Aber statt dass nun immer mehr Menschen realisieren, was gerade abgeht, ist auch das Leugnen in den letzten Monaten lauter geworden (gerade so offensichtliche Klimaerhitzungs-Folgen wie die Brände von L.A. nutzten die Leugner:innen offensiv) und der Aufstieg der extremen Rechten hat sich schockierend beschleunigt. Darüber muss ich hier weniger schreiben, darüber haben die Medien berichtet – wenn ich mich auch immer wieder wundere, wie sehr die meisten Medien zögern, extrem rechte Positionen, Personen und Parteien auch als solche zu bezeichnen.
Ebenfalls stark beschäftigt hat mich in den letzten Monaten das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Klimaseniorinnen gegen die Schweiz und die Reaktionen darauf. Die Schweiz, stellt der EGMR mit 16:1 Stimmen in einem sehr differenzierten Urteil fest, verletzt mit ihrer unzureichenden Klimapolitik Menschenrechte. Dass die SVP, noch bevor sie das Urteil gelesen hat, «fremde Richter!» schreien würde, war erwartbar; dass auch die Parlamentsmehrheit und, in der offiziellen Stellungnahme der Schweiz, der Bundesrat sich empören würden, ohne die zentralen Punkte des Urteils auch nur zur Kenntnis zu nehmen, hat mich doch schockiert.
Vor Weihnachten erschien dann noch ein sehr wichtiger wissenschaftlicher Bericht zur Frage, wie mit den Umweltkrisen umzugehen sei: das Transformative Change Assessment des Wekltbiodiversitätsrats IPBES. Darüber haben, soweit ich sehe, die Schweizer Medien überhaupt nicht berichtet. Der Bericht bekräftigt einmal mehr, was seit Jahren wissenschaftlicher Konsens ist (spätestens seit dem 1,5-Grad-Spezialbericht des IPCC von 2018): Wir brauchen dringend transformativen Wandel. «Die meisten früheren und aktuellen Ansätze, die eher auf eine Reform als auf eineTransformation der Systeme abzielen, haben es nicht geschafft, die Zerstörung der Natur in der Welt aufzuhalten oder umzukehren», sagte an der Präsentation des Berichts dessen Ko-Vorsitzende Karen O’Brien.
Wie passt das alles zusammen?
An einer Podiumsveranstaltung der Republik am 20. Januar 2025 – dem Tag von Trumps Amtseinsetzung – sagte der Zeit-Journalist Bernd Ulrich, wir Einwohner:innen des Globalen Nordens hätten in den letzten Jahrzehnten einen beispiellosen Wohlstandszuwachs erlebt, ohne die Kosten dafür tragen zu müssen, weil wir die Kosten unseres Handelns in die Zukunft und in andere Weltregionen exportiert hätten. Das sei nun aber nicht mehr möglich, denn in dieser Zukunft sind wir angekommen und aus den Weltregionen, in die wir Kosten exportiert haben, kommen Menschen in großer Zahl zu uns. Ulrichs Analyse überzeugt mich und ich will sie ein wenig ausführen.
Jahrzehntelang musste man die Kosten des Wohlstands des reichen Nordens nicht sehen. Aber man sah sie natürlich längst, wenn man wollte. Rachel Carson warnte 1962 vor einem «Stummen Frühling» ohne Vögel. Es entstand eine Wissenschaft der Ökologie, es entstand die moderne Umweltbewegung und die UN begann, sich um Umweltfragen zu kümmern. Ölpreisschocks und der Bericht des Club of Rome machten bewusst, dass Wachstum Grenzen hat. Der Norden reagierte unter anderem, indem er (gute!) Umweltgesetze schuf. In der Schweiz haben wir die Nachhaltigkeit mit der Verfassungsrevision von 1999 zu einem Grundprinzip unseres Rechtsstaats gemacht (gl. mein neuestes Buch Weil es Recht ist, 2024).
Soweit die Umweltgesetze lokale Umweltprobleme betrafen, war ihre Umsetzung zu einem guten Teil durchaus erfolgreich: Luft und Gewässer (nicht alle; vgl. den SRF-Dokumentarfilm Unser täglich Fleisch von Karin Bauer, 2023) wurden sauberer, aus Industriezonen wurden schöne Kulturzentren. Das gelang zu einem guten Teil deshalb, weil die dreckige Industrie verschwand. Die Industrieprodukte, von denen der reiche Norden nach wie vor immer mehr konsumierte, wurden nun zunehmend in Ländern produziert, wo es die schönen Umweltgesetze nicht gab – oder sie nicht durchgesetzt wurden. Dass Industriearbeitsplätze verloren gingen, brauchte uns in der Schweiz wenig zu kümmern; diese Arbeitsplätze hatten hauptsächlich Immigrant:innen inne, die man leicht wieder los wurde (siehe dazu den Dokumentarfilm Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer von Samir, 2024).
Jetzt aber wird dieses Abschieben und Ignorieren der Kosten unseres Tuns immer prekärer und das Auseinanderklaffen unseres Handelns und unserer Werte immer offensichtlicher.
Wie reagieren?
Es gibt drei Strategien:
— Was die Regierungen (des Globalen Nordens) mehrheitlich taten und noch tun, ist das, was Hedwig Richter und der bereits erwähnte Bernd Ulrich in ihrem Buch Demokratie und Revolution. Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit (2024) eine «Politik der Zumutungslosigkeit» nennen: Man tut so, als liessen sich alle Umweltprobleme ohne Zumutungen, ohne Verbote und ohne Verzicht lösen – durch technischen Fortschritt, durch den Ersatz von Glühbirnen durch Sparlampen, von Verbrenner- durch E-Autos, durch das Aufstellen von Solarpanels und Windrädern.(Dabei vertreten gerade Stimmen, die Zumutungen in der Umweltpolitik für vollkommen unzumutbar halten, in anderen Feldern wie der Finanz- oder Sozialpolitik oft ein ausgesprochenes Zumutungs-Ethos.) Dass aber ein Weiter-wie-Bisher, nur mit etwas grünerer Technik, nicht ausreicht, um die Umweltkrisen zu bewältigen, ist wissenschaftlich erhärtete Tatsache. Die Politik der Zumutungslosigkeit ist fadenscheinig geworden: Unser Handeln passt nicht zu unseren Werten.
— Wenn das Handeln den Werten nicht gerecht wird, kann man diese Realität akzeptieren und sagen: Stopp! Das will die Umweltverantwortungsinitiative (UVI). Wir müssen unser Handeln ändern. Wir leben ja schon seit Jahrzehnten jenseits der Belastungsgrenzen unseres Planeten. Die Gegner:innen der Initiative sagen, dass es nicht möglich sei, diesen Zustand zu beenden ohne Einschränkungen – und sie haben Recht (wobei sich mit den Einschränkungen auch neue Freiheiten eröffnen würden!), nur ist das natürlich kein valables Argument. Und während die UVI die Verlagerung der Kosten unseres Wohlstands in die Zukunft beenden will, will die Konzernverantwortungsinitiative (KoVI) die Verlagerung der Kosten in ärmere Länder beenden. Die erste Ausgabe der KoVI hat gezeigt, dass das Anliegen mehrheitsfähig sein kann (sie erreichte ein Volksmehr an der Urne, scheiterte aber am Ständemehr). Auch Gerichtsentscheide wie der Klimaseniorinnen-Entscheid des EGMR oder der Klimapolitik-Entscheid des Deutschen Verfassungsgerichts von 2021 sagen: Wir müssen das Handeln ändern. Natürlich sagen sie das, denn genau dafür sind die Gerichte da: Um die Einhaltung von Regeln einzufordern, auf die sich die Gesellschaft in Form von Gesetzen geeinigt hat.
— Aber wenn Handeln und Werte auseinanderklaffen, kann man auch weitermachen und die Werte über Bord werfen – respektive umwerten. Das ist, was die extreme Rechte tut (wobei ihr eine gemäßigte Rechte und auch die bürgerliche Mitte immer öfter folgen). Figuren wie Trump machen ein attraktives Angebot, indem sie sagen: Du bist egoistisch? dir sind Umwelt und das Wohlergehen anderer Menschen egal? du bist ein Arschloch? Sei es – ich bin es auch! Tadzio Müller hat dafür den Begriff der «Arschlochgesellschaft» geprägt (vgl. Tadzio Müller: Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps (2024) und als kritischen Gegenstandpunkt zu den Folgerungen, die Müller aus seiner Diagnose zieht, Julian Genner und Ulla Schmid in der WOZ). Natürlich haben die meisten doch noch so etwas wie moralische Skrupel, die es ihnen nicht so leicht machen, sich zu ihrem Arschlochsein zu bekennen. Darum pflegt die Rechte so sehr den Kulturkampf – und kapriziert sich dabei besonders auf Symbole wie Lastenräder oder Windmühlen. Darum tut sie fast alles im Gestus der Empörung (längst nicht nur Trump, von der SVP kennen wir das in der Schweiz längst). Es ist eine Umwertung der Werte, die sich schon in den 1990er Jahren zeigte, als das Wort «Gutmensch» als Schimpfwort aufkam. Moral ist heute in einem gewissen Diskurs zu etwas Unmoralischem geworden: Du willst mir vorschreiben, moralische Grundsätze zu beachten? Wie unmoralisch! Nach diesem Muster fielen etwa die Reaktionen auf das EGMR-Urteil aus (weit über die Rechte hinaus). «Krieg ist Frieden», sagte der Große Bruder in George Orwells 1984. Rechtsprechung ist Zumutung, sagt die heutige Rechte. Moral ist Anmaßung, Unmoral Tugend. Integration ist Diskriminierung, Diskriminierung Freiheit, rücksichtsvolles Sprechen Gesinnungsterror. Putin ist ein Missverstandener, Alice Weidel ganz nett, Hitler war Kommunist, die Nazi-Diktatur ein Vogelschiss, der Hitlergruß eines der mächtigsten Männer der Welt die Zufallsgeste eines Autisten. Putschisten sind Patrioten.
Wie wir da wieder rausfinden?
Richter und Ulrich meinen: Indem wir uns wie Erwachsene verhalten und zu den Zumutungen stehen, die das Leben mit sich bringt (nichts geht ohne Zumutung; warum sollte ausgerechnet Umweltpolitik zumutungsfrei sein?).
Und kurzfristig, für alle in der Schweiz Stimmberechtigten: indem wir am 9. Februar zur Umweltverantwortungsinitiative Ja stimmen.