gross Domestic Product. Was taugt diese Größe, wo sind ihre Grenzen?
William Nordhaus nimmt in seinen Berechnungen ein BIP-Wachstum von global durchschnittlich 4 Prozent pro Jahr an. Was ist von einer solchen Annahme (die Nordhaus so selbstverständlich erscheint, dass er sie nicht begründet) zu halten? Nordhaus entwickelt Szenarien bis ins Jahr 2200. Wie hoch wäre dann das BIP bei einem 4-prozentigen jährlichen Wachstum? Wie lange würde es im Jahr 2200 dauern, bis die Weltwirtschaft um das gesamte Wirtschaftsvolumen von heute gewachsen wäre? Und wie sinnvoll erscheint die Annahme eines 4-prozentigen BIP-Wachstums über zwei Jahrhunderte im historischen Vergleich (Daten für den Vergleich gibt es hier)?
Und noch eine Anekdote:
Der Umweltökonom Richard Tol hat das Konzept der «Freizeitgewinne» (recreational Benefits) in die Kosten-Nutzen-Rechnungen zum Klimawandel eingeführt. Wird es wärmer, argumentiert er, verursacht das zwar Schäden, etwa in der Landwirtschaft, aber man kann sich auch mehr im Freien aufhalten – ein Nutzen, der berücksichtigt werden muss. Ich fragte ihn, ob man nicht auch die Freizeitgewinne klimapolitischer Maßnahmen berücksichtigen müsste. Gewiss, antwortete er, müsste man das – wenn es sie denn gäbe. Es gebe aber keine. Ich fragte, ob es denn nicht ein Freizeitgewinn wäre, wenn aus klimapolitischen Gründen der Autoverkehr eingeschränkt würde – und meine Kinder wieder auf der Straße spielen könnten. Ja, sagte Tol – aber das sei irrelevant, weil sowieso kein Politiker auf der Welt es wagen würde, den Autoverkehr einzuschränken.
Abgesehen davon, dass Tols Aussage schlicht falsch ist: Was geschieht hier mit seiner Argumentation zwischen meiner ersten und meiner zweiten Frage?