Genau darum geht es. Ich will es niemandem verwehren, sich an Autorennen zu freuen. Dabei aber so zu tun, als hätte die Sache etwas mit sinnvoller Mobilität, gar mit Nachhaltigkeit zu tun: Das ist ärgerlich und falsch.
«Zürich braucht mehr Formel E, nicht weniger», schrieb mein guter Kollege Lorenzo Petrò im Tages-Anzeiger vom 12. Juni 2018, nach dem «Formel E»-Autorennen in Zürich. Ich sage: Unsinn. – Meine Replik im Tages-Anzeiger vom 14. Juni. «Technologiefeinde» wollten künftige Formel-E-Rennen in Zürich verhindern, schreibt Lorenzo Petrò. Das sei «schädlich für die Stadt» und die Kritiker übersähen, dass «das Formel-E-Spektakel ein Fest nicht nur des Automobils, sondern der elektrischen Mobilität» sei.
Genau darum geht es. Ich will es niemandem verwehren, sich an Autorennen zu freuen. Dabei aber so zu tun, als hätte die Sache etwas mit sinnvoller Mobilität, gar mit Nachhaltigkeit zu tun: Das ist ärgerlich und falsch.
Es gibt Probleme, die sind schwer zu lösen, weil sie schwer zu lösen sind. Und es gibt Probleme, die sind schwer zu lösen, gerade weil ihre Lösung so einfach wäre, wenn man es sich denn eingestünde. – Ein Essay von Marcel Hänggi in der Zeit (Schweiz) vom 3. Mai 2018.
Im November erscheint der Sammelband Heinrich Bachofner. Erfinder, herausgegeben von Katrin Luchsinger und Jacqueline Fahrni, über das zeichnerische Werk eines Psychiatriepatienten im frühen 20. Jahrhundert. Mein Beitrag zum Buch war eine meiner schönsten Schreibarbeiten seit langem. Am 20. Januar 1924 ist Heinrich Bachofner Henry Cinfour. Während Bachofner, 61-jährig, geplagt von Verfolgungsängsten, ohne Aussicht auf Entlassung in der Anstalt sitzt, macht sich sein Alter ego Cinfour auf zum Fliegen. Auf einem Verpackungskarton erfindet er, woran andere scheiterten: nebst anderen Flugapparaten das «sonderbare Vehikel ‹Wers glaubt›».
Wie sähe eine Stadt aus, die in einem strengen Sinne nachhaltig wäre – und in der das Leben Freude machte? Das untersucht der Sammelband Die Andere Stadt, herausgegeben von Hans Widmer (alias P.M.). Mein Beitrag zum Buch fragt nach dem Verkehr in der «Anderen Stadt». Die auffallendste Eigenschaft der Anderen Stadt, soweit es um den Verkehr geht – vielleicht ihre auffallendste Eigenschaft überhaupt –, ist, dass es keine Autos gibt. Es gibt motorisierte Fortbewegungsmittel, aber keines entspricht dem, was man heute, im frühen 21. Jahrhundert, unter «Auto» versteht. Eigentlich müsste «nachhaltige Wirtschaft» ein Pleonasmus sein. Ist es aber nicht. Ein Grund sind Verständnisprobleme zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen. – Horizonte / Horizons Nr. 114, September 2017 Die Wirtschaft soll den Menschen ein gutes Leben ermöglichen: Dieser Aussage würden wohl die meisten Wissenschaftler und Politiker zustimmen. Und wenn man mit «den Menschen» auch künftige Generationen meint, so sollte «nachhaltige Wirtschaft» eigentlich ein Pleonasmus sein: Eine nicht nachhaltige Wirtschaft verfehlt ihren Zweck. Schliesslich bedeutet «Ökonomie» im ursprünglichen Sinn die Lehre der guten Haushaltsführung.
Das Velo gilt als Wegbereiter des Autos. Oh Schreck: Haben unsere Vorfahren unserem Erzfeind zum Aufstieg verholfen? Die These hat auf den ersten Blick einiges für sich – und hält einer kritischen Überprüfung doch nicht stand. – «Velojournal» Nr. 3 (Juni) / 2017 Wie schön liesse sich die Geschichte des Velos doch als Geschichte eines technischen Wundergeräts schreiben. Es ermöglicht die Fortbewegung zu Land energieeffizienter als alles, was Mensch und Natur sonst noch erfunden haben. Es belastet ökologisch niemanden und steht (fährt) somit sozial stets auf der «guten Seite.» Es ist laut dem Technikphilosophen Ivan Illich das Paradebeispiel menschenfreundlicher Technik. Und damit eine solche Geschichte nicht kitschig wird, könnte man als kritische Note auf die Dopingexzesse im Rennsport hinweisen – die uns DurchschnittsradfahrerInnen nicht viel angehen. Im Abstimmungskampf um das Energiegesetz werden Fortschrittsmythen sichtbar. – «Politblog» auf «Newsnet» / «Tages-Anzeiger» vom 9. Mai 2017 Das Energiegesetz, über das wir am 21. Mai abstimmen, ist kein Wurf, und für das, was das Gesetz bewirken wird, ist «Energiewende» ein zu grosses Wort. Und doch handelt es sich um einen Richtungsentscheid mit grosser Signalwirkung. Bei allen Detailargumenten: Letztlich geht es um die Glaubensfrage, ob die Politik in den Energiemarkt eingreifen soll oder ob sich die beste Energietechnik dann durchsetzt, wenn man den Markt gewähren lässt.
Vortrag von Marcel Hänggi anlässlich der Vernissage des Lehrbuchs für die Sekundarstufe I Technik und Design. Pädagogische Hochschule Bern, 3. Mai 2017 Lassen Sie mich mit einer Geschichte beginnen. Am Heiligabend 1704 schreibt Denis Papin einen Brief an den großen Leibniz. Papin ist Ingenieur und Physiker in den Diensten des Landgrafen von Hessen-Kassel. Er hat den Dampfkochtopf erfunden sowie, nachdem ein solcher bei einer Vorführung den Mitgliedern der Royal Society um die ehrenwerten Köpfe geflogen war, auch das Sicherheitsventil.
Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, wie sehr unsere Städte einst stanken. Werden sich unsere Nachfahren die heutigen Auto-vermüllten Städte noch vorstellen können? – «Politblog» auf «Newsnet» / «Tages-Anzeiger» vom 4. April 2017 Im Sommer 1858 stank es in London. Das war an sich nichts Besonderes: Alle grossen Städte stanken zum Himmel. Aber wenn ein Sommer unter dem Namen «the Great Stink» in die Annalen eingeht, muss es schon besonders fürchterlich gestunken haben. Erneuerbare werden rasant billiger. Werden sie die fossilen Energien nicht einfach von sich aus verdrängen? Wird der Markt unser Klimaproblem lösen? – «Politblog» auf «Newsnet» / «Tages-Anzeiger» vom 28. Februar 2017 Die Schweizer Umweltpolitik wird in diesem Jahr in der Schweiz viel Anlass geben, über die Rolle des Marktes zu streiten – wenn der Nationalrat in der aktuellen Session über das Klima- und Energielenkungssystem debattiert, anlässlich der Referendumsabstimmung zum Energiegesetz am 21. Mai oder im Zusammenhang mit der Revision des CO2-Gesetzes ab der Wintersession. Ein Hauptargument gegen umweltpolitisches Handeln wird immer lauten: Der Markt funktioniert zum Wohle aller, wenn man ihm nur freies Spiel lässt; politische Eingriffe sind unnötig. Museumstexte als Unterrichtsmaterial. Unterrichtsanregung im Deutschunterricht. Nr. 1 (25. Januar) 2017.
Eine der bemerkenswertesten technischen Erfindungen kann Jubiläum feiern: 2017 wird das Fahrrad 200. – «Politblog» auf «Newsnet» / «Tages-Anzeiger» vom 24. Januar 2017 Nein, ich mag nicht darüber schreiben, wovon dieser Tage alle reden – kein T-Wort in diesem Text! –, und will mich Erfreulicherem widmen. Heuer feiert (rechnet man ihre Vorgängertechniken dazu) eine der bemerkenswertesten Erfindungen der Technikgeschichte ihren 200. Geburtstag: das Fahrrad. Die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes hat die Netzwerke der KlimawandelleugnerInnen aufgedeckt. Dass diese jetzt im neuen US-Kabinett sitzen, bedeutet für sie vor allem eines: WissenschaftlerInnen müssen sich endlich öffentlich engagieren. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 19. Januar 2017. WOZ: Naomi Oreskes, Sie sind auf dem Weg ans World Economic Forum in Davos. Was tun Sie da? Naomi Oreskes: Ich spreche natürlich über den Klimawandel! Der private Sektor allein kann das Problem des Klimawandels nicht lösen, aber er kann und muss Verantwortung übernehmen. Gerade in der Ära Trump ist die Rolle der Wirtschaft besonders wichtig. Interessieren sich die WEF-TeilnehmerInnen für den Klimawandel? Der Klimawandel beschleunigt sich. Hat die Menschheit überhaupt noch eine Chance, davonzukommen – oder ist es schon zu spät? Eine Antwort mit Blaise Pascal. – «Politblog» auf «Newsnet» / «Tages-Anzeiger» vom 13. Dezember 2016 Blaise Pascal (1623-1662) war ein gläubiger, aber ein zweifelnder Mensch. Existiert Gott? Philosophen seiner Zeit stellten das herkömmliche Gottesbild infrage und ersetzten es durch ein rationalistisches: Gott hatte die Erde geschaffen und in Gang gesetzt wie ein Uhrmacher seine Uhr und liess sie nun ablaufen, ohne weiter in sie einzugreifen. Pascal argumentierte ebenfalls rationalistisch, aber ganz anders, nämlich gewissermassen versicherungsmathematisch: Er stellte den Gottesglauben als eine Wette dar. Wettete man auf Gottes Existenz, nahm man die Mühen in Kauf, gottesfürchtig leben zu müssen – was man nicht musste, wenn man nicht an Gott glaubte. Doch der erwartbare Gewinn war für den Gottesgläubigen auf jeden Fall grösser: Gibt es Gott tatsächlich und der Gottesgläubige gewinnt die Wette, gewinnt er nach dem Tod das Himmelreich. Verliert er die Wette, ist er nach dem Tod eben tot. Der Ungläubige aber ist genauso tot, wenn er gewinnt – dagegen riskiert er die Hölle, wenn er verliert. Es ist also vernünftig, an Gott zu glauben. Ist es vernünftig, an das Überleben der menschlichen Zivilisation zu glauben? |
AutorMarcel Hänggi, Zürich Themen
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