
Krieg, Ehre und Entscheidungsfreiheit Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil X meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ. ![]() «Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden», sagt Möbius in Dürrenmatts Komödie «Die Physiker». «Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten», lautet die Trivialversion, die sich sowohl kulturpessimistisch-bedauernd einsetzen lässt wie auch apologetisch gegen jegliche Technikkritik.
Dämme, Computer und anderes Spielzeug Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil IX meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ. ![]() «Seit langer Zeit», schrieb der Mediävist Johan Huizinga in der Vorrede zu seiner bahnbrechenden Studie «Homo ludens», «hat sich bei mir die Überzeugung in wachsendem Maße befestigt, dass menschliche Kultur im Spiel – als Spiel – aufkommt und sich entwickelt.» Im ersten Jahrhundert unserer Zeit ließ Kaiser Nero beim heutigen Subiaco im Latium drei Staudämme bauen. Deren höchster war der höchste der Welt – und blieb es bis zu seiner Zerstörung durch ein Erdbeben 1305. Von der Wichtigkeit von Techniken Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil VIII meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ. ![]() «Man soll das Rad nicht neu erfinden», sagt die Redewendung: Das Rad gilt, nebst der (sehr viel älteren) Beherrschung des Feuers, als Grundtechnik menschlicher Zivilisation schlechthin. Für das Feuer ist das gewiss richtig – aber für das Rad? Viele Kulturen nutzten das Rad nicht oder nicht zu Transportzwecken, darunter die Hochkulturen des präkolumbianischen Amerika (obwohl beispielsweise die Azteken Spielzeugwägelchen kannten). Mehr noch: Der persisch-arabisch-berberische Kulturraum gab die Technik des Warentransports auf Rädern, die er einst gekannt hatte, zugunsten des Kamels für mehr als ein Jahrtausend auf. Automobil und Technikangst Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil VII meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ. ![]() «Vor jedem nicht von Pferden gezogenen Fahrzeug auf öffentlichen Strassen muss ein Mann gehen, mit einer roten Flagge bei Tag und mit einer Laterne bei Nacht, um den Verkehr vor dem Fahrzeug zu warnen.» Den Verkehr vor Motorfahrzeugen zu warnen: das erscheint heute, da nicht-motorisierter Verkehr in der Regel gar nicht mehr als «Verkehr» gilt, absurd. Doch genau dies schrieb Grossbritanniens so genannter Red Flag Act (Rote-Flagge-Gesetz) von 1865 vor. Für Autos limitierte dieses Gesetz die Geschwindigkeit auf vier Meilen (6,4 Kilometer) pro Stunde ausser- respektive zwei Meilen pro Stunde innerorts. Indianer und Pferd Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil VI meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ. ![]() Younger Bear: «Ich habe eine Frau und vier Pferde.» Little Big Man: «Ich habe ein Pferd und vier Frauen.» Der prototypische Indianer reitet, führt Krieg, lebt nomadisch im Tipi, jagt, kennt steile Hierarchien, ist ein Macho – und frönt der Vielweiberei. Der Indianer, wie man ihn aus Wildwest-Filmen und -Romanen kennt – und wie ihn der Film «Little Big Man», aus dem obiger Dialog stammt, parodiert –, orientiert sich am historischen Vorbild der Prärieindianer (Sioux, Cheyennes…) des 19. Jahrhunderts. Diese Kultur ist das Resultat einer Energierevolution. Glühbirne und Energiekonsum Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil V meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ.
Dampfmaschine und Machtstruktur Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil IV meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ. ![]() «Technik ist der Kunst näher verwandt als der Wissenschaft», hat der amerikanische Ingenieur Cyril Stanley Smith einmal geschrieben. – Dass Technik als Anwendung aus der Wissenschaft hervorgeht, ist eher die Ausnahme als die Regel. Häufiger geht sie der Wissenschaft voraus. Paradebeispiel ist die Dampfmaschine. Thomas Newcomen, der vor genau 300 Jahren die erste funktionstüchtige Dampfmaschine baute, war Schmied: dem Künstler näher als dem Wissenschafter. Andere vor ihm hatten versucht, die Dampfkraft zu nutzen, aber erst Newcomen erreichte die nötige Präzision der Kolben, Ventile und Dichtungen. Wohl profitierte er von der Wissenschaft – aber von deren praktischen Erfahrungen: Naturforscher experimentierten schon länger mit Luftdruck und Vakuum und liessen entsprechende Geräte bauen. Die Theorie der Thermodynamik indes folgte erst anderthalb Jahrhunderte nach der ersten thermodynamischen Maschine. Fruchtfolge mit Hülsenfrüchten Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil III meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ. «Wir gelangen jetzt» schrieb der große Chemiker Justus Liebig in einem Chemie-Lehrbuch von 1840, «zum wichtigsten Zweck des Feldbaues, nämlich zur Production von assimilirbarem Stickstoff.»
Stickstoff ist in der Natur ausgesprochen häufig: Die Luft besteht zu vier Fünfteln daraus. Doch Luftstickstoff ist sehr reaktionsträge; ihn in den Nährstoffkreislauf einzubringen, ist aufwendig. Deshalb sind Stickstoffverbindungen in der Biosphäre knapp – oder waren knapp, bevor im 20. Jahrhundert die Überdüngung mit von Menschen hergestellten Stickstoffverbindungen zu einem der ganz großen Umweltprobleme wurde. Atomtechnik und Sachzwang Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil II meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ. ![]() «Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen, so schafft die Atomenergie (...) aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, (...) Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln», schrieb der Philosoph Ernst Bloch 1959. Heute ist aus einer kühnen Utopie eine existenzielle und sehr reale Bedrohung geworden – und die Technik, die einst die Polkappen abschmelzen sollte, wird von einigen als unverzichtbar betrachtet, um ebendies zu verhindern. Buchdruck und Schriftkultur Technischer Wandel ist kein linearer Vorgang. Ob sich eine neue Technik als Fortschritt herausstellt, hängt meist mehr von gesellschaftlichen als von technischen Faktoren ab. Das zeigt die NZZ-Serie «Alles neu?» anhand von historischen Beispielen auf. Teil I meiner monatlichen Technikkolumne in der NZZ.
Wie Begriffe unsere Erwartungen an die Technik prägen. NZZ vom 25. April 2012
In der Sendung «Seitenweise Wirtschaft», das Büchermagazin von NZZ online, stellt Rolf Dobelli mein Buch «Ausgepowert» vor. «Marcel Hänggi hat ein hervorragendes Buch geschrieben über das Ende der billigen Energie. (...) Der Autor stellt sich auch eine Frage, die ist fast bei keinem anderen Buch zu finden: Wollen wir überhaupt das Erdöl ersetzen, oder wäre es nicht schlauer mal darüber zu hirnen, ob wir mit weniger Energie nicht besser leben würden. (...) Auch hervorragend dargestellt ist, was abläuft mit den verschiedenen Energieträgern. (...) Dieses Buch sollte man lesen, wenn man mit der politischen Energiedebatte mitreden will: da sind die Fakten drin, es hat sehr sehr gute Thesen, und es ist gut geschrieben; es ist auch sehr glaubhaft.» Rolf Dobelli Rezension von Jeremy Rifkin: Die dritte industrielle Revolution. Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter. Frankfurt/Main 2011. 303 Seiten. – »Die Zeit« vom 15. September 2011 ![]() Wer hat nicht alles in jüngster Zeit die Energierevolution ausgerufen. Doch wie inhaltleer ist dieser Revolutionsbegriff allzu oft – verstehen die meisten darunter doch einzig technische Erneuerung, Ersatz »dreckiger« Energien durch »saubere«, Steigerung der Energieeffizienz. Was ungefähr so revolutionär ist, als hätte man anno 1789 in Paris gefordert, das Volk effizienter auszubeuten. Nicht so Jeremy Rifkin. Die vom vielschreibenden amerikanischen Soziologen beschworene Revolution soll ihren Namen verdient haben und »jeden Aspekt unseres Lebens fundamental verändern«. Rifkin fragt, was eine echte Energiewende für die Macht-, die Eigentumsverhältnisse, für unsere Beziehungen untereinander und zur Umwelt heißen müsste. Allein dafür möchte man sein Buch aus einem Meer technokratischer Bücher lobend hervorheben.
Interview mit dem Technikhistoriker David Edgerton – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 2. September 2010 ![]() David Edgerton ist einer der führenden Technikhistoriker. Er ist Professor am Centre for the History of Science, Technology and Medicine am Imperial College in London, das er aufgebaut hat. In seinem Buch «The Shock of the Old» plädiert er dafür, die Geschichte der Technik in erster Linie als eine Geschichte der Verwendung der Dinge zu betrachten statt als eine Geschichte der Innovationen. Und er verweist darauf, dass ein übertriebener Glaube an Innovationen paradoxerweise das Gegenteil von fortschrittlich sein kann: Die Idee, die Technik werde es schon richten, werde beispielsweise in der Klimadebatte gegen die Notwendigkeit sozialen Wandels ausgespielt. – Zuletzt erschienen: «The Shock of the Old. Technology and Global History since 1900», London 2006. Wir müssen von den Kenntnissen profitieren, die sich weltweit über Jahrhunderte gebildet haben, fordert eine kleine, feine Architekturausstellung im Pays-d’Enhaut. «WOZ Die Wochenzeitung» vom 8. Juli 2010. ![]() Gemächlich zuckelt der Zug der Montreux-Oberland-Bahn vom Berner ins Waadtländer Oberland. Die Sitze der blauen Schmalspurwagen sind noch mit denselben Kunststoffbezügen verkleidet wie weiland bei den SBB: rot für «Raucher», grün für «Nichtraucher». Unterwegs zu einer Ausstellung, in der es um jahrhundertealte Techniken geht, wird man zuerst einmal von sehr heutigen Bildern überrascht. Entlang der Bahnstrecke zwischen Rougemont und Les Cases hängen riesige Bilder der Architekturfotografin Deidi von Schaewen. Sie zeigen armselige Hütten in afrikanischen Slums, die auf diesen Fotos so gar nicht armselig wirken: zumeist aus Abfällen der Industrie- und Konsumwelt gebaute oder mit solchen verzierte, farbenfrohe Wohngebilde. Die Industrie plant den Verschleiss ihrer Produkte. Von wechselnden Moden über eingebaute Sollbruchstelle bis zum Versprechen der «grünen Technologie» hat diese Strategie viele Gesichter. – «Der kleine Bund» vom 24. Januar 2009 (> zum Artikel als PDF)
Vor gut hundert Jahren, im September 1908, verliess das erste Modell T von Ford die Fabrik. 15 Millionen Stück des legendären Autos wurden bis 1927 hergestellt. Das Erfolgsrezept war einfach: Das Modell T war billig und gut. Doch damit war auch die Grenze des Erfolgs abgesteckt: Irgendwann würden alle eines haben, und so schnell brauchten sie kein neues – denn das Auto war unverwüstlich. Das Auto, das durch alle Stummfilme tuckert, hat das Gesicht der USA verändert, der industriellen Produktion - und damit der ganzen Welt. Ein Interview mit dem Automobil-Historiker Kurt Möser. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 25. September 2008
Kurt Möser: Das Model T wurde bis 1927 produziert, galt aber schon in den letzten Jahren der Produktion als veraltet. Wenn Stan und Ollie 1929 ein Model T fahren, signalisieren sie Unmodernität und vielleicht Armut. Um 1930, als die Weltwirtschaftskrise ihren Tiefpunkt erreichte, beauftragte die US-Regierung die Fotografin Dorothea Lange, die Auswirkungen der Krise zu dokumentieren. Auf ihren Bildern sieht man immer wieder verarmte «Okies», die Ford T fahren.
![]() Das August-Folio «Was wäre, wenn ...» widmet sich der kontrafaktischen Geschichtsschreibung. Oft hätte nur wenig gefehlt, und eine historische Entwicklung wäre ganz anders verlaufen. Auf die Frage einer Journalistin, weshalb die Autoindustrie nicht «umweltfreundlichere» Autos baue, sagte der Chef des Verbands der Deutschen Automobilindustrie im letzten Herbst: «Müsliautos interessieren keinen.» Nein, mit Herzblut sind die Autobauer noch nicht dabei, wenn es darum geht, vom Verbrennungsmotor wegzukommen. Aber immerhin: Sie arbeiten daran. Elektroautos sind am Kommen. Die technische Knacknuss dabei ist der Energietransport. Heutige Batterien können, gemessen an ihrem Gewicht, nur ein Hundertstel soviel Energie speichern wie ein Benzintank. Die Energiedichte von Erdöl ist unschlagbar. Diese ist aber wichtig, wenn man starke, schnelle und schwere Autos bauen will, die mit einmal Tanken viele hundert Kilometer weit fahren können. Dabei hätte es anders kommen können. Um 1900 standen drei Antriebsarten miteinander in Konkurrenz: Dampfmaschine, Elektro- und Verbrennungsmotor. Elektroautos dominierten um 1900, und langsam waren sie auch nicht: Das erste Auto, das 100 Stundenkilometer erreichte, war 1899 ein elektrisches. Ein kleines Forschungsinstitut kämpft gegen die Macht der Agrokonzerne – mit den Waffen der ComputeranarchistInnen. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 21. September 2006 Die Computerwelt kannte von Anfang an Leute, die ihr ambivalent gegenüber standen: begeistert von den Möglichkeiten der Informationstechnologie, aber skeptisch, was ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft angeht. In der Gentechnologie, namentlich der Agrargentechnologie, hingegen sind ambivalente Töne kaum zu hören. Denn diese ist politisch umkämpft, und politische Debatten werden nicht mit «Ja, aber» und «Nein, aber» geführt. Allenfalls hinter vorgehaltener Hand erfährt man, wenn ein Befürworter auch Bedenken hegt, eine Gegnerin auch Chancen sieht.
Da horcht man auf, wenn einer, der vom Segen der Biotechnologie überzeugt ist, den Agrokonzernen an den Karren fährt und sie des «‹Kidnappings› der öffentlichen Wissenschaft» bezichtigt. Gemeint ist die Praxis, Entdeckungen wie etwa Genomsequenzen als «Erfindungen» zu patentieren und als Eigentum zu vermarkten: «Wir sind zutiefst überzeugt, dass die patentgeschützte monopolistische Kontrolle fundamentaler Prozesse des Lebens absolut inakzeptabel ist.» |
AutorMarcel Hänggi Themen
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