Andreas Fischlin: Es sind vor allem Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass der Klimawandel sich beschleunigt. Wir hatten zwar beim Verfassen des Berichts bereits das Gefühl, dass es in diese Richtung gehe, konnten es aber noch nicht belegen. Im Jahr 2007, nach der Publikation des Berichts, kam es für mich dann wie ein Schock, Schlag auf Schlag. Beispielsweise schmilzt das arktische Packeis signifikant schneller, als die Modellrechnungen erwarten liessen, und auch in der Antarktis nimmt das Eisvolumen ab – das war im IPCC-Bericht noch nicht klar. Zweitens schwindet die Fähigkeit der Ozeane, CO2 aufzunehmen. Drittens sind die Treibhausgasemissionen schneller gestiegen, als dies das pessimistischste Szenario des IPCC annahm.
Interview mit Andreas Fischlin, Klimaforscher an der ETH Zürich und Mitglied der schweizerischen Delegation am Klimagipfel in Kopenhagen, im klimapolitischen Entscheidungsjahr 2009 – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 8. Oktober 2009 WOZ: Vor zwei Jahren ist der letzte Bericht des Uno-Klimarats IPCC erschienen, an dem Sie mitgearbeitet haben. Was weiss die Klimawissenschaft seither Neues?
Andreas Fischlin: Es sind vor allem Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass der Klimawandel sich beschleunigt. Wir hatten zwar beim Verfassen des Berichts bereits das Gefühl, dass es in diese Richtung gehe, konnten es aber noch nicht belegen. Im Jahr 2007, nach der Publikation des Berichts, kam es für mich dann wie ein Schock, Schlag auf Schlag. Beispielsweise schmilzt das arktische Packeis signifikant schneller, als die Modellrechnungen erwarten liessen, und auch in der Antarktis nimmt das Eisvolumen ab – das war im IPCC-Bericht noch nicht klar. Zweitens schwindet die Fähigkeit der Ozeane, CO2 aufzunehmen. Drittens sind die Treibhausgasemissionen schneller gestiegen, als dies das pessimistischste Szenario des IPCC annahm. Der Druck, bis Ende Jahr ein internationales Klimaschutzabkommen zu erreichen, sei enorm, sagt WWF-Klimaexperte Patrick Hofstetter. Die Schweiz riskiere bei den Verhandlungen erstmals in der Rolle einer Bremserin aufzutreten. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 10. September 2009 WOZ: Ende August hat der Bundesrat seine Botschaft zur Revision des CO2-Gesetzes präsentiert. «Die Schweiz wird zur Bremserin» kommentierte der WWF. Haben Sie etwas anderes erwartet? Patrick Hofstetter: Nachdem der Bundesrat seine Stossrichtung im Mai bekannt gegeben hat, war das im Grossen und Ganzen tatsächlich keine Überraschung. Doch in ein paar Punkten bleibt die Botschaft sogar hinter dem zurück, was wir erwarten mussten. Beispielsweise ist für die Treibhausgase, die nicht aus der Verbrennung von Öl und Gas stammen – etwa Methan oder Lachgas aus der Landwirtschaft – gar keine Regulierung vorgesehen. Immerhin bestätigt der Bundesrat mittlerweile selbst, dass er gemessen an den Erkenntnissen der Wissenschaft eigentlich zu wenig tut. Urs Näf vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse will dem Bundesrat nicht folgen, falls dieser die Reduktionsziele bis 2020 bei dreissig Prozent ansetzt. Er setzt weiterhin auf Eigenverantwortung. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 13. August 2009 WOZ: Economiesuisse beansprucht, für die ganze Schweizer Wirtschaft zu sprechen. Gibt es da überhaupt einen gemeinsamen Nenner in Sachen Klimapolitik? Urs Näf: Durchaus. Man kann feststellen, dass die Schweizer Wirtschaft die Klimaproblematik ernst nimmt, aber es gibt keine Panik. Man will das Problem als Herausforderung anpacken. Gibt es auch in Branchen keine Panik, die vom Klimawandel sehr stark betroffen sein werden – etwa im Wintertourismus? Kein Zweifel: Ein Thema hat weltweit und in der Schweiz die Politik in den vergangenen Monaten mehr beschäftigt als alle anderen, nämlich die Wirtschaftskrise. Ausgerechnet Thomas Roth, Vertreter des Staatssekretariats für Wirtschaft, sagte in dieser Zeitung aber: «Das Klimaproblem ist das grössere Problem als die gegenwärtige Wirtschaftskrise» (siehe hier). Sehen das die ParlamentarierInnen auch so? Interview mit David Sarasin – «WOZ Die Wochenzeitung» sowie «Telepolis» vom 12. Februar 2009 Unter den unzähligen Büchern, die im «Darwinjahr» 2009 erscheinen, gehört «Darwin und Foucault» des Historikers Philipp Sarasin* zweifellos zu den originellsten. Im Vorwort nennt es Sarasin ein «Experiment», zwei der «aggresivsten ‹Säuren› der Theoriebildung in eine Schale zu giessen». Für Sarasin stammt Michel Foucault, wie es auf dem Klappentext heißt, «von Darwin ab». Weder Darwin noch Foucault hätten zwischen Natur und Kultur eine scharfe Grenze gezogen – und so liegt denn die ironische Pointe des Buchs darin, dass Sarasin Foucault gegen die (foucaultianischen) KulturalistInnen liest, für die alle Realitäten letztlich nur Zeichen und Diskurse sind, und Darwin gegen die (darwinistischen) BiologistInnen, die glauben, der Mensch lasse sich allein aus der Biologie respektive der Evolution heraus verstehen. Das wird etwa dort besonders lustvoll, wo Sarasin dem Turbo-Darwinisten und missionarischen Atheisten Richard Dawkins nachweist, dass er in seinem Weltbild eigentlich nicht auf einen Gott verzichten könne … Den einen ist Dennis Meadows ein Idol, den anderen die personifizierte Schwarzseherei. Ein Gespräch über teures Öl, platzende Blasen, die Lernfähigkeit der Menschen und das Kinderkriegen in schwierigen Zeiten. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 6. November 2008
Das Auto, das durch alle Stummfilme tuckert, hat das Gesicht der USA verändert, der industriellen Produktion - und damit der ganzen Welt. Ein Interview mit dem Automobil-Historiker Kurt Möser. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 25. September 2008
Kurt Möser: Das Model T wurde bis 1927 produziert, galt aber schon in den letzten Jahren der Produktion als veraltet. Wenn Stan und Ollie 1929 ein Model T fahren, signalisieren sie Unmodernität und vielleicht Armut. Um 1930, als die Weltwirtschaftskrise ihren Tiefpunkt erreichte, beauftragte die US-Regierung die Fotografin Dorothea Lange, die Auswirkungen der Krise zu dokumentieren. Auf ihren Bildern sieht man immer wieder verarmte «Okies», die Ford T fahren.
Der neue Teilchenbeschleuniger am Cern ist ein Forschungsinstrument der Superlative. Stösst die Physik mit ihm an die Grenzen dessen, was man wissen kann? Ein Gespräch mit dem Wissenschaftsphilosophen Reiner Hedrich. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 10. Juli 2008 Im August soll der weltgrösste Teilchenbeschleuniger LHC am Kernforschungszentrum Cern bei Genf seinen Betrieb aufnehmen. Die Physiker erhoffen sich, dass mit ihm endlich der experimentelle Nachweis des Higgs-Bosons gelingt und dass der LHC allenfalls Hinweise darauf zu geben vermag, ob die so genannte Superstringtheorie stimmen könnte. Sie ist der derzeit ambitionierteste Versuch, die Schwerkraft quantentheoretisch fassbar zu machen und damit Widersprüche zwischen den Theoriegebäuden der Relativität und der Quantenmechanik aufzulösen.
Die Preise für landwirtschaftliche Produkte explodieren. Doch die Ursachen des Problems liegen weder am knapper werdenden Land noch in den veränderten Essgewohnheiten der Weltbevölkerung, sagt Marcel Mazoyer. Das Problem liegt an der Marktwirtschaft an sich. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 3. April 2008 Die niederländische Bank ABM Amro warb vor einiger Zeit in ganzseitigen Zeitungsinseraten für ihre «strukturierten Finanzprodukte» im Agrarsektor: «Verschiedene Gründe sprechen für eine Investition: weltweit stagnierende Getreideanbauflächen, eine deutlich gewachsene Weltbevölkerung, veränderte Essgewohnheiten in den aufstrebenden Schwellenländern sowie die stetig steigende Nachfrage nach Biotreibstoffen.» Das sind sichere Voraussetzungen für nachhaltig steigende Preise und satte Gewinne, und es sind sichere Voraussetzungen für kommende Hungersnöte. Das Inserat ist also eine Aufforderung, mit dem Hunger zu spekulieren. Interview mit Rolf Peter Sieferle, Professor für Geschichte an der Universität St. Gallen. – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 22. November 2007 Vorbemerkung: Rolf Peter Sieferle, der 2016 starb, hat sich in seinen jüngsten öffentlichen Aussagen und Publikationen wie «Finis Germania» (postum 2017; laut «Tages-Anzeiger» eine «besonders perfide antisemitische Schrift») als rechtsradikaler Autor geoutet. Ich wusste, als ich Sieferle 2007 interviewte, nichts von seiner Gesinnung, und ich merkte auch nichts davon bei der Lektüre seiner umwelthistorischen Schriften oder beim Interview. Entwerten spätere unsägliche Äusserungen eines Autors das, was er früher sagte? Auf jeden Fall ist Sieferle ein Beispiel für den Umstand, der mich erschreckt, dass ein ökologisches Denken, das ich für richtig und wichtig halte, zu kulturpessimistischen bis menschenverachtenden Ansichten führen kann. Von seinem Schreibtisch der Universität St. Gallen aus sieht Rolf Peter Sieferle einen Bauernhof mit Futtersilo. Um so bodenständige Dinge wie Futter – allgemeiner: um Energie- und Materialflüsse – dreht sich die Arbeit des Historikers. Sieferle gehört zu den Begründern des Konzepts des «gesellschaftlichen Stoffwechsels». Grob lassen sich gemäss diesem Konzept in der Geschichte drei grosse Energiesysteme ausmachen: Jäger- und Sammlergesellschaften schöpften Energie aus den solaren Energieflüssen, indem sie der Natur essbare Pflanzen, Fleisch und Brennholz entnahmen. Die Agrargesellschaften griffen gezielt in diese Energieflüsse ein, bauten Pflanzen an, züchteten Tiere, stauten Flüsse. Als es im 18. Jahrhundert erstmals gelang, Steinkohle im grösseren Stil abzubauen, und die Dampfmaschine erfunden wurde, begann das fossile Energieregime. Heute deuten die hohen Ölpreise darauf hin, dass dieses Zeitalter bald vorbei sein könnte; der Klimawandel zeigt, dass es vorbei sein müsste. Doch wie könnte eine postfossile Gesellschaft aussehen?
Anfang Februar erscheint der erste Teil des neuen IPCC-Berichts, der den Wissensstand der Klimaforschung darlegen will. Wie lösen die ForscherInnen diesen Anspruch auf einem politisch umkämpften Feld ein? – «WOZ Die Wochenzeitung» vom 25. Januar 2007 Am kommenden 2. Februar wird die Weltöffentlichkeit an einer Pressekonferenz in Paris über den aktuellen Stand des Wissens über den Klimawandel informiert. Es lädt ein: die Arbeitsgruppe I des International Panel on Climate Change (IPCC). Das IPCC hat sich die Aufgabe gestellt, periodisch – nunmehr zum vierten Mal seit 1990 – einen Überblick über das Wissen einer gesamten wissenschaftlichen Disziplin zu erstellen. Geht das überhaupt? Lässt sich ein Konsens einer gesamten Disziplin finden, noch dazu auf einem politisch so umstrittenen Feld wie der Klimaforschung? Ist die Konsenssuche der Disziplin nicht abträglich, da nur Dissens die Wissenschaft voranbringt? Ein vierteiliges Interview mit Josi Meier in der WOZ Die Wochenzeitung vom 7., 14., 21. und 28. April 2005. Hier nur Teil I; die weiteren Teile finden sich im WOZ-Archiv: Teil II «Eine teure Meinung», Teil III: «Sind Sie eine Kämpferin?», Teil IV: «Sie waren beim Militär?». – Josi Meier, geboren 1926, war die erste Frau, die den Ständerat präsidierte. Sie starb am 5. November 2006. Mein Nachruf in der WOZ hier. Josi Meier: Ich habe mit mir selber gewettet, wozu Sie mir Ihre erste Frage stellen ...
WOZ: Darf ich raten? Sie haben gewettet, dass ich Sie zum Tod des Papsts befrage? Ja. Steigt der Mensch in ein Auto, wird er ein anderes Wesen, sagt Verkehrsexperte Hermann Knoflacher*. Von Appellen hält er wenig. – WOZ Die Wochenzeitung vom 16. Oktober 2003
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AutorMarcel Hänggi, Zürich Themen
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