WOZ: Darf ich raten? Sie haben gewettet, dass ich Sie zum Tod des Papsts befrage?
Ja.
Ich bin gläubig und gehe sonntags in die Messe. Dem Papst bin ich tief dankbar für das, was er für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt tat. Als Frau, die sich mit Frauenrechten befasst, kann ich aber mit dem, was in der katholischen Kirche unter Johannes Paul II. alles nicht geschehen ist, nicht glücklich sein. Ich habe gar keine Freude an Abtreibungen, aber man kann nicht gegen Abtreibungen sein und gleichzeitig eine wirksame Familienplanung verbieten. Doch die tägliche Pastoralarbeit ist vernünftiger als die päpstliche Sexualmoral.
Auch die C-Politik ist vernünftiger: Die CVP-Frauen haben soeben die Ja-Parole zum Partnerschaftsgesetz beschlossen.
Natürlich, es geht ja nicht um einen Entscheid für die Kirche, sondern für einen multikulturellen Staat. Man muss Minderheiten schützen. Das sollte in der Politik selbstverständlich sein. Aber wir erleben in allen Lebensbereichen einen extrem schnellen Wandel. Da sind scheinbar klare Lösungen willkommen. So ist es zu verstehen, wenn eine Partei vor dem Hintergrund von Ausserirdischen im Mystery-Park einfache Konzepte verkündet ...
In der jüngsten Asylgesetzdebatte des Ständerats waren auch die Mitteparteien voll auf Blocher-Kurs.
Ich habe extrem Mühe damit. Jetzt kann man nur noch hoffen, dass der Nationalrat das korrigiert, aber meine Hoffnung ist nicht extrem gross. Die Massnahmen schiessen über das Ziel hinaus – umso mehr, als die Zahl der Asylgesuche stark abnimmt.
Die Kirchen haben den Ständerat scharf kritisiert. Einige StänderätInnen zeigten sich darüber beleidigt.
Das ist keine Reaktion, die weiterhilft. Sie sollten sich fragen, weshalb sie kritisiert werden. Für mich ist die derzeitige Asylpolitik deshalb besonders schmerzhaft, weil mich noch heute die Schuld plagt, die die Schweiz mit ihrer Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg auf sich geladen hat. Man hat wie so oft in der Geschichte nichts gelernt.
Ist es schwierig, nach 24 Jahren in der Bundespolitik nur noch zuschauen zu können?
Man nimmt ganz klar nicht mehr Einfluss. Kürzlich sagte Alice Schwarzer in einem Interview, sie sei zwar im Alter sanfter geworden, aber ihr Empörungspotenzial sei unverändert. Ein schönes Wort! Das ist bei mir auch so. Aber ich bin jetzt nur noch eine Bürgerin unter anderen.
Die Familie Ihrer Mutter war liberal, Ihr Urgrossvater nahm am Freischarenzug gegen die konservative Regierung teil (siehe WOZ Nr. 51/2003 ). Dennoch gingen Sie nicht zu den Liberalen, sondern zu den Christlich-Sozialen.
Die Familie des Vaters war katholisch-konservativ. Konservativ-liberale Mischehen gab es damals viele, das fiel nicht so ins Gewicht, weil ja die Frauen politisch nichts zu sagen hatten. Wichtiger war, was sie materiell in die Ehe einbrachten.
Wie wurden Sie politisiert?
Das begann sehr früh. Mein Vater war Portier im Hotel National. Damals bot der Tourismus Einkommensmöglichkeiten. Die Löhne waren extrem tief: 20 Franken im Monat, die Wohnungsmiete kostete hundert Franken; man lebte von den Trinkgeldern. Mit der Weltwirtschaftskrise blieben die Gäste aus und das Trinkgeld auch. 1935 bekam mein Vater eine Stelle als Abwart bei der Kantonalbank mit 269 Franken Nettolohn. Mein Vater war extrem konservativ, aber die Mutter war antiautoritär avant la lettre. Sie behandelte alle gleich, ob Bundesrat oder Hungerleider. Als Bauerntochter wusste sie, wie man ohne Bargeld über die Runden kommt. Im Krieg musste sie die Arbeit von drei Männern machen, von meinem Vater und zwei weiteren, und sie kriegte keinen Lohn dafür. Die Frau war einfach Beigabe zum Mann. Sie musste mit zu den Vorstellungsgesprächen und musste dafür eigens einen Hut kaufen, für dreizehn Franken, das war furchtbar. Ich erlebte als Kind die sozialen Ungerechtigkeiten – und die Unterschiede zwischen Frau und Mann. Dadurch wurde ich politisiert. Als ich 1971 in den Nationalrat gewählt wurde, sagte meine Mutter zu mir: «Wenn ich wie du zur Schule gegangen wäre, wäre aus mir etwas geworden.» Und: «Ich hätte nicht gedacht, dass die Leute dich so estimieren!»
Josi Meier, 79 ist Rechtsanwältin in Luzern und war von 1971 bis 1983 CVP-Nationalrätin, danach bis 1995 Mitglied des Ständerats, den sie 1992 als erste Frau präsidierte.