Marcel Hänggi
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Leitfaden Vortragen

In den letzten Jahren habe ich einen Teil meines Lebensunterhalts mit Vorträgen verdient, vom 7-minütigen Input bis zum 50-minütigen Referat mit anschließender Diskussion. Und ich habe viele Vorträge, brillante und sterbenslangweilige, gehört.

Dieser Leitfaden soll helfen, Referate (fast) egal welcher Länge vorzubreiten und zu halten.

Einleitung

Die kürzeste Vortragsanweisung, die ich kenne, stammt von Martin Luther:
Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör bald auf.

Dieser Leitfaden befasst sich
- zuerst mit dem Auftreten;
- dann mit dem Maulaufmachen;
- drittens weniger mit dem Aufhören als mit der Frage: Wie ist Vortrag zu gestalten, damit Zuhörer/innen das Aufhören als ein baldiges empfinden;
- viertens mit der Vorbereitung.

Die klassische Rhetorik kennt von Vorbereitung bis Auftritt fünf Schritte:
- inventio: das Finden der Argumente;
- dispositio: die Gliederung des Vortrags. Ich spreche lieber von «Dramaturgie»;
- elocutio: die Ausformulierung;
- memoria: das Auswendiglernen;
- actio / pronuntiatio: der Auftritt.
Dieser Leitfaden befasst sich in den ersten beiden Teilen (Tritt fest auf, Mach's Maul auf) mit actio / pronuntiatio, im dritten Teil (Hör bald auf) mit dispositio und elocutio, im vierten Teil (Vorbereitung) mit der memoria. Auf die inventio gehe ich hier nur ganz am Rande ein.
(Wichtig: Die fünf Schritte der klassischen Rhetoriklehre sind keinesfalls als lineare Abfolge zu absolvieren –
kreative Prozesse laufen nicht so ab, dass man brav eins nach dem anderen tut.)

1. Tritt fest auf (actio)

Hier geht es gewissermaßen um eine Äußerlichkeit, aber:
für die Wirkung des Vortrags ist die sehr wichtig.
Luthers Anweisung dreht sich zu zwei Dritteln um «Äußerlichkeiten», um den Auftritt (actio) und das Sprechen (pronunciatio)!

Den ersten Eindruck vermittelt die Kleidung.
Kleidung soll angemessen sein, das heißt aber nicht, dass ich bei einem Vortrag vor Vorstandsvorsitzenden Nadelstreifen und Krawatte trüge – oder vor einer Schulklasse den Hip-Hop-Pulli: Ich will nicht so tun, als sei ich einer von ihnen.
Mit Dresscodes kann man auch ein wenig spielen (zum Vortrag an einer Uni, wo außer Ökonomen und Juristen niemand Krawatte trägt, binde ich mir unter Umständen eine Krawatte um).

Nach der Kleidung folgt die Körperhaltung / Körpersprache.
Solange ich nicht nervös wirke: 
Ob ich fest da stehe, mich lässig an eine Tischkante anlehne oder mich auf Pult aufstütze, ist nebensächlich
(auch wenn jetzt alle Kommunikationstrainer aufschreien:
mich stören nicht einmal Hände in der Hosentache –
wenn diese Haltung nicht Desinteresse signalisiert, sondern als ein Understatement eingesetzt wird):
Wichtig ist die Haltung, die ich ausdrücke.
Nämlich:
Erstens: Ich habe etwas mitzuteilen, das es Wert ist, mir bis am Ende zuzuhören.
Zweitens: Ich kann das so mitteilen, dass alle gern zuhören.
Drittens: Es macht mir selber Spaß.
Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt: bitte keinen Vortrag halten!
Sind sie erfüllt: Dann bitte entsprechend auftreten!

Schließlich, ganz wichtig:
Der Blick gehört ins Publikum und weder auf ein Skript noch auf einen Bildschirm noch gar auf die Leinwand (also nach hinten).
So sehe ich auch, ob meine Botschaften ankommen.

2. Mach's Maul auf (pronuntiatio)

Überflüssig zu sagen: deutlich und laut genug sprechen!
Und wie schnell?
Langsamer ist leichter verständlich; schneller verträgt weniger Fehler, weniger Äh und Öh.
Deshalb, wer auf Nummer sicher gehen will: lieber langsam sprechen.
Aber: Ich habe brillante rasend schnelle Vorträge gehört, während langsame oft einschläfern.
​Statt langsam sprechen: liebe Pausen machen.
Ein hohes Tempo kann ein rhetorisches Mittel sein.
Gerade in einer Gegenrede spreche ich unter Umständen gern sehr schnell.

Das Maulaufmachen ist das Medium des Vortrags!
Zusätzliche Medien wie Powerpoint sollen unterstützen, dürfen aber nur Nebenmedium sein.
90 Prozent aller Powerpoint-Präsentationen lenken nur ab.
Präsentationen nur einsetzen für: Bilder und Grafiken, Aufzählungen (in kurzen Stichworten!), wichtige Zitate.
Wenige Slides, kein Schnickschnack.
Nie Text zeigen und gleichzeitig sprechen.
Und wenn es nichts zu zeigen gibt: ohne Präsentation sprechen (mach ich bei 9 von 10 Vorträgen so).

3. Hör bald auf (dispositio und elocutio)

Meine Erfahrung: für einen Vortrag maximal 45 Minuten.
Selten gibt es Leute, die sprechen so gut, dass man ihnen auch länger gern zuhört.

Egal, wie lang der Vortrag: Das Publikum darf sich nicht langweilen. Dazu braucht es:
• Anpassung ans Publikum: Wer sind meine Zuhörer/innen, was ist ihr Vorwissen, was wollen sie hören?
• klare Dramaturgie (so wie bei diesem Leitfaden: entlang von Luthers Zitat)
-- packender Einstieg, pointierter Schluss, klarer roter Faden, Spannungsbögen
• klare Sprache
-- mündliche Sprache ist etwas anderes als schriftliche Sprache!
-- keine Schachtelsätze, Nominalphrasen, Füllwörter, Passivsätze… (lieber auch nicht im Schriftlichen; in einem Vortrag aber auf gar keinen Fall)
-- wenig Adjektive, viele flektierte Verben
-- kein name dropping, keine Phrasen, keine abgegriffene Sprichwörter / Redewendungen («Spitze des Eisbergs»)
-- kein «Wie Sie wissen», kein «bekanntlich» (vielleicht wissen es die Zuhörer ja nicht, und wenn sie's wissen, wissen sie, dass sie's wissen)
• Geschichten und Anekdoten erzählen
• Witze, Überraschungen, rhetorische Figuren wie Paradoxa
-- Es gibt Leute mit komischem Talent, bei denen lacht man vom Anfang bis am Ende. Das ist großartig – aber die wenigsten können das. Ein oder zwei Witze sollten aber schon drinliegen.
• Wechselnde Distanz statt stets Halbtotale
-- Man kann sowohl aus der Totale ins Detail zoomen wie umgekehrt, aber meist besser: vom Speziellen zum Allgemeinen (in der Sprache der Logik: induktiv statt deduktiv)
• Meta-Bemerkungen (nur) dann, wenn sie helfen, die Gliederung des Vortrags sichtbar zu machen: «Ich fasse bis dahin zusammen»; «Ich mache jetzt einen Sprung»; «Wie wir gesehen haben»; «Ich komme darauf zurück». 
• Flexibilität: Den Vortrag je nach Vorredner, aktuellen Tagesereignissen, Fragen und Bemerkungen aus dem Publikum anpassen!
-- Ich habe schon aufgrund eines Vorredners meine ganze Vortragsplanung über den Haufen geworfen und frei improvisiert – das waren nicht die schlechtesten Vorträge.
-- Manchmal nehme ich vorweg, was (aufgrund des Programms) jemand anderes nach mir sagen wird. Nimmt dieser Nachredner dann nicht seinerseits auf mich Bezug, wirkt er unsouverän – aber das ist dann seine Sache.
• unbedingt frei sprechen!

-- Ausnahme: Zitate ablesen. Mit dem Ablesen markiere ich auch: Achtung, andere Textsorte!
-- Bei Aufzählungen nehme ich Notizen zu Hilfe, um nichts zu vergessen.
   Warum ist das freie Sprechen so wichtig?
   - Der Blick gehört ins Publikum, nicht auf ein Blatt Papier;
   - das Memorieren zwingt mich zu einem klaren Aufbau mit einem deutlichen roten Faden;
   - frei formuliere ich mündliche Sprache, statt schriftliche Sprache abzulesen;
   - ich bin frei, den Vortrag spontan äußeren Gegebenheiten anzupassen.

4. Vortragsvorbereitung (inventio, memoria)

Ich bereite Vorträge stets schriftlich vor (tu ich's nur im Kopf, kommt's nicht gut):
Nicht in ganzen Sätzen vollkommen ausformulieren, aber doch in detaillierten Stichworten.
Dann lese ich meinen Vortrag wie einen Fremdtext und markiere die Schlüsselwörter.
Auswendiglernen geht gut beim Joggen, Spazieren…
Die Schlüsselwörter notiere ich auf einen Zettel, den ich am Vortrag dabei habe – als Notnagel, falls ich den Faden verliere (sowie für Zitate und allenfalls für Aufzählungen).
Wenn ich den Faden verliere, fällt mir kein Stein aus der Krone, ​wenn ich um ein paar Sekunden Pause bitte, den Zettel hervorkrame, drauf schaue, den Zettel wieder wegstecke – und dann weiterrede.

Und zum Schluss…

Ein guter Vortrag braucht auch einen guten Schluss.
Hier will ich, nachdem von der klassischen Rhetorik und von Luther schon die Rede war, mit mittelalterlicher Gelehrsamkeit enden. 
Das (hoch-)mittelalterliche Universitätsstudium bestand aus sieben Fächern.
Die vier Fächer der Oberstufe (Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) hießen Quadrivium; sie bauten auf den drei Fächern der Unterstufe, dem Trivium, auf: Grammatik, Dialektik, Rhetorik.
Was zum Trivium gehört, nennt man trivial –
Keine Furcht deshalb vor dem freien Sprechen: Es ist trivial!
​

(Eine Probe aufs Exempel, ob ich mich selber an den Leitfaden halte?
Hier mein Auftritt vom 1. Dezember 2016 an der Uni Zürich.)
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