Am 28. Februar sprechen wir über einen Modebegriff: Resilienz. Wir, das sind nebst mir die Ökonomin Deborah Kistler und die Literaturwissenschaftlerin Claudia Keller sowie das Publikum – bei einer einfachen Mahlzeit und einem Glas Wein. Widerstandfähig gegen Krisen zu sein, wünschen wir uns wohl alle angesichts der düsteren politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Entwicklungen, die uns bereits das noch junge Jahr 2025 spüren lässt. Resilienz verspricht, der Ressourcen verschleissenden Effizienz und dem Burnout von Mensch und Planet etwas entgegenzusetzen und uns zu ermöglichen, unter widrigen Umständen stabil zu bleiben. Nachdem das Konzept lange dafür kritisiert wurde, strukturelle Probleme auf das Individuum abzuwälzen, und unter dem Verdacht stand, neoliberale Selbstoptimierung zu fördern, wird es nun positiver gesehen: Das Zeitalter der Resilienz verheisst eine Welt, die den transformativen Wandel hin zur Nachhaltigkeit geschafft hat. |
Gesellschaftliche Resilienz
Ich glaube, dieser Punkt war erreicht, als ich eine Einsicht hatte: Bis dahin hatte ich immer versucht, ein Gleichgewicht zu finden. Aber auf einem Einrad gibt es kein Gleichgewicht. Ich musste realisieren, dass es nicht darum geht, einen Gleichgewichtszustand zu finden. Sondern ständig das Ungleichgewicht zu korrigieren.
Argwohn gegenüber dem Begriff
Ich will in diesem Vortrag die Bedeutung des Begriffs Resilienz ein wenig ausloten und fragen, was Gesellschaften resilient macht.
Die Frage ist enorm wichtig, wenn wir können große Umweltkatastrophen nicht mehr verhindern. Da sind wir schon gescheitert. Wir können sie noch negrenzen. Darüber hinaus müssen wir versuchen, mit dem nicht mehr vermeidlichen Teil der Katastrophe möglichst gut zu leben.
Der Begriff der Resilienz löst viel Skepsis aus. Das hängt sicher damit zusammen, wie jemand dem Begriff zum ersten Mal begegnet ist.
Meine erste Begegnung war 2007 an einem Kongress für ökoligische Ökonomie. Als ich fragte, was Resilienz heiße, sagte man mir: die Fähigkeit von Ökosystemen, mit Störungen umzugehen.
Es ging um Ökosysteme. Es war ein Fachbegriff, den außerhaln fachlich interessierter Kreise niemand kannte.
Viele, die dem Begriff mit Argwohn begegnen, haben ihn später kennengelernt. Heute ist der Begriff durch Psychologie und Ratgeberliteratur popularisiert worden – und dadurch auch verflacht. Es ist ähnlich wie mit dem Begriff der «Nachhaltigkeit»: ein weit reichendes Konzept, das eine bestimmte Verwendung zur Floskel hat verkommen lassen. Und wie auf das Konzept der Nachhaltigkeit möchte ich auf das Konzept der Resilienz nicht verzichten.
Resilienz als Transformationsresistenz?
Ich habe mich in meinem letzten Buch, in dem es um Recht und Umwelt geht, mit dem gesellschaftlicher Resilienz befasst. Das unter anderem darum, weil das Übereinkommen von Paris eine «klimaresiliente Entwicklung» (in der halboffiziellen deutschen Fassung heißt es: «eine gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähige Entwicklung») anstrebt.
«Klimaresilienz» ist eine völkerrechtliche Verpflichtung!
Aber was heißt es?
Bei den Recherchen für mein Buch sprach ich mit dem Tübinger Historiker Ewald Frie, der ein Forschungsprogramm über Krisen geleitet hat. Er sagte mir, er möge den Begriff nicht, denn Krisen vermöchten große Energien zu mobilisieren und eine Geselschaft zu verändern. Das könne zwar zum Guten wie zum Schlechten dieser Gesellschaft geschehen. Hinter dem Begriff der Resilienz verberge sich aber die Vorstellung, eine Gesellschaft gehe unverändert aus einer Krise hervor. Und das erachte er nicht als wünschenswert.
Resilienz als Transformationsresistenz.
Man kann den Ruf nach Resilienz auch so verstehen, dass wir die Gesellschaft nur stark zu machen brauchen, dann überstehen wir die Klimaerwärmung auch, ohne dass wir sie stoppen.
Ich habe aber auch die IPCC- und IPBES-Berichte angeschaut. Und die Berichte beider Gremien besagen ja, dass es weitreichender systemischer Transformationen bedürfe, um die Umweltkrisen zu begrenzen.
Transformationsresistenz können sie also nicht meinen.
Resilienz als Transformationsfähigkeit
Der Begriff der Resilienz stammt aus der Ökologie der späten sechziger / frühen siebziger Jahre und steht mit den Erkenntnisfortschritten auf dem Gebiet komplexer Systeme im Zusammenhang. «Resilienz» war ein Gegenbegriff gegen das «ökologische Gleichgewicht» – aus der Überzeugung, dass es ein solches Gleichgewicht als Zustand gar nicht gebe. Komplexe Systeme sind immer far from equilibrium.
With roots in one branch of ecology (…), it inspired social and environmental scientists to challenge the dominant stable equilibrium view. The resilience approach emphasizes non-linear dynamics, thresholds, uncertainty and surprise, how periods of gradual change interplay with periods of rapid change and how such dynamics interact across temporal and spatial scales (…)
Trotzdem können Systeme sehr stabil sein. Das Paradebeispiel, auf das Lynn Margulis und James Lovelock hinwiesen, als sie um 1970 ihre Gaia-Theorie entwickelten, ist der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre. Dieser liegt bei etwa 20 Prozent, was eigentlich ein unwahrscheinlicher Zustand ist, denn Sauerstoff ist hoch reaktiv.
Margulis und Lovelock sagen: Man muss das Earth System als eine Art Super-Lebewesen auffassen, das diesen unwahrscheinlichen Zustand aktiv aufrecht erhält.
Es ist wie mein Einradfahr-Moment: die Erkenntnis, dasss Systemstabilität nicht gleichbedeutend ist mit einem statischen Gleichgewicht. Stabil sind Systeme, die ständig in Bewegung sind, sich transformieren, um das Ungleichgewicht zu korrigieren.
Theoretisch informierte Resilienzkonzepte stellen deshalb nicht Veränderungsresistenz, sondern Transformationsfähigkeit ins Zentrum.
In der Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050 des Bundesrtat von 2023 (die der Bundesratselber sicher nie im Detail gelesen hat) wird Resilienz in einer Fußnote so definiert:
Die Resilienz setzt sich zusammen aus der Widerstands-, der Anpassungs- und der Wandlungsfähigkeit eines Systems. [Seite 16, Fußnote 79]
Climate resilient development is a process of implementing greenhouse gas mitigation and adaptation options to support sustainable development for all in ways that support human and planetary health and well-being, equity and justice. [IPCC AR6 WG2, Seite 2734, FAQ 18.2
Charakteristika resilienter Entwicklung
Für mich eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit lautet: Was macht soziale Systeme resilient? Was gibt ihnen also die Fähigkeit, sich zu transformieren, ohne dass sie die Fähigkeit verliert, wichtige Systemfunktionen – die Ernährung der Menschen, die Gewährung von Obdach, Sicherheit, Bildung und so weiter – zu erfüllen?
Es gibt, soweit ich sehe, wenig belastbare wissenschaftliche Erkenntnis; keine Rezepte nach dem Muster «Wenn X, dann resilient».
Aber das IPCC nennt doch drei wichtige Punkte:
- Antworten auf Systemkrisen müssen systemisch sein. Wir müssen Systemkrisen also erst einmal als solche wahrnehmen. Solange wir einzig versuchen, einzelne Systemkomponenten auszuwechseln, sind unsere Antworten nicht systemisch. Ein Beispiel: Die Verkehrswende gelingt nur, wenn wir das Mobilitätssystem als gesellschaftliches System wahrnehmen – mit Fahrzeugen, Infrastrukturen, rechtlichen Grundlagen, Kulturen, Erwartungen. Sie gelingt nicht, solange wir einzig versuchen, eine einzelne Kompnente – die Antriebsart der Fahrzeuge – zu ersetzen.
- adaptiv sein. Perfekte Antworten gibt es nicht, sowenig es einen stabilen Gleichgewichtszustand gibt. Auf derm Einrad kann ich mich nie ausruhen. Gesellschaftliche Resilienz bedeutet: ständiges Nachjustieren und Aushandeln. Eine Bemerkung dazu: Der 2024 an der Urne gescheiterte Entwurf für eine neue Walliser Kantonsverfassung enthielt einen Artikel, der vorsah, dass der Kanton «jede Art von Solidarität fördert». Das finde ich sehr intelligent, weil der Kanton unmöglich auf jedes denkbare Szenario vorbereitet sein kann. Aber er kann in unvorhergesehenen Situationen Initiativen spontaner Solidarität unterstützen.
- Antworten auf Systemkrisen müssen multiperspektivisch sein. Wissenschaftliches Wissen ist essentiell, aber es ist nicht die einzige Wissensform. Das IPBES nennt in seinem Transformative Chance Assessment Report vom Dezember 2024 namentlich lokales und indigenes Wissen, das auch zu berücksichtigen ist. Ich denke, dass auch Kunst eine solche Wissensform sein kann.